Vögel beobachten in Wald, Parks und Friedhöfen

Parkanlagen stellen im Siedlungsbereich einen wichtigen und artenreichen Lebensraum für Vögel dar. Dies gilt in besonderem Maße für den 1881 eingeweihten Göttinger Stadtfriedhof an der Kasseler Landstraße, der in seiner jetzigen Form zu den schönsten Friedhöfen Deutschlands gehört. Das äußere Erscheinungsbild des Friedhofs hat sich dabei gravierend verändert. Bis vor wenigen Jahrzehnten zeichnete sich das Gebiet durch offene und halboffene Strukturen aus, heute vermittelt es aber bereits auf den ersten Blick einen mischwaldähnlichen Eindruck: Koniferen und alte Laubbäume bestimmen neben den friedhofstypischen Grab- und Rasenflächen das Bild. Damit eignet sich der Stadtfriedhof hervorragend zum Studium der typischen Waldvogelarten, die die nur 36 ha große, vom Siedlungsbereich umschlossene Waldenklave in hohen Dichten besiedeln. Vorteilhaft für Naturinteressierte wirken sich hierbei nicht nur das enge Wegenetz, sondern auch die geringen Fluchtdistanzen der mit menschlichen Besuchern durchaus vertrauten Vögel aus.

Die Zukunft des Stadtfriedhofs ist derzeit durchaus offen. Zu befürchten ist die Umwandlung in eine sterilere, pflegeleichtere und höherem Besucherdruck ausgesetzte Parkanlage sowie die Reduzierung von Altholz und Gebüschstrukturen, denn in Göttingen fielen bereits einige andere Grünanlagen (z.B. der Bartholomäusfriedhof) solchen Maßnahmen zum Opfer. Für den Stadtfriedhof wäre eine gravierende Verschiebung des Artengefüges die Folge.

Stadtfriedhof
Abb. 1: Typische Aspekte des Stadtfriedhofes: Altholzbestände und intensiv gepflegte Scherrasen und Grabflächen. Foto: Nikola Vagt

Schon das Brutvogelspektrum kann sich sehen lassen. Regelmäßig nutzen deutlich mehr als 30 Arten das Gebiet zur Reproduktion. Die Amsel ist der mit Abstand häufigste Brutvogel, aber auch die Singdrossel besiedelt das Gebiet mit fast zwanzig Paaren. Für den Sperber liegen seit Jahren Brutzeitbeobachtungen und auch Brutnachweise vor. Auf dem Stadtfriedhof brüten alle sechs heimischen Meisenarten (Sumpf- und Weidenmeise aber nur mit wenigen Paaren) sowie die Schwanzmeise. Winter- und Sommergoldhähnchen fühlen sich in den zahlreich vorhandenen Koniferen wohl und brüten alljährlich mit jeweils mehr als zehn Paaren. Beide Baumläuferarten besiedeln dass Gebiet, Heckenbraunelle, Mönchsgrasmücke, Zaunkönig und Zilpzalp sind keine seltenen Brutvögel. Für eine ganze Reihe von Finkenvögeln bietet der Stadtfriedhof ein geeignetes Bruthabitat. Für Girlitz und Gimpel stellt der Stadtfriedhof einen lokalen Verbreitungsschwerpunkt dar. Kernbeißer besetzen hingegen nicht alljährlich Reviere, gleiches gilt für den Birkenzeisig und den Stieglitz. Für den Fichtenkreuzschnabel liegt ein Brutnachweis (1999) vor. Auch Gartenrotschwanz (zuletzt vor mehr als zehn Jahren) und Trauerschnäpper (zuletzt 1999) haben dort gebrütet – aus den letzten Jahren fehlen jedoch Brutzeitnachweise. Der Grauschnäpper besetzt hingegen alljährlich Reviere. Ein kleines Parkgewässer dient alljährlich als Lebensraum zur Reproduktion von Teichralle, Graugans und Stockente.

