Temperaturen auf der Achterbahn – der Vogelwinter 2010/2011 in Süd-Niedersachsen

March 14th, 2011

Der dritte Kältewinter in Folge setzte bereits Ende November mit einem massiven Kälteeinbruch und heftigen Schneefällen ein. Mit 30 Frosttagen und bis zu 40 cm Schneehöhe auch in den Tieflagen war der Dezember 2010 der kälteste und schneereichste seit 40 Jahren. Der Januar hingegen zeichnete sich im wesentlichen durch milde Temperaturen aus und war vermutlich wieder mal „zu warm“. Das Tauwetter zum Monatsanfang brachte Hochwasser und einen Volleinstau des Leinepolders Salzderhelden. Im Februar lösten sich kalte und milde Perioden ab. Mäßiger Nachtfrost sorgte dafür, dass Anfang März viele Stillgewässer noch ganz oder teilweise zugefroren waren.

Mit bis zu 90 Ind. lag der Winterbestand des Höckerschwans in der Leineniederung zwischen Northeim und Einbeck im Schnitt der vergangenen Jahre. Ungewöhnlich hoch waren die Zahlen am südlichen Göttinger Stadtrand. Am Kiessee wurde am 28.2. mit 36 Ind. ein neues Lokal-Maximum erreicht.

Bis zu 22 Singschwäne (darunter nur vier Jungvögel) zeigten im Leinepolder ein durchschnittliches Auftreten an. Interessanterweise haben die jüngsten Kältewinter nicht zum rapiden Anwachsen des Rastbestands geführt, wie es früher, allerdings auf niedrigerem Niveau, der Fall war. Unter den Vögeln befanden sich zwei in Lettland mit einer blauweißen Halsmanschette (4C30 und 1E34) versehene Ind. Am 30.11. geriet am Seeburger See ein vermutlich ebenfalls aus Lettland stammender Manschettenschwan ins Blickfeld, dessen Code aber nur teilweise abgelesen werden konnte.
Dmitrijs Boiko markiert seit 2003 die Vögel mit 12 Helfern. Wie viele sinnvolle Projekte ist auch dieses chronisch knapp bei Kasse. Jährlich werden ca. 2000 Euro vor allem für das Begleichen der Benzinkosten benötigt. Für finanzielle Zuwendungen ist Dmitrijs deshalb sehr dankbar. Wer den sympathischen Schwanenwart und seine Kollegen unterstützen möchte, sollte ihn unter dmitrijs.boiko [at] gmail.com kontaktieren.

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Abb. 1: D. Boiko mit frischmarkierten Singschwänen.

Einen ungewöhnlich guten Bruterfolg demonstrierte eine Familie mit sechs Jungvögeln, die am 12.12. am Seeanger rastete. Mit hoher Wahrscheinlichkeit derselbe Verband hatte sich am 24.12. in der Weseraue bei Hann. Münden niedergelassen.
Eine kleine Sensation für Beobachter/innen mit kleinem Aktionsradius war Göttingens erster Singschwan seit 1970 (!), der am 2.1. auf der Leine nahe der Stegemühle schwamm. Seine wiederholten Versuche, sich einer Höckerschwan-Familie anzuschließen, stießen bei den dumpf xenophoben Vettern auf Ablehnung. Der Aufenthalt war deshalb nur von kurzer Dauer.

Die ortsfeste Überwinterung von bis zu zwei Kanadagänsen und einer Weißwangengans im Leinepolder Salzderhelden ist als regional ungewöhnlich einzustufen.

In der Feldmark Reinshof südlich von Göttingen rasteten vom 12. bis 13.12. bis zu 280 Tundrasaatgänse auf Schneeflucht, die eine Rekordmarke für Stadt und Umland setzten. Drei im Jahr 2010 auf der nordrussischen Halbinsel Kanin am Weißen Meer mit gelben Halsmanschetten (0720, 0910 und 0930) markierte Ind. fanden sich ab Mitte Februar im Leinepolder Salzderhelden ein und waren Anfang März noch präsent.

