Vögel im Stau – nur auf Kaffeepause in der südniedersächsischen Schneewehe?

Wiesenpieper - M.Siebner
Abb. 1: Wiesenpieper am verschneiten Flüthewehr. Foto: M. Siebner

In Massen trompetende Kraniche, handzahme Feldlerchen, Limikolenschwärme wie im Wattenmeer – manch einem Naturfreund erschienen die südniedersächsischen Feuchtgebiete im März 2013 wie Paradiese, die man sonst nur aus Filmen kennt. Doch die extremen Wetterbedingungen stellten für die meisten Vögel eine Notsituation dar, die sie bei Strafe des Untergangs zu meistern hatten. Auch für empfindsamere Naturen unter den heimischen Avifaunisten, die den kälte- und schneegestressten Mitgeschöpfen nur noch die Daumen drücken konnten, war die wochenlange Kälteperiode alles andere als erquicklich. Kurz nach dem meteorologischen Frühlingsanfang ließen milde Temperaturen über 10 Grad den Winter schon in Vergessenheit geraten. Doch was dann aus nordöstlicher Richtung an kalter Polarluft bis weit ins südliche Mitteleuropa verfrachtet wurde, spottete dem Blick auf den Kalender und brachte den Glauben an Klimaerwärmung und immer mildere Winter ins Wanken. Eine stabile Hochdruckwetterlage über den Britischen Inseln und ein Tiefdruckgebiet über Osteuropa schaufelten über Wochen kalte Luftmassen heran. Dazu pustete ein beißender Ostwind die Frühlingsgefühle eines jeden noch so hartgesottenen Optimisten bis nach Spanien. Im Süden Deutschlands hielten sich milde Temperaturen noch etwas länger, sodass die regulär im Laufe des Monats bei uns eintreffenden Vogelarten bis in die Landesmitte vorrücken konnten. Der Norden und Osten Deutschlands lagen hingegen bereits ab dem zweiten Märzwochenende wieder unter einer dicken Schneedecke. Die für einen März außergewöhnlich kalte und vor allem stabile Wetterlage, mit der Kaltluftgrenze über Südniedersachsen, bescherte unserer Region einen, was Ausmaß und Dauer anbelangt, noch nie registrierten Zugstau früh heimziehender Vogelarten, der eine gesonderte Auswertung verdient.

Abb. 2: Die Mittagstemperaturen am 10.3.2013 lassen die über Südniedersachen verlaufende Wetterscheide gut erkennen. Quelle: wetteronline.de
Abb. 3: Kalte Nacht vom 13.3.2013. Die Kombination einer Schneedecke mit eisigen Temperaturen vor allem in der Nordost-Richtung zwang viele Vögel in der Region zu verharren. Quelle: wetteronline.de

Nicht nur die langjährigen Minusrekorde auf der Temperaturskala, sondern auch viele Rastmaxima verschiedener Vogelarten, sowohl regional als teils auch überregional, wurden regelrecht „pulverisiert“. Kraniche und Feldlerchen mussten in der auch zu anderen Jahreszeiten trostlosen Agrarlandschaft Südniedersachsens über viele Tage ausharren. Bekassinen stocherten zu Hunderten durch den schneebedeckten Leinepolder Salzderhelden und Lachmöwen waren zeitweise gezwungen, in der Göttinger Innenstadt dem Nahrungserwerb nachzugehen. Wie sich der Zugstau bei einigen Vogelarten bemerkbar machte, soll hier im Einzelnen dargestellt werden.

Der Leinepolder Salzderhelden war während der Wetterkapriolen von Tausenden Vögeln bevölkert, die in den Flachwasserbereichen nach Nahrung suchten. Bis zu 1500 Krickenten zeigten ein neues Maximum für Südniedersachsen an. Stockenten demonstrierten mit bis zu 3000 Ind. eine für den März ungewöhnlich starke Präsenz. Spießenten waren mit bis zu 400 Ind. ebenfalls rekordverdächtig vertreten, während bei den anderen (Gründel-)Entenarten eher durchschnittliche Zahlen gemeldet wurden. Die Gänsezahlen fielen nicht besonders spektakulär aus: Die hartgesottenen Tundrasaatgänse hatten sich schon vor dem Kälteeinbruch in ihre Brutgebiete aufgemacht. Blässgänse waren zwar mit bis zu ca. 1000 Ind. über eine längere Zeit vertreten, doch ist diese Zahl mehr überdurchschnittlich als sensationell. Generell haben, so scheint es zumindest, Wasservogelarten unter dem Zugstau weniger gelitten als andere. Dies ist damit zu erklären, dass, man glaubt es kaum, der durch Mark und Bein gehende Ostwind auch sein Gutes hatte: Er sorgte für einen hohen Wellengang, der die meisten Gewässer nicht oder nur tageweise leicht zufrieren ließ.

