Dynamik im südlichen Zipfel! – Heimzug (zweite Hälfte) und Brutzeit (erste Hälfte) 2007 – April bis Anfang Juni

Die beiden frühen Stelzenläufer vom 29.3. im Seeanger (vgl. den Beitrag “Winter adé” vom 31.3. auf dieser Homepage) haben sich rückblickend als Vorboten eines ereignisreichen Vogelfrühlings in Süd-Niedersachsen entpuppt. Dabei waren die Bedingungen im extrem warmen und trockenen April zunächst alles andere als optimal. Die Rastzahlen ziehender Enten fielen durchweg mäßig aus.

Der Bekassinen-Durchzug stotterte auf historisch niedrigen Touren: Mehr als acht Ind. pro Tag und Gebiet wurden nirgendwo registriert, selbst im potentiellen Schlaraffenland Seeanger hielten sich in der Regel nur ein bis zwei Bekassinen auf. Über die Ursachen dieses ungewöhnlichen Phänomens kann man nur spekulieren.

Die Erstbeobachtungen von Fitis und Gartenrotschwanz erfolgten ca. sechs bis acht Tage später als im langjährigen Mittel. Doch bevor man sich ernsthaft Sorgen machen musste, setzte ab der Monatsmitte starker Vogelzug ein, besonders von Zweigsängern mit weitreichendem Migrationshintergrund. An manchen Tagen vibrierten die Bäume und Büsche im Kiessee-Leinegebiet am südlichen Göttinger Stadtrand von der lautstarken Geschäftigkeit vieler Laubsänger und Grasmücken.

Das bemerkenswert zahlreiche Auftreten einiger Weitstreckenzieher drückt sich auch in lokal hohen Brutbeständen aus: Insbesondere Nachtigall, Gelbspötter und Grauschnäpper halten dieses Jahr in Göttingen und Umgebung, aber auch im Northeimer Raum mehr Reviere besetzt als sonst. Auch der Neuntöter ist augenscheinlich wieder gut im Geschäft.

Der Einflug von Schlagschwirlen, der bis nach Nordrhein-Westfalen und in die Niederlande reichte, machte sich auch bei uns bemerkbar. Neben Revieren im Göttinger Ostkreis (wo die Art sich seit einigen Jahren etabliert hat) wurden an der Geschiebesperre Hollenstedt bis zu drei Sänger und an der Weser bei Bursfelde deren zwei registriert.

Drossel– und Schilfrohrsänger waren als traditionell spärliche Durchzügler mit jeweils sieben Nachweisen ebenfalls gut vertreten. Als eine von drei Arten mit offenkundigen Problemen präsentierte sich der Teichrohrsänger, der deutlich verspätet eintraf und bislang viele Reviere (noch?) nicht wieder besetzt hat. Damit nicht genug – ein Männchen dieses obligatorischen Röhrichtbrüters singt seit mehr als drei Wochen unverdrossen in einem Hartriegel-Liguster-Gebüsch auf dem Göttinger Uni-Nordgelände. Eine derart lange Verweildauer in einem atypischen (Brut-)Habitat ist in unserer Region als ausgesprochen selten einzustufen.

Auch der Mauersegler weist, zumindest in Göttingen, lokal geringere Bestände auf als üblich, doch können die Nichtbrüter durchaus noch bis Mitte Juni eintreffen und das altvertraute Bild wiederherstellen.

Der seit Jahren anhaltende Bestandsrückgang der Turteltaube scheint sich zu beschleunigen, dem regionalen Datenhamster liegt bis jetzt noch kein Nachweis für 2007 vor. Über den aktuellen Bestand des Baumpiepers, einer weiteren Lichtwaldart mit langjährig negativem Trend, können noch keine Aussagen getroffen werden.
Der warme April wirkte sich auf einige frühbrütende Arten stimulierend aus.

Flügge Jungvögel von Amsel, Wacholderdrossel, Schwanzmeise und Star traten ungefähr zehn Tage früher in Erscheinung als sonst. Die Drosseln hatten jedoch Probleme bei der Versorgung der Nachkömmlinge mit Würmern, so dass ihr Bruterfolg insgesamt eher bescheiden ausfiel.

Das treffende Bild von den Seltenheiten als Salz in der oftmals faden Tagessuppe der Feldornithologie dürfte allen bekannt sein. Daran gemessen verwandelten sich im Frühling 2007 einige unserer Feuchtgebiete in metaphorische Salinen.

Die systematische Auflistung gefiederter Preziosen beginnt mit einem adulten Nachtreiher vom 28. bis 29.4. am Seeburger See, dem am 10.5. ein Löffler an der Geschiebesperre Hollenstedt folgte. Am 18.5. rasteten im letzteren Gebiet drei Seidenreiher im Prachtkleid.

Aus dem Greifvögel-Spektrum sind je eine ziehende Wiesenweihe am 24.4. über dem Seeanger und am 20.5. über Gö.-Nikolausberg sowie ein keineswegs ungewöhnlich später Merlin am 8.5. am Seeanger erwähnenswert.

Ein Steppenkiebitz lieferte im Leinepolder Salzderhelden vom 12. bis 16.4. den dritten regionalen Nachweis dieser global gefährdeten Art. An der Geschiebesperre Hollenstedt ließen sich am 20. und 21.5. mit einem Knutt und zwei Sanderlingen Vertreter regional ungewöhnlicher Limikolen blicken. Rastende Zwergstrandläufer sind auf dem Heimzug traditionell dünn gesät, waren aber am 19.5. mit zwei Ind. ebendort vertreten.