Als Besonderheit unter den nordischen Wildgänsen, die in diesem Winter wegen früher Schneeflucht nach Westen und Südwesten nicht annähernd so zahlreich vertreten waren wie im vergangenen, sind zwei Kurzschnabelgänse hervorzuheben, die ab dem 22.1. bis (mindestens) Mitte Februar die optikbewehrten Frostspanner im Leinepolder Salzderhelden erfreuten.

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Abb. 2: Zwei Kurzschnabelgänse an der Geschiebesperre Hollenstedt. Foto: V. Hesse.

Der Code (NCU) einer mit schwarzer Manschette im Dezember 2003 in den Niederlanden gekennzeichneten Blässgans, die seitdem dort alljährlich überwintert, wurde am 19.2. im Leinepolder Salzderhelden abgelesen. Bei den mehr oder minder stationären Vögeln (in der Regel weniger als 200 Ind.) war der hohe Jungvogel-Anteil von knapp 40 Prozent so erfreulich wie auffällig.

Nilgänse erreichten am 12.2. mit 55 Ind. im Leinepolder Salzderhelden ihr Wintermaximum. Bis zu drei winterliche Brandgänse sind aus regionaler Sicht bemerkenswerter als ein bis zwei Rostgänse unbekannter Provenienz, die mittlerweile zum festen Inventar der Geschiebesperre Hollenstedt gehören.

Pfeifenten haben in den letzten Jahren in der Leine- und Rhumeniederung zwischen Northeim und Salzderhelden eine für das niedersächsische Bergland ungewöhnliche Rasttradition entwickelt, die sich auch in diesem Winter mit bis zu 150 Ind. vor allem während des Vollstaus im Leinepolder bemerkbar machte. Angesichts des, zumindest in Westeuropa, stark negativen Trends bei den Rastbeständen sind 1250 Stockenten am 8.1. im Leinepolder erwähnenswert. Dies trifft auch auf ein M. der Kolbenente zu, das sich vom 14. bis 16.2. auf der Kiesgrube Reinshof aufhielt.

360 Reiherenten lieferten am 29.1. an der Geschiebesperre Hollenstedt ihr winterliches Maximum. Der langsam ins Prachtkleid ummausernde stationäre Eider-Erpel wurde letztmalig am 30.1. an der Geschiebesperre Hollenstedt gesehen. Seit dem 20.2. hält sich auf dem Fischzuchtteich (Northeimer Kiesteiche) eine Samtente auf.

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Abb. 3: Samtente. Foto: S. Böhner.

Während Zwergsäger an den Stillgewässern mit in der Regel weniger als 10 Ind. eher spärlich vertreten waren, traten Gänsesäger während des Tauwetters in außergewöhnlich hohen Zahlen auf. 77 Ind. am 8.2. auf dem nur 13 Hektar großen Göttinger Kiessee, 96 Ind. am 16.2. auf der Kiesgrube Reinshof (10 Hektar) und 175 Ind. am 18.2. auf dem Seeburger See sind lokale Rekord-Maxima, wobei die Vögel vom Kiessee und der Kiesgrube Reinshof zumindest teilweise identisch gewesen sein dürften. Selbst auf dem kleinen Teich im Göttinger Levin-Park widmeten sich bis zu 11 Gänsesäger (19.1.) dem Fischfang.