Der kleine Göttinger Kiessee und auch andere stadtnahe Gewässer wie die Kiesgrube Reinshof und der Wendebachstau präsentierten sich dank der lokalen Angelvereine und ihrer vogelfreundlichen Besatzmaßnahmen als Anziehungspunkt für eine kopfstarke und bunte Palette von Fischfressern: Bis zu 140 Gänsesäger waren am Göttinger Stadtrand in dieser Größenordnung ein Novum. Das Maximum wurde jedoch am Seeburger See mit mindestens 260 Ind. erreicht.

Gänsesäger - M.Siebner
Abb. 4: Gänsesäger am Göttinger Kiessee. Foto: M. Siebner

Ebenso wie die Gänsesäger konnten auch die Kormorane ihren Zug in die nordöstlichen Brutgebiete, wo sämtliche Stillgewässer zugefroren waren, nicht fortsetzen. Geschadet hat es ihnen kaum. Am Kiessee konnten bis zu 190 Ind. bei ihren äußerst erfolgreichen Tauchgängen beobachtet werden. Der bei ihrer Jagd entstehende „Beifang“ wurde dankend von Lachmöwen(s.u.)sowie Grau– und Silberreihern angenommen.

Bis zu drei Fischadler jagten am Göttinger Kiessee ebenfalls sehr erfolgreich und blieben ungewöhnlicherweise über mehrere Tage im Gebiet.

Fischadler - M.Siebner
Abb. 5: Fischadler bei Schneefall über dem Göttinger Kiessee Foto: M. Siebner

Die hohen Rastbestände von Kleinvögeln dürften der Grund für die regional auf dem Heimzug außergewöhnlichen sieben Beobachtungen des Merlins gewesen ein.

In der Nacht vom 9. auf den 10. März wurden im ganzen Beobachtungsgebiet laut rufende Kranichtrupps bemerkt, die aufgrund der schlechten Sicht in sehr geringer Höhe desorientiert umherflogen. Ab dem 10. März konnten dann auf vielen Äckern, teilweise auch in Siedlungsnähe, größere rastende Gruppen festgestellt werden. In den folgenden Tagen sorgten Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt und starke Schneefälle im Nordosten Deutschlands für einen ausgeprägten Umkehrzug aus diesen Regionen, während gleichzeitig weiterer Zuzug aus dem Südwesten stattfand. Auf dem Höhepunkt der Kälteperiode konnten an den Schlafplätzen im Leinepolder sowie im Seeanger bei Seeburg 7800 bzw. 7000 Kraniche gezählt werden. Daneben gab es offenbar noch kleinere Schlafplätze, u.a. im Stockhäuser Bruch und auf der Dransfelder Hochfläche. Annähernd vergleichbar große Rastzahlen konnten nur während einer Schlechtwetterphase Anfang November 2002 im Leinepolder ermittelt werden, als dort ca. 5000 Ind. auf bessere Zugbedingungen warteten. Für den Heimzug ist die Zahl von (mindestens) 15.000 Ind. jedoch singulär. Die Vögel suchten tagsüber im weiteren Umfeld ihrer Schlafplätze auf Äckern nach Nahrung. Der Einzugsbereich des Schlafplatzes am Seeanger reichte bis ins Thüringer Eichsfeld. Allabendlich wurde die Landesgrenze von ca. 1000 Vögeln in Richtung Niedersachsen überflogen. Mit zunehmender Verweildauer wurden, zur Ablenkung oder auch aus Mitleid mit den darbenden Großvögeln, Fütterungen auf einigen Feldern ausgebracht, die ihre Fitness augenscheinlich beträchtlich steigerten. Während sie sich an den Hungertagen stumm und in ihr Schicksal ergeben an den Schlafplätzen geballt hatten, erwachte jetzt wieder ihre Ruffreudigkeit und etliche begannen sogar ihre beeindruckenden Tänze aufzuführen. Geschwächte Vögel konnten sich offenbar schnell erholen. Weil Kraniche schlau sind und ein gutes Gedächtnis haben, könnten sich einige von ihnen in den kommenden Zugperioden wieder an den Futterplätzen einfinden: Nachschauen kost’ ja nix…

Abb. 6: Tausende Kraniche im Seeanger. Foto: M. Siebner

Goldregenpfeifer wurden nach dem ersten Kälteeinbruch ab dem 9. März im Leinepolder mit einer Rekordzahl von knapp 800 Ind. wahrgenommen. Danach schienen viele wieder Richtung Süden ausgewichen zu sein, denn mit der Änderung der Wetterlage gegen Ende der ersten Aprildekade war ein für die Region zu dieser Zeit absolut ungewöhnlicher Durchzug mit bis zu 100 Ind. zu verzeichnen.

