Das Birdrace 2012 in Süd-Niedersachsen

Am ersten Samstag im Mai gingen in diesem Jahr drei süd-niedersächsische Formationen an den Start. Im Landkreis Göttingen wetteiferten das seit 2005 bestehende Traditionsteam der „Göttinger Sozialbrachvögel“ (Hans H. Dörrie, Christoph Grüneberg, Karl Jünemann und Mathias Siebner) und die jung-dynamischen „Gaensewiesel“ (Laura Demant, Sven Stadtmann, Felix Steinmeyer, Kim Stey sowie das volatile Birdrace-Urgestein Volker Hesse als Joker) miteinander.

Die seit 2010 bestehenden „Leinehänflinge“ (Steffen Böhner, Mischa Drüner, Lisa Hülsmann, Silvio Paul und Martin Schuck) waren in den benachbarten Landkreis Northeim ausgewichen, dessen artenreiche, keineswegs auf die Leineniederung zwischen Northeim und Einbeck beschränkte Vogelwelt es ebenfalls verdient hat, im Rahmen eines Rennens gewürdigt und dokumentiert zu werden.
Die Ergebnisse können im Detail auf der Homepage des Dachverbands Deutscher Avifaunisten (DDA) www.dda-web.de eingesehen werden.

Das Birdrace lief unter ausgesprochen unwirtlichen Bedingungen ab, die allen Beteiligten einiges abverlangten. Nur 2005 war das Wetter vergleichbar schlecht. Als die drei Teams gegen 4.00 Uhr in ihren ausgewählten Waldgebieten (Bramwald, Reinhäuser Wald und Solling) starteten, ließ der Regen nicht lange auf sich warten bzw. war es im Solling schon kräftig am Schütten. Bis zum Abend sollte sich daran nichts ändern. Mit Temperaturen von maximal 11°C in den frühen Morgenstunden – danach wurde es immer kühler – war es zudem, nun ja, recht frisch. Auf die gute Stimmung aller Teams hatten diese Widrigkeiten keinen Einfluss, wohl aber auf die erzielten Artenzahlen bzw. das Artenspektrum.

Bei den formverbesserten „Sozialbrachvögeln“ verlief der Tag ersprießlicher als im Vorjahr. Weil man von den „Leinehänflingen“ den Startpunkt Bramwald abgekupfert hatte, kamen mit Waldschnepfe, Waldkauz, Fichtenkreuzschnabel und Erlenzeisig gleich vier begehrte Waldbewohner auf die Liste. Die regional sehr selten gewordene Turteltaube konnte an der großen Windwurffläche bei Ellershausen als exklusive Art verbucht werden. Bei den Singvögeln schloss das Team gut ab; von den erwartbaren Arten fehlten nur Waldlaubsänger, Trauerschnäpper und (peinlich, peinlich) der Kolkrabe. Weiden- und Haubenmeise, Waldbaumläufer und Kernbeißer stellten diesmal kein Problem dar. Schmerzliche Lücken taten sich jedoch bei den Greifvögeln auf. Unter dem bleigrau verregneten Himmel waren nur Rotmilan, Wanderfalke, Turmfalke und Mäusebussard auszumachen.
Exklusiver Starvogel des Teams war ein rufender Fasan bei Ellershausen. Seitdem die Jäger ein Einsehen haben und den schnee- und kälteempfindlichen „Jagdpapagei“ nicht mehr zum Schießvergnügen aussetzen, ist er eine echte Rarität. Dass im nachvollziehbaren Eigeninteresse nicht ermittelt wurde, woher genau die Rufe kamen, versteht sich wohl von selbst…
Gesellschaftlicher Top-Event war wiederum der traditionelle Besuch des Cafés „Yesterday“ in der Göttinger Weststadt, das seinen nostalgischen Namen nicht dem vergilbten Retrocharme seiner Einrichtung verdankt, sondern den mehr oder minder leckeren Backwaren vom Vortag.
Mit 113 Arten konnte ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt und der strahlende Titel eines Göttinger Kreismeisters errungen werden.

Sozialbrachvögel
Abb. 1: Die „Göttinger Sozialbrachvögel“ bei der Siesta.