Zur Zugzeit lassen sich auf dem Stadtfriedhof spärlich durchziehende Langstreckenzieher wie Trauerschnäpper, Gartenrotschwanz, Waldlaubsänger und seltener auch Wendehals beobachten. Im zeitigeren Frühjahr und späteren Herbst nutzen Rot-, Mistel-, Sing-, Wacholderdrossel und Amsel das Gebiet zur Rast, recht selten werden auch Ringdrosseln beobachtet. Auch Waldschnepfen wurden zur Zugzeit festgestellt.

Im Winter versammeln sich – besonders in Fruktifikationsjahren der Koniferen – am Stadtfriedhof größere Trupps von Finkenvögeln: Stieglitz, Birken- und Erlenzeisig, Grün- und Buch- und Bergfink können dann aus nächster Nähe und in recht großen Zahlen beobachtet werden. Der Fichtenkreuzschnabel ist ein regelmäßiger Wintergast in unterschiedlichen Zahlen. Auf dem Stadtfriedhof hat man recht gute Möglichkeiten, die krummschnäbeligen, hübschen Finken aus geringer Distanz zu beobachten. Mit den arttypischen Rufen sollte man sich trotzdem vertraut machen, weil die Kreuzschnäbel trotz auffälliger Färbung gar nicht so einfach zu entdecken sind. Regelmäßig überwintern Misteldrosseln in dem Gebiet. Seidenschwänze werden zwar in fast jedem Winter am Stadtfriedhof beobachtet, im Stadtgebiet der „Seidenschwanz-Hochburg“ Göttingen gibt es aber einige bessere Stellen für die Art – beispielsweise das pappel- und mistelreiche Leineufer am südlichen Stadtrand sowie die umliegenden Kleingärten und den Kiessee.

Der Stadtfriedhof ist von der Innenstadt bequem mit dem Fahrrad zu erreichen. Die Buslinien 3, 4 und 5 halten direkt vor dem Haupteingang an der Kasseler Landstraße. Wer mit dem Auto anreist, kann dieses auf dem Friedhofsparkplatz an der Ostseite (Jheringstraße) abstellen.

Vogelbeobachter sind auf dem Stadtfriedhof ein gewohnter Anblick, Konflikte mit Verwaltung und Gästen sind hier die absolute Ausnahme. Es versteht sich trotzdem von selbst, dass dieses gute Verhältnis nicht durch pietätloses oder der sensiblen Umgebung unangemessenes Verhalten aufs Spiel gesetzt werden sollte. In diesem Zusammenhang sei vor allem darauf hingewiesen, dass eine öffentliche Toilette im Hauptgebäude im Eingangsbereich an der Kasseler Landstraße zur ordnungsgemäßen Benutzung einlädt. sp

Zum Weiterlesen:

Vogelbeobachten im Wald

Der Landkreis Göttingen zählt zum waldreichen Leine- und Weserbergland, dessen Hochlagen von Vogelarten besiedelt werden, die nördlich der Mittelgebirgsschwelle nur spärlich vertreten sind oder fehlen. Leider werden die Wälder von vielen Vogelbeobachtern eher gemieden. Dies liegt zum wenigsten an der (hypothetischen) atavistischen Scheu des ursprünglichen Savannenbewohners Homo sapiens vor dunklen Baumbeständen, sondern ist der reinen Bequemlichkeit geschuldet. Die meisten Waldvögel tauchen nämlich regelmäßig außerhalb ihrer Primärhabitate auf, sei es auf dem Zug, sei es als einfliegender Wintergast oder auch als verstädterter Nachbar im Garten nebenan. Eine Stunde gemächlichen Dahinschlenderns an einem Feuchtgebiet kann doppelt bis dreimal so viele Arten vor die Optik befördern wie ein Wandertag im Wald. Damit erklärt sich auch, warum Top-Birdern, die in der Bundesrepublik Deutschland schon mehr als 300 Arten gesehen haben, der Gesang von Waldbaumläufer und Sumpfmeise genauso unbekannt ist wie anderen das Liedgut der Kastelruther Spatzen. Vielleicht gelingt es ja, mit dem Vorstellen dreier attraktiver Gebiete einigen Waldvermeidern den Mund zu wässern. Das – zugestandenermaßen oftmals mühselige und manchmal frustrierende – Vogelbeobachten im grünen Dickicht hat nämlich seinen ganz eigenen Reiz. Wohl nirgendwo sonst wird einem die ökologische Grundregel, dass das Vorkommen von Vogelarten an bestimmte Lebensräume gebunden ist, derart facettenreich vor Augen geführt wie hier. Die stimmungsvolle Atmosphäre einer Waldexkursion tut oft ein übriges.

