Heimzug und Brutzeit 2009: „Die größte Offenbarung ist die Stille“

Auf den harten Winter folgte ein warmer und trockener April, der Mai war von keinerlei Extremen gekennzeichnet, während der Juni immerhin eine ausgeprägte Schafskälte bereithielt. Ähnlich unspektakulär gestaltete sich das Auftreten der Brut- und Gastvögel. Für Vogelbeobachter, die unter Bluthochdruck oder jäh einsetzenden Erregungszuständen leiden, waren Frühling und Frühsommer 2009 ein wahrer Jungbrunnen. Für alle anderen haben wir zum Trost ein tiefgründiges Lao-Tse-Zitat von zeitloser Gültigkeit in die Überschrift aufgenommen…

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Abb. 1: Neuntöter auf dem Kerstlingeröder Feld. Foto: M. Siebner

Ein Seidenreiher beehrte am 14.5. den Seeanger nur kurz. Süd-Niedersachsens erste Kaisergans am 17.5. ebenda war mit Sicherheit kein Klimaflüchtling aus arktischen Gefilden, sondern bereicherte lediglich die regionale Liste von Gefangenschaftsflüchtlingen. In den Vortagen hatte sie sich im Raum Northeim herumgetrieben.

Ein im letzten Winter in der Normandie mit einer Schnabelmarkierung gekennzeichneter Krickerpel weilte Anfang Mai und ab Ende Juni im Seeanger. Ein Reiherenten-Weibchen mit vier Jungen zeigte am 3.7. am Seeburger See den ersten lokalen Brutnachweis seit dem Jahr 2000 an.

In der Feldmark Gö.-Geismar-Süd wurden, zum ersten Mal seit vielen Jahren, keine Wachteln gehört. Zumindest aus lokaler Sicht liegt ein außergewöhnlich schlechtes Jahr für diese Art vor, woran auch ein rufendes M. am 3.7. in einem Garten im Siedlungsbereich von Geismar nichts ändert.

Ein Fischadler trat am 13.6.am Göttinger Kiessee zu einem ungewöhnlichen Datum auf.

Gleich drei Wachtelkönige riefen vom 17. bis 26.6. aus einem Gerstenfeld südlich Rosdorf, später nur noch einer. Zu diesem Zeitpunkt waren die Wiesen im Göttinger Wassergewinnungsgelände und an der ehemaligen Bauschuttdeponie Gö.-Geismar bereits gemäht, so dass die Vögel in einen suboptimalen Lebensraum ausweichen mussten. Für ihre Hochburg, den Leinepolder Salzderhelden, kann von mindestens zehn Rufern ausgegangen werden.

Aus dem Spektrum spärlich auftretender Limikolenarten ist nur ein Kiebitzregenpfeifer vom 9.5. im Seeanger hervorzuheben.

Sechs Zwergschnepfen zeigten am 28.3. im Stockhäuser Bruch eine Tagessumme an, die nach dem Wegfall der Zuckerfabrik-Klärteiche als bemerkenswert einzustufen ist. Der hohe Wasserstand im Seeanger kam der Bekassine zugute, die wiederum ein bis zwei Reviere besetzen konnte.

Ca. 80 Dunkle Wasserläufer demonstrierten am 29.4. einen für diese Art typischen, aber in der Zahl ungewöhnlich stark ausgeprägten Durchzugsgipfel.

Eine mausernde Mittelmeermöwe im 2. Kalenderjahr hielt (oder hält sich noch) ab Ende April ungewöhnlich lange am Seeburger See auf. In Anlehnung an ihren wissenschaftlichen Artnamen und als Reverenz gegenüber dem sympathischen Schlager-Fossil und Dschungelcamper Bata Ilic wurde sie von ihrem kleinen Fanclub „Michaela“ getauft.

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Abb. 2: Mittelmeermöwe „Michaela“ im 2. Kalenderjahr am Seeburger See. Foto: C. Grüneberg

Eine Raubseeschwalbe tauchte am1.5 am Seeanger auf und unterstrich ihren Status als zunehmend regelmäßig in Erscheinung tretender Gastvogel.

12 adulte Weißbart-Seeschwalben am 30.6. ebenda sind Göttinger Landkreisrekord.