Wie die vorherige Art wurden auch die Kiebitze zu einer Schneeflucht in großem Stil gezwungen. Am 21. März wurden allein in der Leineniederung nördlich von Northeim insgesamt mindestens 6700 und im Seeanger 3300 Vögel gezählt, die in dicht gedrängten Trupps Schnee und Wind zu trotzen versuchten. Auch südlich von Göttingen dürften es weit über 1000 gewesen sein. Diese Vögel wichen zumindest zum Teil wie die Goldregenpfeifer in weithin schneearme oder -freie Gebiete im Südwesten aus. Am 7. April machte sich dann der zweite Heimzugversuch von Kiebitzen mit beispielsweise 5850 innerhalb von drei Stunden nach ONO ziehenden Ind. über Ebergötzen eindrucksvoll bemerkbar.

Kiebitz - M.Siebner
Abb. 7: Torwart wider Willen, und hungrig dazu. Auf dem Sportgelände in der Göttinger Südstadt gestrandeter Kiebitz. Foto: M. Siebner

In dieser Größenordnung nicht nur regional beispiellos waren 1620 Bekassinen im Leinepolder Salzderhelden, die sich dort nach den Schneefällen am 20. und 21. März eingefunden hatten. Im Seeanger wurden mindestens 410 Ind. festgestellt, die auch dort ein neues Maximum darstellten. Selbst kleinflächige Feuchtgebiete wie der Stockhäuser Bruch wurden von bis zu 50 Vögeln frequentiert. Ein Teil scheint zwar wie Kiebitze und Goldregenpfeifer nach und nach die Region Richtung Südwesten verlassen zu haben; dennoch harrten auch während der Eistage um den 23. März viele Bekassinen in Leinepolder und Seeanger aus. Hohe Zahlen (mehr als 400 Ind.) wurden für diesen Zeitraum auch vom Steinhuder Meer und aus dem Kreis Gießen gemeldet.

Bekassinen - S.Paul
Abb. 8: Bekassinen im Leinepolder Salzderhelden. Foto: S. Paul

Anders als ihr naher Verwandter ist die Waldschnepfe auf dem Zug ausgesprochen ungesellig. Daher sind gleich neun Beobachtungen von acht Ind. während der Zugstausituation sehr ungewöhnlich. Weil der Boden in den Wäldern, ihrem bevorzugten Brut- und Rasthabitat, mit verharschtem Schnee bedeckt war, der jedes Stochern nach Würmern und Arthropoden unmöglich machte, sahen sich die Vögel zum Ausweichen in die Niederungen gezwungen. Wie bizarr dies im Einzelfall verlief, zeigte eine Waldschnepfe, die am 24. März an der Ecke Angerstraße/Gartenstraße in der Göttinger Südstadt bar jeder Deckung auf einer Rasenfläche nach Nahrung suchte. Weil Vögel in der Regel über kein Mienenspiel verfügen – die irgendwie immer gemütlich aussehende Waldschnepfe erst recht nicht -, kann man dem (vermutlich) völlig ausgehungerten Tier nicht ansehen, wie ihm zumute war. Am 14. und 22. März flog eine Waldschnepfe im Göttinger Levin-Park auf, wahrscheinlich derselbe Vogel mit einer für den Siedlungsbereich ungewöhnlich langen Verweildauer.

Waldschnepfe - M.Siebner
Abb. 9: Waldschnepfe in der Göttinger Südstadt. Foto: M. Siebner

Der Göttinger Kiessee war nicht nur für Kormorane und Gänsesäger ein attraktives Terrain. Bis zu 900 Lachmöwen (ein Kiessee-Rekord) nutzten den See als Rast- und Schlafplatz und unternahmen von dort Nahrungsflüge in die Feldmarken südlich der Stadt. Ihr Hunger war groß, denn selbst in der Göttinger Innenstadt wurden Lachmöwen beobachtet, die im Schatten der Dönerläden auf der Weender Straße nach Essbarem suchten. In möwenreichen Großstädten wie Hamburg oder Berlin kann dieses Verhalten regelmäßig beobachtet werden, in Südniedersachsen war es hingegen etwas nie zuvor Dagewesenes. Ihre Zahl nahm nach dem 22. März vermutlich ebenfalls durch Abzug nach Südwesten kontinuierlich ab.

