… weißer geht’s nicht?!

Kommentar. In den vergangenen dreißig Jahren wurde immer wieder vorgeschlagen, Brutvogelarten, die im Bestand nicht gefährdet sind oder einen positiven Trend aufweisen, in gesonderten Verzeichnissen aufzuführen, den sogenannten Grünen oder Blauen Listen. Durchsetzen konnten sich die Positivlisten aber nicht, weil sie für den Natur- und Artenschutz als fragwürdig bis kontraproduktiv eingestuft wurden.

Weiße Liste

Dagegen ist die öffentlichkeitswirksame Präsentation von Erfolgen im staatlichen Natur- und Artenschutz nicht nur legitim – sie kann auch, zur Freude des Steuerzahlers, sinnvoll gestaltet werden. So liegt als gelungenes Beispiel der Werbung für bedrohte, aber im Bestand wieder zunehmende Tierarten eine im Jahr 2002 vom Bundesumweltministerium herausgegebene Broschüre mit dem treffenden Titel “Sie kommen wieder. Arten im Aufwind” vor.

Das Referat für Öffentlichkeitsarbeit des niedersächsischen Umweltministeriums hat einen Sonderweg beschritten und im März 2006 eine “Weiße Liste der Brut- und Gastvögel Niedersachsens” vorgelegt. Diese vereint, auf solidem Datenmaterial fußend, in zwei Tabellen Brutvogelarten, die seit 1976 wachsende bzw. gleichbleibende Bestände aufweisen. Eine dritte Tabelle dokumentiert die Zunahme einiger Gastvogelarten. Quantitative Angaben enthält nur die Tabelle von Brutvogelarten, die vor dreißig Jahren die niedersächsische Rote Liste bevölkerten und seitdem im Bestand zugenommen haben. Mit bebilderten Kurzportraits u.a. von Graureiher, Schwarzstorch und Schleiereule werden dem Leser Erfolge im Natur- und Artenschutz anschaulich vor Augen geführt. Soweit zum ersten Eindruck, den die Publikation hinterlässt. Bei näherer Betrachtung tun sich aber einige kritische Fragen auf.

Im Vorwort dankt der Umweltminister “den Menschen, den Vogelschützern, den Naturschützern und den verantwortungsbewusst die Natur nutzenden Landwirten, Jägern sowie Fischern und ihren Aktivitäten”. Nun ja. Wenn verantwortungsbewusstes Handeln die Massentötungen von Rabenvögeln und Kormoranen einschließt, macht die holprige Aufzählung durchaus Sinn. Ob man sich als Vogelkundler in der engen Nachbarschaft zu gut organisierten und entsprechend einflussreichen Top-Prädatoren besonders wohl fühlt, steht auf einem anderen Blatt.

Der in der Weißen Liste dokumentierte Zuwachs einiger Großvögel und etlicher anderer Greif- und Wasservogelarten fällt ohne Zweifel eindrucksvoll aus. Dies trifft in besonderem Maße auf den Kranich mit aktuell 400 Brutpaaren zu, der von Renaturierungsmaßnahmen und dem wirksamen Abschirmen der Nistplätze profitiert hat. Bei anderen Spezies (Graugans, Wanderfalke, Uhu) entspringt der positive Trend (teilweise umstrittenen) Wiederansiedlungsprojekten, die vor allem deshalb erfolgreich verliefen, weil Habitatverlust nicht die hauptsächliche Rückgangsursache war. Von entscheidender Bedeutung für die Bestandserholung gefährdeter Arten war jedoch – und ist noch immer – die nachlassende Verfolgung durch den Menschen, die ab den 1970er Jahren in einigen europäischen Ländern mit Gesetzen und speziellen Schutzverordnungen eingeleitet wurde. Im Zusammenwirken mit der Entstehung und Erschließung neuer Lebensräume konnten einige vormals seltene Arten kopfstarke Quellenpopulationen aufbauen, aus denen im Laufe der Jahrzehnte eine Zuwanderung nach Niedersachsen erfolgte. Dies bedeutet aber auch, dass man bei landesweit 37 Schwarzstorch- und 19 Seeadlerpaaren auf dem Teppich bleiben sollte. Ein Blick über den niedersächsischen Tellerrand nach Osten zeigt, dass unsere kleinen Brutbestände beeindruckender Großvögel Dependancen größerer Geflechte sind.
Der besonders spektakuläre Anstieg der Blaukehlchen-Population von 20 auf 3000 Brutpaare basiert auf Zuwanderung aus den Niederlanden in Kombination mit vermehrtem Rapsanbau in Nordwestdeutschland, hat also mit Arten- und Biotopschutzmaßnahmen hierzulande kaum etwas zu tun. Dagegen ist der Populationszuwachs der geschützten Saatkrähe, einer bei “den Menschen” ziemlich unpopulären Vogelart, als bodenständiger Erfolg zu werten. Ausnahmegenehmigungen zur Vernichtung von Kolonien in der Nähe von Altersheimen und das illegale Fällen der Brutbäume, das von den Behörden vor Ort zumeist nur mit einem Augenzwinkern geahndet wird, trüben das Bild jedoch ein. Das bedrückende Schicksal des Kormorans, der nach seiner Bestandszunahme vorschnell und eilfertig aus der Roten Liste entlassen und erneut der flächendeckenden Verfolgung preisgegeben wurde, ist bekannt.