Neun Küstenseeschwalben am 29.4. und zwei Ind. am 5. und 6.5. bekräftigten am Seeburger See gegenüber nur zwei Flussseeschwalben im Juni das bekannte Zahlenverhältnis im Auftreten.

Im Reinhäuser Wald waren zwei Reviere des Sperlingskauzes besetzt. Ein Paar brütete erfolgreich in einer Bunt- oder Mittelspechthöhle – zum Glück weit entfernt vom traditionellen Brutplatz des Uhu-Paares, das sich mit drei Jungen fortpflanzen konnte.

Dagegen liegt von der Waldohreule kein Brutnachweis vor – offenkundig hat sie empfindliche Winterverluste erlitten.

Dies trifft auch, wie bereits im vorangegangenen Winterbericht vermerkt, auf den Eisvogel zu, von dem aus dem Göttinger Raum bis dato nur drei Beobachtungen umherstreifender Einzelvögel existieren. Der Brutplatz an der Hahle bei Mingerode war jedoch wieder besetzt. Am 3.6. flogen fünf Jungvögel aus.

Ein Rotkehlpieper ließ sich am 6.5. am Seeanger bestaunen.

Die dramatische Bestandsabnahme des Baumpiepers, der – zumindest aus regionaler Sicht – ein klarer Kandidat für die Rote Liste-Kategorie 2 („stark gefährdet“) ist, macht sich auch in optimal erscheinenden Habitaten wie dem Kerstlingeröder Feld bemerkbar: Hier wurden, wie im Vorjahr, bei drei Begehungen nur 11 revierbesetzende M. ermittelt. Zur Millenniumswende waren es noch 30 Sänger.

Unbestrittener Starvogel der Heimzugperiode 2009 ist eine weibliche Zitronenstelze, die am 29.4. im Seeanger entdeckt wurde – dies ist der erste regionale Nachweis seit 15 Jahren. Die Pionierbeobachtung durch W. Schelper (†) im Mai 1972 an der Kiesgrube Ballertasche bei Hann. Münden stellte gleichzeitig auch den niedersächsischen Erstnachweis dar. Mehr als 20 Jahre später folgten 1993 und 1994 gleich drei weitere Sichtungen an den (ehemaligen) Nörtener Schlammteichen, an der Geschiebesperre Hollenstedt und im Leinepolder Salzderhelden.

Die letzten Seidenschwänze verabschiedeten sich nach einem, trotz des ausgeprägten Kältewinters, eher durchschnittlichen Auftreten am 24.4. aus Göttingen.

Bei den regional seltenen Brutvögeln unter den Passeres sind Revierbesetzungen des Rohrschwirls im Leinepolder Salzderhelden (2) und, erstmalig, am Seeanger hervorzuheben.

Das letztgenannte Gebiet beherbergte auch einen über Wochen singenden Schilfrohrsänger. Bis zu zwei lautstarke Drosselrohrsänger brachten im Mai für längere Zeit die Wasserfläche des Seeburger Sees zum Schwingen.

Das Schwarzkehlchen war wiederum mit zwei Paaren in der Rhumeniederung bei Bilshausen präsent. Ein selbständiger Jungvogel am 21.6. an der Geschiebesperre Hollenstedt ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dort erbrütet worden, sondern zeigte vielmehr die Dismigration von Erstgeborenen dieser frühbrütenden Vogelart an.

Im Leinepolder Salzderhelden waren mindestens drei Reviere des Braunkehlchens besetzt.

Eine regionale Besonderheit ist die Brutzeitbeobachtung eines Pirols am 20.6. im Gartetal zwischen dem Werderhof und Diemarden.

Revierbesetzungen des Neuntöters erfolgten wiederum recht spät, nämlich verstärkt erst im Juni. Auf dem Kerstlingeröder Feld liegt der Bestand mit 15 M. im durchschnittlichen Rahmen der vergangenen Jahre.

H. H. Dörrie und S. Paul

Die Aufstellung erfolgte nach Daten von: T. Baumgarten, H. Dörrie, M. Drüner, C. Grüneberg, V. Hesse, S. Hohnwald, H.-A. Kerl, G. Köhler, S. Paul, D. Radde, M. Siebner, N. Vagt.