Ist das Rebhuhn noch zu retten, Herr Gottschalk?

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Ein Interview

Seit nunmehr zwei Jahren ist der Landkreis Göttingen Schauplatz eines der ehrgeizigsten Artenschutzprojekte in Deutschland. Seitdem betreibt die Biologische Schutzgemeinschaft (BSG) gemeinsam mit dem Zentrum für Naturschutz an der Uni Göttingen das sogenannte „Rebhuhnschutzprojekt“. In Kooperation mit Landwirten und Jägern soll dabei den regionalen Beständen des charismatischen Hühnervogels auf die Sprünge geholfen werden. Wir haben mit Dr. Eckhard Gottschalk vom Zentrum für Naturschutz, einem der Projektkoordinatoren, gesprochen und ihn zum Rebhuhnschutzprojekt befragt.

AGO: Das Rebhuhn war bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein ein weit verbreiteter und häufiger Bewohner der offenen Kulturlandschaft. Warum braucht es heute Schutz?

E. Gottschalk: Die Bestände des Rebhuhns sind in den letzten Jahrzehnten in ganz Europa katastrophal zurückgegangen. Für ganz Europa wird der Rückgang der letzten Jahrzehnte auf mindestens 85% geschätzt, in Mitteleuropa sieht es noch viel schlimmer aus. Der Bestand, der heute beispielsweise für Niedersachsen geschätzt wird, entspricht ca. 5% der jährlichen Abschussrate von 1930. Außerdem beginnt lokal das Verbreitungsgebiet zu schrumpfen, da das Rebhuhn in immer mehr Landschaften völlig ausgestorben ist. Leider hält der negative Trend an, wie beispielsweise Zahlen des Jagdverbandes aus den 90er Jahre belegen.

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Die beiden Projektkoordinatoren: Eckhard Gottschalk vom Zentrum für Naturschutz (li.) und Werner Beeke von der Biologischen Schutzgemeinschaft (re.)

AGO: Welche Rolle spielen Prädatoren wie Fuchs, Rabenkrähe oder Habicht beim Bestandsrückgang des Rebhuhns?

E. Gottschalk: Natürlich hat Prädation einen Einfluss auf die Überlebensrate von Rebhühnern. Großräumig durchgeführte Experimente in England zeigten, dass sich die Rebhuhndichte durch intensivste Bejagung von allen als Prädator auch nur in Frage kommenden Lebewesen steigern lässt. Trotzdem ist die Ursache für den Rückgang der Rebhühner eine andere. Das Rebhuhn war ein Feldvogel und lebt heute aber eher von den Sonderstrukturen in der Landschaft, weil die Felder selbst beispielsweise für die Kükenaufzucht nicht mehr geeignet sind. Die wichtigste Ursache für den Rückgang der Rebhühner ist die schleichende Intensivierung im Getreideanbau mit der völligen Umstellung auf Wintergetreide, den fehlenden Beikräutern und damit auch Insekten durch den Herbizideinsatz und den immer dichteren Getreidekulturen, ermöglicht durch Dünger und Fungizide. Auch die Flurbereinigung hat ihren Beitrag geleistet, die Lebensbedingungen zu verschlechtern. Unter den Prädatoren kann man lediglich dem Fuchs einen gewissen Beitrag an der schwierigen heutigen Lebenssituation zuschreiben, da die Fuchsdichten mit der Tollwutbekämpfung viel höher sind als früher.

AGO: Welche Schutzmaßnahmen sind denn Bestandteil ihres Rebhuhnschutzprojektes? Und welche Rolle spielen die Projektpartner dabei?

E. Gottschalk: Wir haben uns vorgenommen, relativ großräumig zu agieren, und damit die Überlebensfähigkeit einer lokalen Population als Maßstab für das zu erreichende Ziel zu nehmen. Da wir im gesamten Landkreis die Lebenssituation verbessern wollen, ergibt sich ein enormer Flächebedarf. Lediglich mit den Agrarumweltmaßnahmen können wir in eine Größenordnung kommen, die relevant ist. Als im Jahr 2004 eine neue Agrarumweltmaßnahme angeboten wurde – Blühstreifen –, haben wir dafür Werbung gemacht und in Kooperation mit der Landwirtschaftskammer die Landwirte diesbezüglich beraten. Der Erfolg war, dass im Jahr 2005 dann 155 Hektar Blühstreifen im Landkreis Göttingen entstanden. Die Biologische Schutzgemeinschaft schließt mit den Landwirten Zusatzverträge ab, damit die Streifen rebhuhngerecht bewirtschaftet werden, weil die Richtlinie der Maßnahme nicht auf den Schutz von Rebhühnern ausgelegt ist. Darüber hinaus werden weitere 55 Hektar in Rebhuhnrevieren nach unseren Vorgaben bewirtschaftet. Mittels weiterer Werbung und dank der zunehmenden Bekanntheit der Blühstreifen werden ab 2007 weitere 400 Hektar Blühstreifen im Landkreis eingerichtet. Damit kommen wir auf eine Flächengröße, die tatsächlich positive Auswirkungen auf die lokale Rebhuhnpopulation haben kann.
Weiterhin kooperieren wir mit den Jägern, die durch ihren direkten Kontakt zu Landwirten Teilnehmer am Rebhuhnprojekt gewinnen und die vor allem beim Monitoring der Rebhuhnbestände helfen. Besonders muss man die gute Kooperation mit der Landwirtschaftskammer hervorheben.