Für die regionale Population des Rebhuhns war der vergangene Winter ein ziemliches Desaster. Die vom Rebhuhnschutzprojekt der Uni Göttingen auf 90 km² im Ostteil des Landkreises auf 104 Transekten durchgeführte Kartierung mit Klangattrappen erbrachte gegenüber dem Winter 2009/2010 einen Rückgang von 213 auf 119 revieranzeigende Vögel. Besonders dramatisch fiel der Verlust von 97 auf 35 Ind. auf den strukturarmen Agrarflächen im Viereck Wollbrandshausen – Gieboldehausen – Seulingen – Oberfeld aus. Im Vergleich zum ebenfalls schneereichen Winter 2008/2009 hat das Eichsfeld 75 Prozent seiner Rebhühner eingebüßt. Hinzu kommt, dass die Zahl der Blühstreifen (z.T. zugunsten eines höher dotierten Rotmilanprojekts mit Luzernestreifen!) weiter zurückgeht. In der strukturreichen Feldmark Gö.-Geismar und am Diemardener Berg war der Bestand hingegen stabil.
Kälte und Schnee erhöhen auch das Prädationsrisiko: Wenn sich die Vögel im Winter zum Schlafen an den wenigen verbliebenen Hecken und Randstreifen konzentrieren müssen, fallen sie leichter Beutegreifern wie Fuchs und Habicht zum Opfer. Um dem Dilemma aus erschwerter Nahrungssuche und Fressfeinddruck zu entgehen, verfielen einige Rebhühner auf eine Gegenstrategie: Auf dem Schulhof in Diemarden und unter einem Container im Gieboldehäuser Gewerbegebiet wurden besenderte Vögel relokalisiert. Vier Ind. suchten in einem Hausgarten im Göttinger Stadtteil Treuenhagen unter einer für Kleinvögel eingerichteten Futterstelle für knapp eine Woche Schutz. Zum Schlafen flogen sie in die nahe gelegene Kleingartenkolonie „Lange Bünde“. Diese „Verstädterung“ eines Feldvogels aus Not ist so außergewöhnlich wie unfroh stimmend.

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Abb. 4: Rebhühner in Treuenhagen. Foto: S. Hillmer.

120 Haubentaucher zeigten am 18.12. an den Northeimer Kiesteichen das lokale Wegzug-Maximum an. Am 21.11. hielt sich im Leinepolder Salzderhelden ein Rothalstaucher auf.

Auf dem Freizeitsee (Northeimer Kiesteiche) schwamm vom 28.11. bis 12.12. ein Sterntaucher. Auf der Kiesgrube Reinshof hielt es ein Prachttaucher vom 2. bis 13.12. aus.

Süd-Niedersachsens zweiter Eistaucher, der am 14.11. auf dem vorgenannten Gewässer eine kurze Rast einlegte, wurde bereits auf dieser Homepage in einem Sonderbericht vom 22.11. ausgiebig gewürdigt.

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Abb. 5: Prachttaucher auf der Kiesgrube Reinshof. Foto: M. Siebner.

Kormorane erreichten am 12.2. an den Northeimer Kiesteichen mit 96 Ind. ihr winterliches Maximum. Am Göttinger Kiessee waren sie während des Tauwetters mit maximal 40 Ind. in vergleichsweise geringer Zahl präsent.

Am 14.11. zeigten 55 Silberreiher vor dem Wintereinbruch im Polder I des Leinepolders Salzderhelden bereits ein kopfstarkes (Wegzug?-)Vorkommen an. Nach der Schneeschmelze Anfang Januar tauchten die Weißen Riesen wieder auf (von wo?) bzw. wurden wieder sichtbar – und wie! Von zahllosen ertrunkenen Kleinsäugern angezogen, versammelten sie sich in Trupps von manchmal mehr als 40 Ind. Grob geschätzt dürfte der Hochwinterbestand in Süd-Niedersachsen mehr als 70 Ind. umfasst haben. Das ist, zumal für einen Winter wie diesen, außergewöhnlich, denn normalerweise betrug er in den vergangenen Jahren um die 20 bis 25 Ind. Ende Februar gingen die Zahlen wieder zurück.
Ebenso spektakulär wie ihr erstaunliches Migrationsverhalten ist – als Göttinger Spezialität? – die kontinuierliche Verstädterung dieser Reiherart, die vor 30 Jahren noch als Rarität bestaunt wurde. Während „zutrauliche“ Einzelvögel in der Weststadt (z.B. am Levin-Park und am Rückhaltebecken Grone) fast schon Normalität sind, ist ein vergleichbares Auftreten im Ostviertel neu. Am 9.1. hielten sich zwei Ind. an der aufgestauten Reinsrinne auf den Schillerwiesen, einer städtischen Parkanlage mit regem Besucherverkehr, auf. Am 18.1. saß ein Silberreiher auf einem Hausdach am Nonnenstieg und sorgte dort mit seiner unwirklich anmutenden Erscheinung für einiges Aufsehen unter den Anwohnern. Im selben Zeitraum wurden zwei Ind. mehrfach am Weendespring im Ortsteil Weende gesehen.