Hesse-Straße im Reinhäuser Wald

Ungefähr 15 km südöstlich von Göttingen befindet sich im Ostteil des Reinhäuser Waldes die Ischenröder Schweiz. Sie bezieht ihren malerischen Namen von den mächtigen Buntsandsteinformationen, die dem Waldbild ein eigentümliches Gepräge verleihen. Man erreicht die Ischenröder Schweiz, wenn man vor dem Ortsausgang von Bremke der Straße nach Ischenrode (Richtung Eschwege) folgt. Nach ungefähr 1,5 kurvenreichen Kilometern erblickt man an der rechten Straßenseite in Höhe einer Pferdeweide an einem Bachlauf eine unscheinbare, mit Kalk geschotterte Abfahrt, die vor einer Schranke endet. Von dort aus folgt man dem Hauptweg unterhalb des Mönche-Bergs, der in mäßiger Steigung auf das Plateau des Reinhäuser Waldes führt. Die Umgebung wird zunächst von Nadelbäumen dominiert, aus denen die leisen Gesänge des Quartetts von Tannenmeise, Haubenmeise und Winter- und Sommergoldhähnchen erklingen. Oben angekommen, passiert man zur Linken eine größere Laubholzparzelle mit Eichen, deren Altholzanteil jedoch in den vergangenen Jahren durch Abholzung deutlich geschrumpft ist. Hier kommt noch der Mittelspecht vor, der im Reinhäuser Wald ansonsten recht selten ist. Auf der rechten Seite des Weges ragen alte Kiefern in die Höhe, die in ungewöhnlicher Stetigkeit vom Fichtenkreuzschnabel bevölkert werden. Im weiteren Umfeld des Plateaus brüten Habicht, Wespenbussard, Kolkrabe und der Schwarzspecht. Die letztgenannte Art ist ein auffälliger Brutvogel, der sich nicht nur durch weittragende Rufreihen bemerkbar macht. Auch kräftige Hackspuren an morschen Fichtenstümpfen bezeugen seine Präsenz. Ein milder Tag im März mit Spechten in voller Aktion – trommelnd, quäkend und nach rasantem Verfolgungsflug zwischen den Bäumen verschwindend – ist ein Erlebnis, das sich keiner entgehen lassen sollte.

Vorwiegend akustisch können auch Hohltaube und, mehr in Richtung Waldrand des Mönche-Bergs, die Turteltaube registriert werden. Diese hat stark im Bestand abgenommen, weil unsere Wälder aufgrund veränderter Bewirtschaftung insgesamt dichter und dunkler geworden sind.

Wenn man sich vom Plateau in Richtung Reinhausen ungefähr 250 m weit bergab bewegt, erblickt man linkerhand in Höhe der Jägersteine einen unaufgeräumten Mischwaldbestand mit künstlich angelegten Tümpeln, von denen es in diesem Teil des Reinhäuser Waldes recht viele gibt. Hier und in der näheren Umgebung wurde in den Jahren 2003 und 2005 ein balzendes Männchen des Sperlingskauzes öfter gehört als gesehen. Ob es sich um eine dauerhafte Ansiedlung handelt, bleibt abzuwarten.

Waldkäuze können bei abendlichen Begehungen regelmäßig vernommen werden, ab und an, wiederum in Richtung Mönche-Berg, auch die Waldohreule. Für einen Besuch der Hesse-Straße empfehlen sich die Monate März bis Mai sowie September und Oktober.

Lange Bahn im Bramwald

Ungefähr 20 Kilometer westlich von Göttingen führt eine Landstraße zwischen Ellershausen und Hemeln durch den Bramwald. Auf halber Strecke liegt ein Parkplatz, der sich als Ausgangspunkt einer Erkundung der Langen Bahn, einem Höhenweg, anbietet.