Lachmöwen - M.Siebner
Abb. 10: Lachmöwen am Schlafplatz auf dem Göttinger Kiessee. Foto: M. Siebner

Nach den Schneefällen am 20. und 21. März sowie erneut am 29. stauten sich Feldlerchen in großen Schwärmen auf den Äckern der Region. Ihre regionale Gesamtzahl lässt sich nur schwer ermitteln, sie könnte aber – bei Tagessummen von bis zu 10.000 Ind. allein in den Randbereichen des Leinepolders Salzderhelden – durchaus im hohen fünfstelligen Bereich gelegen haben. Gerade bei dieser Art schwankten die Zahlen besonders auffällig, es war ein von Schneefällen stimuliertes ständiges Kommen und Gehen, mit gleichzeitig nordostwärts gerichtetem Zug und Ausweichbewegungen nach Südwesten. Knapp 3000 Vögel, die über Tage in der südlichen Göttinger Feldmark ausharrten bildeten eher die Ausnahme.

Feldlerchen - M.Siebner
Abb. 11: Feldlerchenschwarm in der Feldmark Reinshof. Foto: M. Siebner

Die ebenfalls im März ziehende Heidelerche wurde angesichts der Wetterlage in vergleichsweise geringer Zahl beobachtet. Auffällig war jedoch, dass sich bis zu drei Ind. für mehrere Tage an der „Meyerwarft“ am Göttinger Kiessee aufhielten.

Heidelerche - M.Siebner
Abb. 12: Ausharrende Heidelerche an der „Meyerwarft“. Foto: M. Siebner

Mindestens 600 Bachstelzen, auch dies eine Rekordzahl, suchten am 21. März im Leinepolder Salzderhelden nach Futter. Weil sie auf tierische Nahrung angewiesen sind, die in Eis und Schnee kaum zu erbeuten ist, hatten sie es besonders schwer. Da die Feuchtsenken und flach überschwemmten Flächen ab der letzten Märzdekade tagsüber bei leichten Plusgraden wieder auftauten, konnten sie vielleicht noch gerade so über die Runden kommen. Gleichwohl dürfte der Großteil von ihnen zwischenzeitlich wieder abgezogen sein.

Schwer zu quantifizieren waren die überall im Stadtgebiet umherfliegenden Stare, deren Gesamtzahl sich ebenfalls auf mehrere Tausend Ind. beziffern dürfte. Viele Vogelfreunde staunten nicht schlecht, als ihre Futterhäuser von gleichermaßen großen wie hungrigen Starentrupps heimgesucht wurden, insbesondere dann, wenn statt der üblichen Sonnenblumenkerne Fettfutter gereicht wurde.

Auffällig war das weitgehende Ausbleiben von Wacholder– und Rotdrosseln, die normalerweise zwischen Ende Februar und Ende März, oft zusammen mit Kiebitzen und Staren, in großer Zahl auf Wiesen zu beobachten sind. Dagegen wurden aus Südwestdeutschland enorme Konzentrationen rastender Drosseln gemeldet. Offenkundig waren diese Vögel ebenfalls von dem Zugstau betroffen, der sich in diese Richtung quasi vorgearbeitet hatte.

Der sonst sehr unauffällige Heimzug der Misteldrossel verlief im März 2013 dagegen beispiellos. In der mistelreichen Göttinger Südstadt wurden tageweise bis zu 300 Ind. in lockeren Verbänden (bis zu 70 Ind. im Trupp an einem Baum!) beobachtet. Ihre namensgebende Nahrungsgrundlage schrumpfte jedoch zusehends. Der Grund für das massenhafte Auftreten dieses scheuen Waldvogels im Siedlungsbereich dürfte in den mit verharschtem Schnee bedeckten Waldgebieten unserer Berglandregion zu suchen sein. Misteldrosseln halten sich während des Zugs zur Nahrungsaufnahme gerne auf Lichtungen und waldnahen Offenflächen auf. Weil sie diesen Lebensraum nicht nutzen konnten, waren sie, ähnlich wie die Waldschnepfen, zum Ausweichen gezwungen. Vergleichbare Ansammlungen sind aus dem gesamten Bundesgebiet zumindest in den einschlägigen Datenbanken nicht zu finden.