AGO: Aussetzungen von Rebhühnern gelten in Teilen der Jägerschaft als geeignete Artenschutzmaßnahme. Wie stehen Sie dazu?

E. Gottschalk: Wir sind strikt gegen Aussetzungen. Sie machen aus vielerlei Gründen hier keinen Sinn. Einerseits kann man den Bestand sowieso nur durch Verbesserung des Lebensraumes langfristig schützen. Weiterhin tragen ausgesetzte Rebhühner nichts zur Bestandsstützung bei, da sie in ihrer Unerfahrenheit nicht lange überleben. Feindvermeidung wird bei Rebhühnern nicht nur durch angeborene Instinkte geleistet, sondern erlernte Komponenten spielen eine wichtige Rolle. Vögel ohne erfahrene Eltern haben fast keine Chance. Ausgesetzte Rebhühner, die in der Gefangenschaft mit energiereicher Nahrung gefüttert wurden, haben auch einen kürzeren Darm und schaffen die Umstellung auf weitgehende Blätternahrung im Winter schlecht. Auch sind bereits genetische Veränderungen an Zuchtvögeln zu beobachten. Nach nur sechs Generationen in Gefangenschaft verfrüht sich beispielsweise schon der Legetermin der ersten Eier.
Wir möchten außerdem dokumentieren, dass wir mit den Blühstreifen die Lebenssituation verbessern. Auch wenn die ausgesetzten Vögeln kaum Überlebenschancen haben, würden Aussetzungen unsere Erfolgskontrolle verwässern.

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Blühstreifen an der Diemardener Warte am südlichen Göttinger Stadtrand.

AGO: In Süd-Niedersachsen wird im Moment der Anbau nachwachsender Rohstoffe diskutiert und auch schon tatkräftig in die Praxis umgesetzt. Wird sich diese neue Entwicklung auch auf die Qualität der Lebensräume in der Agrarlandschaft und damit auch auf die Situation des Rebhuhns auswirken?

E. Gottschalk: Vermutlich ja. Bereits jetzt ist der Verlust an Brachen spürbar. Rebhühner sind auf diese kaum genutzten Flächen mittlerweile angewiesen. Weiterhin ist zu befürchten, dass der Verlust an Grünland anhält, als Folge des erhöhten Flächenbedarfs und dass der Maisanbau stark zunimmt. Mais ist aus Sicht des Rebhuhns die lebensfeindlichste Kultur. Die Insektenverfügbarkeit ist so gering, dass Küken in Maisfeldern sogar während der Nahrungsaufnahme an Gewicht verlieren! Leider gibt es zu diesem Thema noch keine Studien, was dringend erforderlich wäre.

AGO: Gibt es für Ihr Artenschutzprojekt so etwas wie eine „Erfolgskontrolle“? Liegen womöglich schon Ergebnisse vor? Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten Ihres Projekts generell ein?

E. Gottschalk: Natürlich führen wir ein Monitoring der Rebhuhnzahlen durch. Zum einen haben wir Kontakt zu allen Jägern, die noch Rebhühner in ihrem Jagdrevier haben. Zum anderen haben wir erstmals im letzten Frühjahr auf immerhin 400 km² ein eigenes Monitoring etabliert, das wir nun alljährlich mit der gleichen Methodik wiederholen. So lassen sich Bestandstrends erfassen. Westlich der Leine sind die Rebhühner (mit Ausnahme eines einsamen Paares) im Landkreis ausgestorben. Im Osten schätzen wir den Bestand noch auf ca. 250 Paare. Das ist deutlich mehr, als wir anfangs erwartet hatten. Weiterhin untersuchen wir auch weitere Effekte des Projektes auf Arten der Agrarlandschaft, beispielsweise Blütenbesucher. Vielleicht ließe sich ja auch der Arbeitskreis Göttinger Ornithologen gewinnen, die Nutzung der Blühstreifen durch Vögel zu dokumentieren. Wenn Sie mit einer einheitlichen Methodik eine Erfassung von Wintergästen und Brutvögeln an ausgewählten Flächen vornehmen würden, wäre dem Projekt sehr geholfen!
Die Erfolgsaussichten unseres Projektes sind nicht leicht abzuschätzen, da sich zur Zeit in der Landwirtschaft viel bewegt (z.B. durch den Verlust der Brachen, neue Agrarumweltmaßnahmen etc.).
Da nächstes Jahr im Landkreis ca. 600 Hektar auf über 1000 Einzelflächen rebhuhngerecht bewirtschaftet werden, sind wir aber optimistisch, den Bestand anheben zu können.
Ein Feldvogel wie das Rebhuhn wird aber immer von der Landwirtschaftspolitik abhängig sein.

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Blühstreifen im Winter: Nicht nur interessant für Rebhühner, sondern auch für Finkenvögel, die hier Sämereien finden. Alle Fotos: Rebhuhnschutzprojekt Göttingen

AGO: Vielen Dank und viel Erfolg!

E. Gottschalk: Danke.

Zum Weiterlesen:

  • Homepage des Rebhuhnschutzprojekts
  • E. GOTTSCHALK / A. BARKOW: Ist das Rebhuhn noch zu retten? Eine populationsbiologische Gefährdungsanalyse des Rebhuhnbestandes im Raum Göttingen. in: Göttinger Naturkundliche Schriften, Bd. 6 (2005), S. 117 – 140
  • Informationen über das Rebhuhn auf den Seiten des NABU
  • E. BEZZEL: Steht das Rebhuhn noch auf der Tagesordnung? in: Naturschutz heute, 1/1991, S. 6-11