Eiche Bramwald
Abb. 2: Eichenhutewald an der Langen Bahn

Auch hier wird der Wald von Koniferen geprägt, den “Brotbäumen” der Forstwirtschaft, die zum Nachteil der ursprünglichen Laubhölzer gehegt wurden. Neben Parzellen, auf denen Roteichen angepflanzt wurden, finden sich hier auch noch größere Birkenbestände und als Besonderheit ein ehemaliger Hutewald mit alten Eichen (Mittelspecht), der seit dem Herbst 2006 von knuffigen schottischen Hochlandrindern beweidet wird. Das Artenspektrum an der Langen Bahn ist demjenigen an der Hesse-Straße vergleichbar. Jedoch kann man hier auch den Tannenhäher und, mit Glück, neben dem Sperlingskauz auch den Rauhfußkauz hören und sehen. Wer noch nie in seinem Leben die hektischen Balzflüge revierbesetzender Erlenzeisige gesehen hat – und das dürfte die große Mehrzahl der Vogelfreunde sein – ist hier im Mai und Juni am richtigen Platz.

Rinder Bramwald
Abb. 3: Schottisches Hochlandrind im Bramwald

Nordöstlich der Langen Bahn erhebt sich der Totenberg, ein ca. 80 Hektar großes Buchenwald-Totalreservat mit striktem Betretungsverbot. Von einem kräftezehrenden Rundweg, der hinab ins Niemetal und von dort wieder auf das Plateau führt, kann man das Reservat einsehen und einen Eindruck davon gewinnen, wie sich ein nicht mehr genutzter Wald entwickelt und verändert.

Hühnerfeld im Kaufunger Wald

Der Kaufunger Wald ist das größte Waldgebiet der Region. Leider müssen wir es mit unseren hessischen Nachbarn teilen. Auch dieser Wald weist mehrheitlich Nadelhölzer auf, daneben aber auch Buchen-Altholz-Inseln mit Schwarzspechthöhlen, in denen Hohltauben, Rauhfußkäuze und, als regionale Spezialität, Dohlen brüten. Als Einstieg bietet sich eine Exkursion zum ca. 30 Kilometer von Göttingen entfernten Hühnerfeld und dessen Umgebung an. Das Hühnerfeld ist ein unter Naturschutz stehendes Hochmoor, das seinen Namen den Rauhfußhühnern verdankt. Diese sind lange verschwunden, dafür gibt es heute dort Pferde und Ponys, die der Verbuschung und Bewaldung durch unablässiges Fressen Einhalt gebieten. Das Hühnerfeld erreicht man auf der A 7, Abfahrt Hann. Münden-Lutterberg. An der Abzweigung geht es links auf der Landstraße in Richtung Sichelnstein durch den Wald. Nach ungefähr 2,5 km biegt man links in die schmale Straße Richtung Hühnerfeld ein. Dort, wo die Straße auf die Kohlenstraße trifft, gibt es Parkmöglichkeiten. Parken kann man auch am nahe gelegenen Jugendwaldheim am Steinberg. Von hier aus lässt sich das Gebiet nach Lust und Laune stundenlang erkunden. Besonders attraktive Routen gibt es nicht; die Attraktion ist der schier endlos wirkende Wald selbst, in dem man sich fast jeden Vogel erarbeiten muss. Neben Fichtenkreuzschnabel und Erlenzeisig ist der Tannenhäher nicht selten, macht sich aber auch hier gern unsichtbar. Die beste Zeit für den heimlichen Nussknacker ist März und April. Ab Juli wandern die Vögel auf der Suche nach Haselnüssen auch in den Siedlungsbereich der umliegenden Gemeinden (z.B. Hann. Münden).

