Das Birdrace 2014 in Süd-Niedersachsen

Alpenstrandläufer
Abb.1: Alpenstrandläufer während des Birdrace an der Kiesgrube Reinshof. Foto: M. Siebner

Am 3. Mai gingen unter passablen Wetterbedingungen – maximal 12°C, Sonne und Wolken im Wechsel sowie ein manchmal auffrischender Wind der Stärken 2 bis 3 – zwei Teams an den Start: die „Göttinger Sozialbrachvögel“ (Mathias Siebner, Hans H. Dörrie, Christoph Grüneberg, Karl Jünemann und Moritz Otten) und die „Göttinger Siebenschläfer“ (Béla Bartsch, Maarten Mooij und Verena Rösch). Beide Formationen waren mit Auto und Fahrrad unterwegs. Die aus den Vorjahren bekannten „Leinehänflinge“ änderten ihren Namen in „Schwarze Elsterhänflinge“ und zogen in den sächsischen Landkreis Bautzen um. Die Gesamtergebnisse können auf der Website des Dachverbands Deutscher Avifaunisten (DDA) unter dda-web.de studiert werden.

Das neue Team der „Siebenschläfer“ hatte sich 100 Vogelarten zum Ziel gesetzt. Dieses wurde mit 99 Arten nur knapp verfehlt. Die erste Art des Tages war ein heulender Waldkauz im Bramwald bei Ellershausen. Als Ouvertüre so schlecht nicht…Danach ließen sich für einige Zeit mehr Hasen als Vögel blicken.

In Göttingen und Umgebung kamen unter anderem Eisvogel und Zwergtaucher hinzu, die Anfang Mai nicht in jedem Jahr zu sehen sind. Auf dem Kerstlingeröder Feld zeigten sich die Wendehälse sehr unkooperativ – sie gaben keinen Mucks von sich und waren deshalb nicht auszumachen. Nachdem zwei Teammitglieder – der Name legt es nahe – sich eine halbe Stunde Schlaf gegönnt hatten, ging es munter weiter. Mit Mittelspecht und Waldlaubsänger kamen im Göttinger Stadtwald zwei Arten auf die Liste, die der Konkurrenz fehlten.

Am Seeanger hatte die am Vortag beobachtete Zitronenstelze leider das Weite gesucht; gleichwohl sorgten einige Limikolen, Weißstörche im Formationsflug und ein Silberreiher für Entschädigung. Am Seeburger See gerieten mit Zwergmöwe, Schwarzhalstaucher und Trauerseeschwalbe drei attraktive Bonusarten ins Blickfeld. Das Beobachten wurde leider durch zahlreiche Angelruten behindert, mit denen Petrijünger den Steg förmlich bepflastert hatten. Hinzu kam ein regelrechtes Zeltlager, um das sich Gestalten scharten, die in Kleidung und Habitus an die derzeit in der Ukraine (West und Ost) marodierenden Dunkelmänner erinnerten. Auch den „Sozialbrachvögeln“, die später eintrafen, ging die rabiate Besetzung eines öffentlichen Raums mächtig auf den Zeiger.
Gegen Abend unternahmen die „Siebenschläfer“ einen letzten Versuch, um die Wasseramsel zu verbuchen. An der Lutter auf Höhe der Norduni war es dann endlich soweit.

Das Rennen hat den Newcomern großen Spaß bereitet. Die Anstrengung hielt sich in Grenzen und die Motivation, auch im kommenden Jahr wieder dabei zu sein, ist auf jeden Fall vorhanden.

Göttinger Siebenschläfer
Abb.2: Die “Göttinger Siebenschläfer”

Das seit 2005 bestehende Traditionsteam der „Göttinger Sozialbrachvögel“ absolvierte seinen zehnten Durchlauf wie gewohnt in mentaler Frische. Mit 123 Arten wurde – nach dem Fabelrekord von 135 Arten 2013 – das zweitbeste Ergebnis überhaupt erzielt. Der 16. Platz in der Singvogelwertung (Platz 45 gesamt) kann sich durchaus sehen lassen. Von den erwartbaren Arten aus der Familie der Sperlingsvögel fehlte nur der Waldlaubsänger.
An der „Langen Bahn“ im Bramwald sorgten gleich zwei singende Sperlingskäuze für einen unerwarteten Höhepunkt. Die kleine Eule fehlte dem Team bisher. Auf der Windwurffläche bei Ellershausen ließ sich keine Turteltaube vernehmen. Diese betrübliche Tatsache passt zum dramatischen Rückgang dieser einstmals nicht seltenen Vogelart, die in Südeuropa zu Millionen abgeknallt und hierzulande nicht minder vom Verlust vegetationsarmer Offenflächen gebeutelt wird.

Am Göttinger Kiessee machte sich ein krächzender Drosselrohrsänger vergleichsweise dezent bemerkbar, aber laut genug, um als hochwillkommene Bonusart auf die Liste zu gelangen.

An der Kiesgrube Reinshof, wo es außer einem gleichermaßen fotogenen und zutraulichen Alpenstrandläufer wenig zu sehen gab, wurde das Spektiv eines Mitglieds von einem freilaufenden Kampfhund („Balou“) abgeleckt. Der unappetitliche Vorgang rief jedoch bei den Vogelbeobachtern, die aus den sozialen Brennpunkten Göttingens einiges gewohnt sind, keine größere Aufregung hervor…

Die Mittagspause verbrachte das Team wie im Vorjahr im angesagten Imbiss „Kim’s Diner“.

Abb. 3: Die Göttinger Sozialbrachvögel

Vor dem Hintergrund, dass das Birdrace 2014 „klimaneutral“ verlaufen sollte, ist das Posieren vor einem spritfressenden Straßenkreuzer natürlich eine Zumutung. Die tiefere Bedeutung erschließt sich aber vielleicht, wenn man den vorangegangenen Beitrag auf dieser Homepage gelesen hat. Dass auch das traditionell, nun ja, leicht gespannte Verhältnis zwischen den Anhängern zweier niedersächsischer Fußballvereine seinen bildlichen Ausdruck findet, drängte sich bei der Verfertigung des Fotos nachgerade auf. Womöglich spielt es in den kommenden 28 Jahren aber kaum noch eine Rolle…

Am Seeanger und Seeburger See beobachteten beide Teams im wesentlichen die gleichen Arten; für die „Sozialbrachvögel“ kamen drei ziehende Heringsmöwen hinzu. Als letzter konnte gegen 21:30 Uhr nach ca. 17 Stunden rastlosen Beobachtens der Feldschwirl verbucht werden, nach dem man vorher vergeblich gesucht hatte. Er scheint, anders als z.B. die auch in diesem Jahr wieder in hoher Zahl registrierten Weitstreckenzieher Nachtígall, Dorngrasmücke, Gartengrasmücke und Gartenrotschwanz vor massiven Problemen zu stehen – die industriell betriebene Landwirtschaft macht’s möglich.
Auch den „Sozialbrachvögeln“ hat das Abrackern (wieder einmal) großen Spaß gemacht. Dies wird sicher auch 2015 so sein, ob nun „klimaneutral“ oder nicht.

Hans H. Dörrie und Béla Bartsch