Naturschützer fordern: Auwald statt Steppe!

Geschiebesperre Hollenstedt - M.Siebner
Abb. 1: Lebensfeindliche Wüstenei an der Geschiebesperre

Auwälder sind in Europa und anderswo Lebensräume mit der höchsten biologischen Diversität. Ihr Wert als Speicher von klimaschädlichen Kohlenwasserstoff-verbindungen ist unschätzbar. Durch Eindeichungen und Flussbegradigungen, Staustufen und ihre Umwandlung in Agrarland und Gewerbegebiete sind sie leider dramatisch geschrumpft.
Im Leinetal zwischen Göttingen und Einbeck prägten Auwälder über Jahrtausende das Landschaftsbild. Dann kam der Mensch und hackte sie ab. Nur an wenigen unzugänglichen Stellen konnte sich die ursprüngliche Vegetation behaupten. Eine davon ist die Geschiebesperre Hollenstedt bei Northeim. Doch wenn man diesen Geheimtipp heute aufsucht, macht sich Entsetzen breit: Statt der einstmals üppig wuchernden Wildnis ist nur noch eine spärlich bewachsene Offenfläche zu sehen, auf der ein paar Gänse grasen!

Was war geschehen? Eine Anfrage empörter Naturschützer beim Landkreis Northeim ergab: Das Gelände befindet sich seit 2007 im Besitz eines Geflügelmästers aus dem nicht weit entfernten Langenholtensen. Um Platz für eine „Gänse-Erlebnisweide“ als Attraktion für motorisierte Naturfotografen zu schaffen, hatte er den Wald kurzerhand roden lassen. Der Umweltfrevel diente dem Zweck, das werbewirksame Öko-Label des ADAC zu erlangen und so dem ins Hintertreffen geratenen Unternehmen vielleicht wieder auf die Beine zu helfen.

Von dieser Auskunft waren die Naturschützer verständlicherweise mehr aufgebracht als ruhig gestellt. Jetzt ging es nur noch um Eines: Wie kann, notfalls auch mit einer Guerilla-Taktik, der ursprüngliche Lebensraum möglichst schnell wieder hergestellt werden?
Um konkrete Schritte zu beratschlagen, wurde eine Kapazität mit internationaler Reputation eingeladen: Prof. Dr. Alois Schwarzenegger vom Auwald-Forschungsinstitut im österreichischen Braunau am Inn. Heute nun erschien er endlich, in Begleitung seines Langzeitdoktoranden Benedikt Fritzl, vor Ort – und war außer sich: „ Dös is a Sauerei, do muaß wos g’schehn“, platzte er heraus. Auf die bange Frage „Was denn?“ kam die knappe Antwort: „Ginkgo!“

Der Professor und sein kleiner Famulus
Abb. 2: Der Professor und sein kleiner Famulus

Ginkgo? Fremdartiger kann ein Wort kaum klingen, zumal von einem erdverbundenen Oberösterreicher. Daher musste ein besonders triftiger Grund vorliegen, es in den Mund zu nehmen. Und in der Tat: Hinter diesem rätselhaften Begriff verbirgt sich nichts weniger als – die Rettung unserer Biosphäre! Zu dieser Erkenntnis gelangte Prof. Dr. Schwarzenegger allerdings, wie er freimütig einräumte, erst nach einer schmerzlichen Umwertung liebgewordener Vorstellungen und Traditionen.

Beim Ginkgo, erklärte er den Umstehenden, handelt es sich um eine ostasiatische Baumart, die ein wahres ökologisches Kleinod ist. Einzelne Exemplare können bis zu 4000 Jahre alt werden und sind deshalb für längerfristig angelegte Renaturierungsprojekte besonders gut geeignet. Die Bäume sind äußerst robust und widerstandsfähig. Legendär ist der „Ginkgo von Hiroshima“, der am 6. August 1945 nur 800 Meter vom Explosionsort einer Atombombe stand und, obwohl blitzschnell verdorrt, schon im nächsten Frühling wieder grüne Triebe schob. Zudem konnte unser Referent mit einem Aufsehen erregenden Experiment belegen, dass ein zarter Schössling mehr als neun Jahre in einem unterirdischen Verließ ohne natürliches Licht zu überdauern vermag – bewundernswert!
Den Einwand eines Skeptikers, ob man mit einer „nicht standorttypischen Baumart“ einen Auwald restaurieren könne, widerlegte der Experte souverän: Angesichts der rasant verlaufenden globalen Erwärmung werden – durch regelmäßige Flutkatastrophen, lang anhaltende Dürreperioden und monatlich auftretende Orkane – demnächst alle heimischen Wälder verschwunden sein. Daher ist das flächendeckende Ausbringen einer Baumart, die wie keine Zweite gegen solche Kalamitäten gewappnet ist, nicht nur alternativlos, sondern auch eine moralische Verpflichtung. Dies gilt übrigens auch für das ganzjährige Füttern wildlebender Vögel, fügte er etwas unvermittelt hinzu.

Um seinen Ausführungen Taten folgen zu lassen, zauberte er aus den Tiefen seiner Manteltasche eine Portion Ginkgo-Samen hervor. „Die gibt’s in a jedem Gartencenter“, erläuterte er mit einer aufmunternden Geste.

Ginkgo-Samen
Abb. 3: Ginkgo-Samen in handlicher Vorratspackung

Gesagt, getan: Schnell war ein kleines Loch gegraben und das Samenkorn behutsam versenkt.

Der Anfang ist gemacht
Abb. 4: Der Anfang ist gemacht! Bald wächst der Auwald.

Höhepunkt der Zeremonie war eine bewegende Ansprache des knorrigen Innviertlers. Sie endete in dem (bemüht hochdeutschen) Ausruf „… und hiermit verkünde ich den Eintritt Eurer Heimat in das Tausendjährige Ginkgo-Reich“. Spätestens jetzt waren alle von tiefer Rührung überwältigt – kein Auge weit und breit, das trocken blieb.

Der Abschied von Prof. Dr. Schwarzenegger und seinem putzigen Gefährten fiel heiter und optimistisch aus. Denn nach dieser denkwürdigen Begegnung dürfte klar sein: Es geht voran, unsere schöne Gemeinschaft wächst und die Natur kommt endlich wieder in Ordnung!