Eine Abend- und Nachtexkursion im März und April sowie im September und Oktober birgt gute Chancen, Rauhfuß- und Sperlingskauz zu hören. Im Herbst sollte man jedoch die Rotwildjäger im Auge behalten, die – als Platzhirsche der besonderen Art – den Erfolg der Exkursion durch störende Zwischenrufe (“Ihr vergrämt uns das Wild!”) erheblich beeinträchtigen können. Das elitäre Ansinnen, in der hormon- und doppelkornschwangeren Brunftzeit den Wald von allen anderen Zweibeinern frei zu halten, entbehrt jedoch der rechtlichen Grundlage.

In bzw. über allen drei Waldgebieten kann mit Glück auch der Schwarzstorch gesehen werden. Er hat sich seit den frühen 1990er Jahren zum regelmäßigen Brutvogel gemausert und besiedelt unsere Region mit ungefähr fünf bis sechs Paaren, die ca. 10 Prozent der niedersächsischen Gesamtpopulation ausmachen.

Gern hätten wir noch Tipps zur Beobachtung balzender Waldschnepfen gegeben. Viele Limikolen-Bewunderer kennen die meisten ihrer Lieblinge nicht aus ihren Brutgebieten, wo sie sich als stimmfreudige Flugkünstler völlig anders präsentieren als auf der Rast. Der Anblick eines sonst extrem kryptischen Vogels, der im rasanten Zickzackflug, verbunden mit absonderlichen Lautäußerungen, über einer Schneise oder Lichtung umhertorkelt, ist unvergesslich. Leider gehört die Waldschnepfe zu den großen Verlierern des “naturgemäßen Waldbaus”, der das weitgehende Verschwinden von Offenstellen zur Folge hat. Die Waldschnepfe ist deshalb als Brutvogel sehr selten geworden und kann heutzutage fast nur noch auf dem Heim- und Wegzug beobachtet werden. hd

Wo kann man Spechte sehen?

Sie möchten alle sieben in Niedersachsen heimischen Spechtarten beobachten, außerdem eine Vielzahl von Waldvögeln und Charakterarten des offenen und halboffenen Kulturlandes – und das womöglich noch an einem einzigen Vormittag? In der unmittelbaren Umgebung Göttingens ist dies möglich. Östlich des Siedlungsbereichs befindet sich mit dem Göttinger Stadtwald ein Naherholungsgebiet, das nicht nur unterschiedliche Lebensräume vereint, sondern auch bequem zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar ist.
Wir möchten im folgenden den Stadtwald anhand einer Wanderung vorstellen. Für die Tour sollten – großzügige Beobachtungszeiten eingeschlossen – etwa fünf Stunden veranschlagt werden, selbstverständlich lassen sich die einzelnen Teilgebiete aber auch gesondert anfahren.

Molkengrund

Ausgangspunkt unserer Wanderung ist der angestaute Reinsgraben auf den Schillerwiesen zwischen der Merkelstraße und der Bismarckstraße am Ostrand der Stadt. Folgt man ihm und überquert die Bismarckstraße, hat man den Molkengrund erreicht, der sich ungefähr 200 m lang unterhalb des Hainbergs hinaufzieht, der vor 130 Jahren mit aufwendigen Anpflanzungsaktionen wiederbewaldet wurde. Der Molkengrund ist ein alter, vor ca. 150 Jahren angelegter Landschaftspark, der jedoch wegen mangelnder Pflege viel von seinem kultivierten Charme verloren hat. Der Reinsgraben wird von Kleinvögeln zum Trinken und Baden genutzt, in Einflugjahren auch von Seidenschwänzen, die dann unweit der Tränke einen Schlafplatz beziehen. Regelmäßig lassen sich hier auch Gebirgsstelzen beobachten. Die alten Laubbaumbestände werden unter anderem von Kleiber, Buntspecht und Sumpfmeise besiedelt. Auch der Mittelspecht besetzt hier, trotz eines äußerst geringen Eichenanteils, regelmäßig 1-2 Reviere. Daneben findet sich die ganze Palette der häufigen Waldvögel, die, wie z.B. Zaunkönig und Rotkehlchen, hohe Dichten erreichen können – dem überall am Boden aufgeschichteten Schwachholz aus früheren Durchforstungen sei Dank. Gegen Abend und in der Nacht lassen sich Waldkäuze vernehmen und sehen. Sie jagen auch auf den stadtnahen Schillerwiesen.