Die „Gaensewiesel“ begannen im Reinhäuser Wald, wo sie zuvor einen Brutplatz des Sperlingskauzes ausfindig gemacht hatten. Die Bonsai-Eule ließ nicht lange auf sich warten und schleppte eine dicke Maus an, halb so groß wie sie selbst. Ein Abstecher zu den ehemaligen Tongruben Siekgraben im Westen Göttingens gestaltete sich lohnend, denn mit einem späten Waldwasserläufer und einem Brachpieper (Birdrace-Erstnachweis) kamen nach dem Sperlingskauz zwei weitere exklusive Arten auf die Liste. Nur von diesem Team gesehen wurde auch der am Göttinger Flüthewehr residierende Eisvogel, wohl der einzige weit und breit. Wie bei den „Sozialbrachvögeln“ fehlte, neben dem Mittelspecht, der Kleinspecht. Obwohl sich beide Teams in der Nähe eines Brutplatzes aufgebaut hatten, gelangte dessen Bewohner nicht ins Blickfeld. Und ewig warten konnte man ja nicht… Zum Ausgleich genossen die Konkurrenten dann am Seeburger See einträchtig den Anblick von zwei Weißbart-Seeschwalben.
Weil die „Gaensewiesel“ bei den Meisen und Finkenvögeln schwächelten, kamen schlussendlich 104 Arten zusammen, die Platz 2 in der Göttinger Rangliste anzeigten.

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Abb. 2: Die „Gaensewiesel“ an der Sandgrube Meensen.

Mit 116 Arten konnten die „Leinehänflinge“ ihren dritten Sieg in Folge einfahren und sich als (vorerst!) unangefochtenes regionales Spitzenteam etablieren. Mit 308,20 € kam auch ein sehr gutes Spendenergebnis zugunsten der bundesweiten Datenbank ornitho.de zustande. Das systematische, wie üblich akkurat vorbereitete Anfahren attraktiver Bereiche des Sollings trug schnell Früchte. Waldschnepfen waren kein Problem, der Waldlaubsänger konnte exklusiv notiert werden. Auch der Mittelspecht ließ sich, bei besonders stark strömendem Regen, in einem Eichenwald bei Lauenberg als Bonusart auf die Liste setzen.
Bei den Eulen hakte es etwas: Die Sperlingskäuze waren offenbar zu sehr mit der Futtersuche beschäftigt um sich akustisch bemerkbar zu machen und ein Rauhfußkauz, dessen Balzgesang zuvor verlässlich zu vernehmen gewesen war, schien von einer rufenden Waldohreule dermaßen eingeschüchtert zu sein, dass er stumm und unsichtbar im Waldesdunkel verharrte.
An den Northeimer Kiesteichen und der Geschiebesperre Hollenstedt (mit limikolenfeindlich hohem Wasserstand) gelangten mit einem Sterntaucher und einem Fischadler gleich zwei unerwartete Bonusarten auf die Tagesliste.
Am Rand des Leinepolders Salzderhelden mit striktem Betretungsverbot ist das akustische Wahrnehmen von Rallen wegen des Verkehrslärms und der großen Entfernung ohnehin niemals einfach. Wind und schallschluckender Dauerregen taten am Renntag ein Übriges, so dass von dieser Familie nur die trivialen Arten Teichhuhn und Blässhuhn auf die Liste gelangten. Immerhin ließ sich im Leinepolder ein Rohrschwirl vernehmen.
Eine peinliche Lücke stellte bis zum Abend der fehlende Nachweis von Straßentauben dar. Von dem Notfallplan, sie in der Tristesse des Northeimer Bahnhofs mit einer Taschenlampe anzufunzeln und abzuhaken, wurde angesichts schwindender Kondition Abstand genommen – hinzu kam, dass dies womöglich, an einem Bundesliga-Heimspieltag, in der grenzwertigen Gesellschaft betrunkener Fans von Hannover 96 erfolgt wäre…

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Abb. 3: Die „Leinehänflinge“.

Fazit: Alle waren wieder mit Begeisterung bei der Sache. Und für das kommende Jahr kann man wohl ohne jede Hybris prognostizieren: So schlecht wie 2012 wird das Wetter nicht sein! Hans-Heinrich Dörrie

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Abb. 4: Weißbart-Seeschwalbe am Seeburger See Foto: M. Siebner