Ein Graubrust-Strandläufer (sechster regionaler Nachweis, zweiter Lokalnachweis) bekräftigte am 27. und 28.5. die Attraktivität des Seeangers für seltene Watvögel. Ob er ursprünglich aus Nordamerika oder Sibirien stammte, hat er aber nicht verraten…

Nachgerade spektakulär war der Anblick zweier balzender Doppelschnepfen am 7.5. ebendort, die sich bei ihrem skurrilen Treiben optimal beobachten ließen.

Vom Datum und der Anzahl als ungewöhnlich bzw. rekordverdächtig zu beurteilen sind insgesamt 11 Regenbrachvögel, die am 8.5. im Seeanger und an der Geschiebesperre Hollenstedt ins Visier gerieten.

Ende April wimmelte der Seeanger von rastenden und durchziehenden Bruchwasserläufern, die in Tagessummen von bis zu 180 Ind. auftraten. Ein Teichwasserläufer verweilte vom 29.4. bis 1.5. an selber Stelle und sorgte damit für den zweiten lokalen Nachweis dieser grazilen Schönheit östlicher Provenienz.

Ein Steinwälzer machte am 7.5. den Reigen bemerkenswerter Limikolen-Nachweise komplett. Bislang wurden 2007 29 Limikolenarten gesehen, aus dem mit etwas Optimismus zu erwartenden Spektrum fehlten eigentlich nur Sichelstrandläufer und Kiebitzregenpfeifer.

Fünf adulte Spatelraubmöwen (darunter ein Ind. der dunklen Morphe) flogen am 7.5. über dem Seeburger See umher. Trotz sintflutartiger Regenfälle, die nachdrücklich das Ende der langen Trockenperiode markierten, und starkem Westwind gelang es den robusten Vögeln, nach ca. 45 Minuten wieder abzuziehen und die Zahl der glücklichen, aber porentief durchnässten Beobachter auf drei zu limitieren.

Dagegen hielten es 11 gleichzeitig anwesende Küstenseeschwalben etwas länger aus. Neben Einzelvögeln am 8. und 9.5. traten am 11.5. vier Ind. dieses eleganten Weltenbummlers in Erscheinung, der bei uns seit einiger Zeit auf dem Heimzug ungefähr doppelt so häufig identifiziert wird wie die nah verwandte Flußseeschwalbe.

Vom bundesweiten Einflug der Weißflügel-Seeschwalbe blieb auch unsere Region nicht unberührt. Zwischen dem 15. und 24.5. ließen sich vor allem am Seeburger See ca. 25-30 Ind. blicken, zumeist in kleinen Trupps von bis zu neun Ind. Drei Weißbart-Seeschwalben flogen am 24.5. über die Northeimer Kiesteiche. Anders als im Frühjahr 2006 (fünf Nachweise) machte sich der Wiedehopf nur mit einem Einzelvogel am 29.4. am Ortsrand von Gö.-Herberhausen bemerkbar.

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Abb.: Rotkehlpieper am Seeanger. Foto: C. Grüneberg

Bei den Sperlingsvögeln ist das vergleichsweise gehäufte Auftreten von Rotkehlpiepern erwähnenswert. Am Seeanger wurden zwischen dem 1. und 8.5. insgesamt drei Ind. dieser nicht alljährlich vorkommenden Art gesehen, deren Zuggeschehen sich zumeist östlich unserer Grenzen abspielt. Damit passte der Rotkehlpieper sehr gut in das für den Frühling 2007 typische Erscheinungsbild östlicher Arten (Weißflügel-Seeschwalbe, Doppelschnepfe, Teichwasserläufer und Schlagschwirl), das sich möglicherweise mit der über Wochen anhaltenden Ostwindlage im April erklären lässt. Und zu guter Letzt gelang es einem Vogel mit phänotypischen Merkmalen der Aschköpfigen Schafstelze am 18.4. an der Geschiebesperre Hollenstedt nicht, seiner Bestimmung als Seltenheit mit zuvor nur zwei regionalen Nachweisen zu entgehen.

H. H. Dörrie und S. Paul

Dieser Bericht hat vorläufigen Charakter und dient ausschließlich der relativ zeitnahen Information interessierter Zeitgenossen. Soweit noch nicht geschehen, sollten alle Beobachtungen “meldepflichtiger” Arten bei der Deutschen Seltenheitenkommission (DSK) bzw. der Avifaunistischen Kommission Niedersachsen (AKN) zur abschließenden Beurteilung eingereicht werden. Dies ist, möglichst in Kombination mit der Bekanntgabe in der Rubrik “Bemerkenswerte Beobachtungen” in der Zeitschrift “Limicola”, übrigens auch eine Vorbedingung für die spätere Aufnahme in unseren detaillierten Jahresbericht mit Angaben zu allen in der Region festgestellten Vogelarten.

Die Zusammenstellung basiert auf Daten von G. Brunken, H. Dörrie, M. Drüner, C. Grüneberg, U. Heitkamp, V. Hesse, P. Meyrahn, M. Neumann, F. Normann, S. Paul, C. Pielsticker, D. Raab, D. Radde, T. Rautenberg, B. Riedel, R. Rotzoll, D. Schmidt-König, M. Siebner, A. Torkler und J. Voss. An sie alle geht ein herzliches Dankeschön! h