Waldohreulen
Abb. 4: Waldohreulen brüten im Göttinger Stadtwald überall dort, wo Gehölzinseln an struktur- und kleinnagerreiches Grünland grenzen. Bruten in Nistkästen (wie hier auf dem Kerstlingeröder Feld) sind allerdings die absolute Ausnahme. Am besten beobachten lassen sich die Dämmerungsjäger im Juni, wenn die Jungvögel ihre charakteristischen und durchdringenden Bettelrufe ertönen lassen. Foto: Mathias Siebner

Wenn man dem asphaltierten Weg weiter bergauf folgt und die imposanten Überreste der uralten Ahlborn-Buche rechts liegen gelassen hat, erblickt man nach einem Kilometer das

Sengersfeld,
eine strukturreiche Freifläche mit Hecken und Gebüschen, in deren Nordteil vor 30 Jahren eine Streuobstwiese gepflanzt wurde. Hier siedeln in geringer Dichte Charakterarten des halboffenen Kulturlands, unter denen Waldohreule, Baumpieper und Neuntöter hervorzuheben sind. Das Sengersfeld wird von einem befestigten Nord-Süd-Weg geteilt. Wir wenden uns gen Mittag und biegen an der Kreuzung „Stern“ nach Südosten ab. Nach ungefähr 10 Minuten sind wir am

Hainholzhof und Wildtiergehege am Kehr
angelangt. Hier prägen eine Reitanlage und ein Restaurant, das aber seit längerem nicht mehr betrieben wird, das Bild. Im späten Frühling und in den Sommermonaten hat, immerhin, ein Kiosk geöffnet, der zusätzliche Marschverpflegung bereithält. Der Hainholzhof kann auch gut von der Stadt aus mit dem PKW über die Bismarckstraße erreicht werden, Parkmöglichkeiten gibt es zuhauf. In den alten Linden existiert seit einigen Jahren eine hochgelegene Kolonie der Wacholderdrossel. Die Ställe werden von fünf bis sechs Brutpaaren der Rauchschwalbe bevölkert, deren Bestand im Göttinger Siedlungsbereich stark abgenommen hat. Unweit der Stallungen bezieht der Gartenrotschwanz in fast jedem Jahr eines seiner im Göttinger Raum selten gewordenen Reviere. Östlich an die Wiesen der Reitanlage grenzend erstreckt sich ein weitläufiges Gehege mit Wildschweinen und Damhirschen. Der Baumbestand wird von alten Eschen, Eichen und diversen Ahornarten dominiert; er beherbergt Grau-, Mittel- und Kleinspecht, nicht zu vergessen die Zwillinge Garten- und Waldbaumläufer, die hier im gemeinsamen Lebensraum zur Reproduktion schreiten. Eine regionale Besonderheit ist die kleine, seit Jahrzehnten präsente Nistkasten-Population des Trauerschnäppers. Diese Vogelart ist im Weser- und Leinebergland nur spärlich und lückenhaft vertreten.
Wenn wir das Wildgehege passiert haben, steht uns ein etwas längerer Fußmarsch auf der breiten asphaltierten Straße durch den Wald bevor, der jedoch durch den Anblick bzw. die akustische Wahrnehmung von typischen Waldvogelarten wie Kernbeißer, Misteldrossel und (nicht in jedem Jahr) Waldlaubsänger versüßt wird. Nach ungefähr 1,5 km stößt die Straße auf eine Betontrasse. Ihr folgen wir nach links und erreichen nach ca. 500 m das

