Schutzgebiete, die dem Erhalt und der Förderung bestimmter Organismengruppen dienen sollen, bedürfen regelmäßiger Bestandsaufnahmen von Flora und Fauna zur Analyse des Erhaltungszustands. In pflegebedürftigen Schutzgebieten steht hierbei die Evaluierung und Optimierung stattfindender Maßnahmen im Vordergrund. Oftmals finden solche Inventuren, vorrangig aus monetären Gründen, nur für wenige, ausgewählte Indikatorarten statt, deren Vorkommen und Bestandssituation den Zustand ganzer Vogelgemeinschaften repräsentieren und dadurch Rückschlüsse auf die Qualität des Lebensraumes zulassen (z.B. Lauterbach, 2009).
Wenngleich dieses Vorgehen heute weitgehend anerkannt ist, so erreicht es dennoch nicht die Aussagekraft ganzheitlicher Untersuchungen. Besonders zur Identifizierung von Veränderungen im kleinräumigen, regionalen Kontext sind intensive Erhebungen notwendig. Die Revierkartierung gilt als geeignete Methode zur Ermittlung von Brutvogelbeständen und kann durch Wiederholungen Veränderungen, und auf diesem Wege auch die Effektivität von stattfindenden Pflegemaßnahmen, aufdecken.
Im Naturschutz- und Flora-Fauna-Habitat-Gebiet Kerstlingeröder Feld fanden zuletzt in den Jahren 2000 und 2001 Revierkartierungen ausgewählter Vogelarten statt. Dabei konnten bei zahlreichen im Bestand gefährdeten Arten der halboffenen Kulturlandschaft wie Baumpieper, Fitis und Neuntöter bemerkenswert hohe Siedlungsdichten festgestellt werden, was die überregionale Bedeutsamkeit des Schutzgebietes verdeutlicht (Geodelt & Schmaljohann, 2001; 2002).
Für die Mehrheit der während beider Untersuchungen (2000/2001 und 2019) festgestellten Brutvogelarten, darunter mehrere anspruchsvolle und stark bedrohte Arten, konnten geringe oder keine Bestandsveränderungen nachgewiesen werden, was zunächst auf stabile Lebensraumbedingungen schließen lässt. Hier sind Wendehals, Kleinspecht, Grauspecht, Neuntöter, Grauschnäpper, Gartenrotschwanz und Baumpieper zu nennen. Grünspecht, Feldlerche und Dorngrasmücke konnten im Offen- und Halboffenland sogar Bestandszunahmen erreichen; die Waldarten Zilpzalp, Mönchsgrasmücke, Rotkehlchen, Buchfink und Misteldrossel folgen demselben Trend.
Durch Sukzession hervorgerufen hat sich der Lebensraum zwischen den Untersuchungsjahren in bestimmten Teilen des Gebietes jedoch stark verändert, mit schwerwiegenden Folgen für die Bestände einzelner Vogelarten. Von starken Rückgängen betroffen sind Fitis, Gartengrasmücke und Grünfink als Charaktervögel lichter Wald- und Gehölzstrukturen sowie die Klappergrasmücke. Weiterhin konnten Kuckuck, Waldohreule, Turmfalke und Feldschwirl nicht mehr als Brutvogel nachgewiesen werden; als vermutlich standörtliche Neubürger traten dagegen Graugans, Mittelspecht, Waldlaubsänger und Stieglitz in Erscheinung.
Insgesamt konnten während der Erfassung 89 Arten (ggü. 84 Arten 2000/2001) dokumentiert werden, wovon 53 (ggü. 45) als Brutvogel und 36 (ggü. 39) als Durchzügler oder Nahrungsgast auftraten. Von insgesamt 726 ermittelten Brutvogelrevieren am Kerstlingeröder Feld fällt gut die Hälfte (52 %) auf die in Mitteleuropa generell häufigen Arten Buchfink, Kohlmeise, Zilpzalp, Mönchsgrasmücke, Rotkehlchen, Blaumeise und Amsel – die Halboffenlandarten Baumpieper und Neuntöter erreichen mit 34 und 21 Revieren immerhin Platz acht und elf.
Die aktuell durchgeführten Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen scheinen dem überwiegenden Teil der Brutvogelgemeinschaft insoweit entgegenzukommen, als dass sich bis dato stabile Populationen halten konnten. Zur Förderung (noch) vorkommender Lichtwaldarten, zur Verhinderung einer weiteren Verbuschung und Bewaldung sowie zum Erhalt des offenen Gesamtcharakters und daran angepasster Organismen wird eine Anpassung mindestens der im westlichen Teil des Kerstlingeröder Felds stattfindenden Pflegemaßnahmen dringend empfohlen. Ein einmaliger, großflächiger Eingriff zur Entfernung dichter Stangengehölze könnte hier kurzfristig bereits Abhilfe schaffen. Langfristig muss eine nachhaltigere Lösung gefunden werden – die Möglichkeit einer großflächigen, ganzjährigen Beweidung durch verschiedene größere Herbivoren sollte bei zukünftigen Planungen zumindest in Erwägung gezogen werden.
Soweit die Zusammenfassung. Den ganzen Bericht als PDF hier:
Béla Bartsch und Malte Georg