Bisher war das Birdrace (Näheres unter www.dda-web.de) eine feine Sache. Man mühte sich am ersten Samstag im Mai in seinem Landkreis redlich ab, so viele Vogelarten wie möglich auf die Liste zu bekommen. Durch das Einwerben von Sponsoren konnten fachbezogene Projekte wie die Datenbank www.ornitho.de oder der Atlas deutscher Brutvogelarten finanziell unterstützt werden. Je nach Gusto, körperlicher Fitness oder geologischer Beschaffenheit der Region bewegten sich die Teams mit dem Fahrrad oder Auto bzw. mit einer Kombination beider Verkehrsmittel durch die Landschaft. Verbindliche Vorgaben hinsichtlich der Fortbewegungsart gab es nicht. Reine Fahrradteams wurden lobend hervorgehoben, ihre Ergebnisse aber nicht mit Bonuspunkten bedacht. Dies war dem locker-sportiven und weithin sinnfreien Charakter der Veranstaltung durchaus angemessen.
2014 ist es anders. Jetzt soll das Birdrace „klimaneutral“ verlaufen. Teams, die sich mit dem Auto fortbewegen (wollen oder müssen), können 10 Euro an den Verein „Prima Klima“ entrichten, um ihre CO2-Emissionen zu „kompensieren“. Geschieht dies nicht, werden sie mit einem schwarzen Autosymbol gekennzeichnet – oder soll man sagen: gebrandmarkt?
„Prima Klima“ beteiligt sich an Wiederbewaldungsprojekten und Baumpflanzungen aller Art. In Deutschland unterstützt der Verein unter anderem die Aufforstung von Windwurfflächen. Damit stehen, als hypothetisches Beispiel, die Teams im Landkreis Göttingen vor einem Dilemma: Während sie sich im Bramwald an den letzten Turteltauben der Region erfreuen, finanzieren sie gleichzeitig durch ihre Abgabe die Zerstörung des Lebensraums der seltenen Vögel. Die „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald“ als Projektpartner von „Prima Klima“ wird es freuen. Als Interessenverband kommerzieller Waldnutzer hat sie mit dem Natur- und Vogelartenschutz in ihrem Beritt wenig bis nichts am Hut. Schulklassen und gutgläubige Freiwillige werden von Bezirksförstereien alljährlich vor den Karren kostensparender Baumpflanzaktionen gespannt – natürlich im Namen des „Klimaschutzes“. Offenflächen im Wald, heutzutage Rückzugsräume selten gewordener Vogelarten, sind nicht nur jedem Forstwirt ein Dorn im Auge, sondern werden auch von der Windkraftlobby als „ökologisch wertlos“ herabgewürdigt.
Auch in diesem Jahr werden viele Birdrace-Teams Landschaften durchqueren, die ihre Artenarmut keineswegs irgendwelchen CO2-Emissionen verdanken, sondern der angeblich „klimafreundlichen“ Energiewende. Darauf hat Martin Flade (DDA) in seinem richtungweisenden Artikel „Von der Energiewende zum Biodiversitätsdesaster“ eindrücklich hingewiesen. Der Artikel wurde im Zusammenhang mit dem Birdrace 2013 auf der Website des DDA zur Lektüre empfohlen und ist dort als PDF verlinkt – eine begrüßenswerte und Hoffnung machende Initiative.
Ein Jahr später regiert – sicherlich zur Freude der Medien, des Bundesamts für Naturschutz und der „grünen“ Wachstumsindustrie – wieder der Mainstream.
Das „CO2-neutrale Birdrace“ bewegt sich in der Tradition symbolischer Aktionen wie „Eine Stunde Licht aus für den Klimaschutz“ etc. und ist genau so fragwürdig wie diese. Dass sich daran auch Vogelbeobachter beteiligen, die – warum auch nicht? – allein in Deutschland Jahr für Jahr Tausende Kilometer mit dem Auto zurücklegen, nur um ein paar seltene Vögel auf ihre Liste zu bekommen, ist ein besonders pikanter Aspekt dieses „umweltfreundlich“ frisierten Events.
Wer sich für einen Tag von seinen (vermeintlichen) Sünden wider die Natur nach dem Vorbild des besagten Ablasskrämers Tetzel freikaufen möchte, kann dies gerne tun. Die unterzeichnenden Mitglieder der langjährigen Birdrace-Teams „Göttinger Sozialbrachvögel“ und „Leinehänflinge“ werden das Stigma Schwarzer Schafe freudig auf sich nehmen und die CO2-Abgabe nicht entrichten.
Steffen Böhner, Christoph Grüneberg, Karl Jünemann, Moritz Otten, Martin Schuck, Mathias Siebner und Hans H. Dörrie