Kerstlingeröder Feld
Dieses Gebiet ist ein wahres Kleinod, das in Süd-Niedersachsen seinesgleichen sucht! Seine wechselvolle Geschichte kulminierte in der jahrzehntelangen Nutzung als Standortübungsplatz, die 1992 ihr Ende fand. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten breite Panzerketten in schöner Regelmäßigkeit öde Offenstellen freigewalzt. Die Ruine des historischen Gutsgebäudes aus dem 17. Jahrhundert wurde zum Biwakplatz bierseliger Rekruten zweckentfremdet. Brände durch unkontrollierte Lagerfeuer und verirrte Geschosse führten immer wieder zu kleineren Katastrophen. Das Grünland und die Rasenflächen sicherten einem Schäfer und seiner gefräßigen Herde von mehr als 500 Tieren das Auskommen. Was aber im verengten Blick der Verfechter eines harmonischen und statischen Naturverständnisses als blanke Zerstörung und brutalstmögliche Übernutzung erscheint, erwies sich letztlich als Glücksfall: Militärbetrieb und Beweidung haben dazu beigetragen, dass sich auf ca. 120 Hektar historische Kulturland-Habitate erhalten konnten, die anderswo schon seit langem der industriellen Land- und Forstwirtschaft zum Opfer gefallen sind.
Auf dem Kerstlingeröder Feld findet der Vogelkundler – aber auch der Botaniker und der Entomologe – heute noch alles, was das Herz begehrt: Orchideen- und insektenreiche Trocken- und Kalkmagerrasen, trockene Gebüsche, strukturierte Waldränder, alte Obstbäume und uralte Buchenbestände. Schade nur, dass im Südteil in den 1970er Jahren Aufforstungen mit Lärchen und Buchen vorgenommen wurden. Derartige Veränderungen – von der ursprünglich geplanten Anlage eines Golfplatzes ganz zu schweigen – würden heutzutage mit dem Verschlechterungsverbot der FFH-Richtlinie kollidieren, unter deren Schutz das Kerstlingeröder Feld und die angrenzenden Waldgebiete stehen. Die Stadt Göttingen, die das Gebiet 2001 erworben hat, bemüht sich, von Naturschutzorganisationen unterstützt, ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen und die extensiven Offenflächen durch Beweidung mit Kühen und Ziegen sowie mit aufwendigen Entbuschungsmaßnahmen zu erhalten. Vordringlich und am effektivsten wäre aus fachlicher Sicht aber die Wiederaufnahme der Schafbeweidung.

Schachbrettfalter
Abb. 5: Auch für Tag- und Nachtfalter bietet das Kerstlingeröder Feld geeignete Lebensräume. Das Foto zeigt einen Schachbrettfalter. Foto: Nikola Vagt

Auf dem Kerstlingeröder Feld brüten aktuell knapp 50 Vogelarten, weitere 15 nutzen das Gebiet während der Brutzeit regelmäßig zur Nahrungssuche. Besonders hervorzuheben sind die Brutvorkommen von Neuntöter (15-18 Rev.), Baumpieper (30 Rev.) und Fitis (45 Rev.), die einen regionalen Verbreitungsschwerpunkt dieser Lichtwald- und Offenlandarten anzeigen. Fitis und Baumpieper sind in Süd-Niedersachsen dramatisch im Bestand geschrumpft. Dazu haben in erster Linie die insgesamt dunkler gewordenen Wälder und der Verlust von strukturreichen Waldrändern im Übergang zum extensiven Offenland beigetragen. Starvogel des Gebiets ist zweifellos der Wendehals, der mit 1-2 Paaren sein einziges alljährlich bestätigtes Brutvorkommen weit und breit aufweist. Dieser Erdspecht profitiert vor allem von den ameisenreichen Rändern der ehemaligen Panzertrassen und Wege, von denen einige im Jahr 2006 skandalöserweise mit fettem Mutterboden bzw. einer Mischung aus Bauschutt und Plastikschrott aufgefüllt wurden. Ein klarer Fall von Missmanagement seitens der Stadt, die es eigentlich besser wissen müsste!
Aus der Familie der ruffreudigen Stammkletterer kommen, neben dem allgegenwärtigen Buntspecht, auch Grün-, Grau-, Schwarz- und (nicht alljährlich) Kleinspecht vor. Als typischer Bewohner von Gehölzinseln tritt die Waldohreule mit zwei Paaren auf. Der Waldkauz ist auf dem Kerstlingeröder Feld und im angrenzenden Wald recht häufig. Als Neuansiedler hat sich der Kolkrabe etabliert. Dagegen erlebten Bruten der Heidelerche im Jahr 1995 leider keine Fortsetzung. Und dass der Wachtelkönig im Jahr 2002 hier erfolgreich gebrütet hat, lag wohl vor allem daran, dass seine traditionellen Brutplätze im Leinepolder Salzderhelden in diesem nassen Ausnahmejahr restlos überschwemmt waren…
Auch zur Zugzeit ist das Kerstlingeröder Feld immer einen Ausflug wert: Kornweihe, Heidelerche, Ringdrossel, Brachpieper, Steinschmätzer, Braunkehlchen und Raubwürger (ehemaliger Brutvogel) können mit Glück und am besten frühmorgens vor dem Einsetzen des regen Besucherverkehrs gesehen werden.