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Abb. 6: Silberreiher am Nonnenstieg. Foto: M. Listing.

Dagegen nahmen sich die Zahlen des Graureihers gering aus. Die lokalen Tagessummen lagen beständig unter 10 Ind., zumeist sogar unter fünf Ind.
Die mit fünf ausgeflogenen Jungreihern erfolgreiche Brut im Levin-Park im vergangenen Jahr hat offenbar Nachahmer animiert. Ende Februar begannen drei Paare mit dem Nestbau. Ob der neue Brutplatz, immerhin auf einer kleinen Insel, sicher vor nordamerikanischen Eierräubern mit Banditenmaske ist wird sich bald erweisen…

Das winterfeste Weißstorch-Paar aus dem Leinepolder wich nach den Schneefällen und dem Zufrieren der Gewässer im Dezember auf die Deponie Blankenhagen bei Moringen aus und hatte dort offenbar ein gutes Auskommen. Ab Mitte Januar ließ es sich wieder im Brutgebiet blicken.

Kornweihen waren mit 13 Ind. (maximal vier Ind. am 23.11. im Leinepolder Salzderhelden (IV) bzw. drei Ind. (1 ad. M., 1 M K 2 und ein wf. Ind.) am 19.12. am Diemardener Berg) eher spärlich vertreten. In der Regel war die Verweildauer der Vögel kurz, Nachweise von ortsfesten Überwinterungen liegen nicht vor. Diese wären im Leinepolder, ihrem bevorzugten Überwinterungsgebiet, wegen der Überflutung auch kaum zu erbringen gewesen. Ertrunkene Mäuse und anderes Aas stehen nun mal nicht auf dem Kornweihen-Speiseplan…

Immerhin vier Rauhfußbussarde wurden gemeldet und zwar vom 2.12. am Seeburger See (W.), vom 10.12. an den Northeimer Kiesteichen (W.) und über Gö.-Nikolausberg (K 1) sowie vom 19.12. bei Scheden. Alle waren wohl auf der Flucht vor den Schneemassen und sahen – anders als im Winter 2009/2010 (vgl. den Spezialbeitrag vom 19.7.2010 auf dieser Homepage) – von einem längeren Aufenthalt wohlweislich ab.

Merlin-Winterbeobachtungen sind in unserer Region eine Seltenheit und gelingen, wenn überhaupt, fast nur in schneereichen Kältewintern. Insofern passen Einzelvögel vom 13.1. im Leinepolder Salzderhelden (IV), vom 15.1. in der Feldmark Sattenhausen und vom 23.1. an der Geschiebesperre Hollenstedt gut ins Bild. Möglicherweise betrafen die drei Beobachtungen nur ein oder zwei Vögel mit, wegen der Kleinvogelarmut (s.u.), großem Aktionsradius.