Eines ist sicher: Auf das Konto des derzeitigen Umweltministers, der sich seit Amtsantritt vor allem mit dem Zerschlagen naturschutzfachlicher Kompetenzen und der verschleppten Umsetzung von EU-Richtlinien hervorgetan hat, gehen die langjährigen positiven Trends mit Sicherheit nicht. Wohl selten trifft der Anwurf, dass sich jemand mit fremden Federn schmückt, so wort- und zielgenau wie hier.

Bleibt die schlichte, aber entscheidende Frage: Warum hat sich das Landesministerium nicht mit einer informativen Broschüre begnügt – wie das Bundesministerium vor vier Jahren? Warum musste es, als bundesweite Novität, unbedingt eine Weiße Liste sein und was wird mit ihr eigentlich bezweckt? Die Roten Listen haben sich in Jahrzehnten bewährt und stellen wirksame Instrumente im Natur- und Artenschutz dar. Für die fachliche Bewertung von Eingriffen in Natur und Landschaft sind sie unverzichtbar. Welchen Sinn macht es daher, wenn beispielsweise Schwarzstorch, Seeadler und Kranich, die immer noch in den Kategorien 1 bzw. 3 der aktuellen niedersächsischen Roten Liste geführt werden, jetzt in einer offiziösen Positivliste auftauchen, die auch optisch der Roten Liste ähnelt? Sind diese Arten über den Berg? Zumindest für den Schwarzstorch trifft dies ganz gewiss nicht zu; daran wird selbst eine Verdreifachung der vom Minister besonders propagierten Kunstnester nichts ändern.

Wie steht es um die konkrete Verwendung der Weißen Liste in der naturschutzfachlichen Praxis? Werden Genehmigungsbehörden und willfährige Gutachter sie aus der Schublade ziehen, wenn es um einen Kranichbrutplatz (“nur ein einziger von 400”) auf einem Flughafen-Erweiterungsgelände geht? Ist bei 1200 Kolkrabenpaaren nicht doch die eine oder andere Abschussgenehmigung zum Schutz todkranker Lämmer “objektiv hinnehmbar”? Wird man angesichts der Bestandszunahme des Mittelspechts – die im wesentlichen ein auf genauerer Erfassung beruhendes Kunstprodukt ist – die intensivierte Nutzung unserer Laubwälder noch schöner färben als ohnehin schon? Wer diese Fragen für abwegig hält, ist naiv. Die Weiße Liste spiegelt mit der immanenten Relativierung ihres roten Pendants einen Paradigmenwechsel in der Naturschutzpraxis wider, von dessen Intentionen das kurze Vorwort des Ministers ein beredtes Zeugnis ablegt. Als Sachwalter der heimischen Vogelwelt werden in zunehmendem Maße nicht mehr qualifizierte Fachleute herangezogen, sondern pseudowissenschaftlich drapierte Lobbyisten von Naturnutzerverbänden und handverlesene Vogelschützer mit einem arttypisch begrenzten Aktions- und Blickfeld.

Der Normalbürger, der in seinem Garten – dessen naturnahe Gestaltung immerhin angemahnt wird – Nistkästen für Meisen aufhängt, wird in der Weißen Liste als Beleg dafür gefeiert, wie “stark das ökologische Bewusstsein und die Notwendigkeit von Vogelartenschutz in der Bevölkerung verankert sind”. Bewusstsein und Einsicht in die Notwendigkeit stoßen aber schnell an ihre engen Grenzen, wenn sich im Garten ein Elsternpaar niederlässt. Dieses kann heutzutage von den flintenbewehrten Exekutoren der Rabenvogel-Verordnung letal vergrämt werden – zur hellen Freude fast aller Vogelliebhaber. Was hilft es da, wenn in der Weißen Liste eine Lanze für den (noch) geschützten Eichelhäher gebrochen wird?

Die Weiße Liste soll, so wird betont, keineswegs von der bedrohlichen Situation vieler Vogelarten ablenken. Das sagt sich leicht. Der eventgeilen Tagespresse sind 19 imposante Seeadlerpaare immer eine Meldung wert, die Bestandsabnahme der unscheinbaren Sperlingsvögel Bluthänfling und Wiesenpieper dagegen nicht. Der galoppierende Rückgang fast aller Charakterarten des offenen Kulturlands und das kontinuierliche Anwachsen der Vorwarnliste von Rote-Liste-Kandidaten werden, so steht zu befürchten, von dem Propagandainstrument Weiße Liste in den Hintergrund gedrängt. Dies den beiden Verfassern von der Staatlichen Vogelschutzwarte anzulasten, wäre jedoch ungerecht. Die Protagonisten einer vorgeblich “bürgernahen” Naturschutzpolitik, die – zunehmend auf den kostengünstigen Einsatz von Ehrenamtlichen gestützt – als beschauliches Anhängsel diverser Nutzerinteressen betrieben wird, sitzen weiter oben… Auf den weiteren Umgang mit der Weißen Liste darf man gespannt sein.

H. H. Dörrie

  • Die Weiße Liste der Brut- und Gastvögel Niedersachsens kann kostenlos beim Niedersächsischen Umweltministerium, Archivstr. 2, 30169 Hannover oder per E-Mail unter poststelle@mu.niedersachsen.de bezogen werden.