Misteldrossel - M.Siebner
Abb. 13: Eine von vielen: Misteldrossel. Foto: M. Siebner

22 Beobachtungen von mindestens ebenso vielen Ind. des Schwarzkehlchens zwischen dem 18. März und dem 10. April signalisierten nicht nur einen Regionalrekord, sondern vor allem, dass auch diese recht robuste Art durch die kalte Witterung massiv am Weiterzug gehindert wurde. Immerhin entgingen sie hier der Schmach, mit Braunkehlchen verwechselt zu werden, wie dies in einigen Regionen der Fall war. Ob die lange Verweildauer einiger Vögel eventuell sogar in neuen Brutansiedlungen mündet, bleibt abzuwarten. Bislang ist das Schwarzkehlchen, trotz bundesweit positivem Trend, mit weniger als 10 Paaren in der Region immer noch ein sehr spärlicher Brutvogel.

Schwarzkehlchen - M.Siebner
Abb. 14: Diesem männlichen Schwarzkehlchen erging es besser als seinen Artgenossen. Es wurde nämlich im April 2009 am Tierpark Sababurg in Nordhessen fotografiert. Foto: M. Siebner

Wie viele Vögel von dem Zugstau betroffen waren, lässt sich nicht mit Exaktheit sagen. Durch die besondere Lage Südniedersachsens mitten auf der Kaltluftgrenze war eine starke Dynamik zu erkennen. Bei einigen Arten wie der Feldlerche oder den Staren und auch Greifvögeln wie dem Rotmilan schienen immer wieder Vögel entweder nach Süden abzuziehen oder aus dieser Richtung neu in der Region einzutreffen. Keinesfalls hatte man den Eindruck, dass der Vogelzug nun vollständig zum Erliegen gekommen wäre. Die Ereignisse im März 2013 illustrieren anschaulich, dass ein Zugstau keine statische Angelegenheit ist, bei der eine konstante Zahl von Vögeln bis auf weiteres einfach im Schnee stecken bleibt. Dies beantwortet auch die Frage in der Überschrift: Die Natur ist keine Autobahn, wo das Rote Kreuz mit Wärmedecken und Kaffee aushilft bis der Schneepflug kommt.

Die einmaligen und spektakulären Ansammlungen von Vögeln, vor allem von Kranichen, riefen auch viele interessierte Laien und Hobbyfotografen auf den Plan. Nicht immer begegnete man den Vögeln dabei mit dem gebührenden Abstand und Respekt. Mehrfach konnte beobachtet werden wie skrupellose Fotografen sie an ihrem Schlafplatz mutwillig aufscheuchten. Auch Spaziergänger mit freilaufenden Hunden versetzten – trotz mehrfacher Aufrufe in der Tagespresse und im Radio – die ohnehin schon arg von Schnee und Kälte gepeinigten Vögel in Unruhe, was ihre Konstitution weiter schwächte.

Der beispiellose Zugstau löste sich im Laufe der ersten Aprildekade weitestgehend auf. Derzeit verweilen Kraniche mit ca. 500 Ind. aber immer noch in einer für Jahreszeit und Region ungewöhnlich großen Zahl.

Wie stark der immerhin drei Wochen andauernde Kälteeinbruch und die Ausweichbewegungen den Tieren zugesetzt haben, lässt sich zunächst nicht genau sagen. Die befürchteten Verluste scheinen jedenfalls bei den Kranichen und anderen Großvögeln ausgeblieben zu sein. Bei Kontrollen konnten auf den Feldern um die Schlafplätze weder Kadaver noch Indizien dafür (Aasfresser, Rupfungen) gefunden werden. Bei kleineren (Sperlings-)Vögeln, deren entseelte Leiber kaum auszumachen sind, lassen sich Verluste noch schwieriger bis gar nicht dokumentieren.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Entbehrungen nicht in einem schlechten Bruterfolg in der kommenden Saison niederschlagen.


Christoph Grüneberg und Hans-Heinrich Dörrie

Dieser Bericht basiert auf Daten von: P.H. Barthel, S. Böhner, T. Brandt, G. Brunken, H. Dörrie, K. Dornieden, M. Drüner, H. Edelhoff, M. Fichtler, M. Göpfert, E. Gottschalk, C. Grüneberg, V. Hesse, K. Hinsch, K. Jünemann, C. Kaltofen, J. Kirchner, V. Lipka, T. Meineke, F. Mühlberger, M. Otten, S. Paul, B. Preuschhof, D. Radde, P. Reus, M. Risch, H. Schmidt, M. Siebner, A. Stumpner, S. Stübing, M. Schuck, M. Wimbauer und D. Wodner.

Auswahl der Wetterkarten: M.Schuck