Neuntöter
Abb. 6: Neuntöter (hier ein Jungvogel) sind die Charaktervögel des Kerstlingeröder Feldes und lassen sich ab Mai beobachten. Im Winter übernimmt der größere Verwandte des Neuntöters, der Raubwürger, das Kommando über den ehemaligen Truppenübungsplatz. Das traditionelle Winterrevier wird dann von ein bis zwei Vögeln besetzt. Foto: Jan Goedelt

Beobachtungstips


Für den Stadtwald und das Kerstlingeröder Feld ist der Mai der (Wonne-)Monat schlechthin. Dann singen und balzen viele Vogelarten nach Kräften und der Heimzug ist bei etlichen Migranten noch in vollem Gange. Bis Mitte Juni lassen sich die meisten Brutvogelarten gut beobachten. Die Einhaltung des Wegegebots und das Anleinen befreundeter Vierbeiner sollten dabei selbstverständlich sein. Im September und Oktober gibt es, wie anderswo auch, immer gute Zugtage, die sich vor allem im Offenland bemerkbar machen. Im Winter bestehen auf dem Kerstlingeröder Feld gute Chancen, Kornweihe und Raubwürger zu sehen, in Einflugjahren auch größere Trupps von Bergfinken und Fichtenkreuzschnäbeln.
Auf dem Kerstlingeröder Feld hat man den besten Überblick vom alles überragenden Sauberg im Norden, wo sich seit kurzem auch eine Bank befindet. Dort lasse man sich ruhig nieder und harre entspannt der kommenden Ereignisse – vom kreisenden Wespenbussard oder Schwarzstorch bis zum laut trompetenden Kranichkeil ist, je nach Jahreszeit, eine Menge zu holen. hd, sp.

Zum Weiterlesen:

  • H.-H. DÖRRIE: Zur Siedlungsdichte der Brutvögel in einem Kalk-Buchenwald im FFH-Gebiet “Göttinger Wald” (Süd-Niedersachsen), in: Naturkundliche Berichte zur Fauna und Flora in Süd-Niedersachsen, Bd. 9 (2004)
  • J. GOEDELT & H. SCHMALJOHANN: Die Brutvögel des Kerstlingeröder Feldes, Stadt Göttingen (Süd-Niedersachsen). Ergebnisse einer Revierkartierung im Jahr 2000, in: Naturkundliche Berichte zur Fauna und Flora in Süd-Niedersachsen, Bd. 6 (2001)
  • J. GOEDELT & H. SCHMALJOHANN: Neues vom Kerstlingeröder Feld – Ergebnis einer Revierkartierung im Jahr 2001, in: Naturkundliche Berichte zur Fauna und Flora in Süd-Niedersachsen, Bd. 7 (2002)
  • SCHÄFER, M., H. SCHUMACHER & U. STROTHMANN: Untersuchungen zur Habitatwahl des Neuntöters Lanius collurio auf dem Kerstlingeröder Feld bei Göttingen (Süd-Niedersachsen). in: Naturkundliche Berichte zur Fauna und Flora in Süd-Niedersachsen, Bd. 1 (1996)
  • WOLLSCHEID, K.-U.: Nistplatzwahl und Habitatnutzung beim Neuntöter (Lanius collurio). Beitr. Naturk. Niedersachs. 48 (1995)