Regional bemerkenswert ist die erste Überwinterung eines Kranichs, die aus eigenem Antrieb erfolgte. Der Vogel hielt sich vom 11.12. bis Ende Februar an der Geschiebesperre Hollenstedt auf und trotzte in Eis und Schnee der harschen Witterung. Dabei kam ihm eine Wildfütterung zugute, die er regelmäßig aufsuchte. Ein ähnliches Phänomen liegt bereits 20 Jahre zurück. Das monatelange Ausharren eines Paares im Winter 1988/89 im Leinepolder Salzderhelden war aber alles andere als freiwillig. Einer der beiden hatte sich an einer Stromleitung verletzt und konnte nicht mehr fliegen. Der treue Gefährte blieb – weitaus uneigennütziger als der sinistre Adoptivprinz Frederic von Anhalt bei Zsa Zsa Gabor! – solange bei seinem Gespons, bis dessen Verletzung im Frühjahr abgeheilt war und beide die Heimreise ins Brutgebiet antreten konnten. Das nennt man wahre Gattenliebe nach dem Vorbild einer bekannten Beethoven-Oper.

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Abb. 7: Kranich mit Rostgans und anderem Wassergeflügel an der Geschiebesperre Hollenstedt. Foto: J. Herting.

Der Heimzug setzte bereits am 7.2. ein und tröpfelte bis zum Ende des Monats vor sich hin. Vergleichsweise gute Zugtage bzw. –nächte waren der 13.2. (ca. 1000 Ind.) und der 23.2. (ca. 500 Ind.).

„Eigentlich“ hätte der außergewöhnlich kalte und schneereiche Dezember zu einem Massenausbruch von Großtrappen aus ihren ostdeutschen Hochsicherheitstrakten führen müssen. Dem war aber nicht so: Anders als im Winter 2009/2010 (vier regionale Nachweise mit sechs Ind.) wurde nur die Beobachtung eines Einzelvogels bekannt, der am 2.1. südlich von Hollenstedt nach Südwesten zog und von B. Riedel bei naturgucker.de fotografisch festgehalten werden konnte.

Am 13.12. wurde an den Northeimer Kiesteichen das winterliche Maximum von 495 Blässhühnern ermittelt. Der Göttinger Winterbestand des Teichhuhns war wiederum gering. Im Kiessee-Leinegebiet hielten es ganze zwei Ind. aus und auch im Levin-Park lag ihre Zahl mit maximal 12 Ind. unter dem langjährigen Durchschnitt. Um die Bestandsentwicklung dieser von der Avifaunistik weithin vernachlässigten Rallenart muss man sich – vielleicht nicht nur in Göttingen – ernsthaft Sorgen machen.

Am 26.2. zogen bemerkenswerte 77 Goldregenpfeifer über die Feldmark Geismar-Süd. Am 20.2. bedeckten 3000 Kiebitze den Leinepolder Salzderhelden, nach einem erneuten Kälteeinbruch gingen die Zahlen jedoch deutlich zurück. Am 27.11. legten vier verbummelte Große Brachvögel im Leinepolder Salzderhelden eine kurze Rast ein.

Ab dem 12.2. ließen sich an den Northeimer Kiesteichen wieder zwei bald schon obligatorische Zwergschnepfen aufscheuchen. Der frühe Wintereinbruch führte zur bundesweit registrierten Schneeflucht von Waldschnepfen, die sich auch bei uns mit Einzelvögeln am 30.11. in Rosdorf und am 2.12. in einem Hausgarten in der Göttinger Münchhausenstraße bemerkbar machte. Der Rosdorfer Vogel war gegen eine Scheibe geflogen, wurde in Gewahrsam genommen und konnte am folgenden Tag wieder der freien Wildbahn zugeführt werden. An der Geschiebesperre Hollenstedt gelang wiederum zwei hartgesottenen Waldwasserläufern die Überwinterung.

Das Massensterben von Kleinsäugern nach dem Vollstau des Leinepolders Salzderhelden lockte im Januar bis zu 19 Silbermöwen an. Diese Zahl ist für unsere großmöwenarme Region recht bemerkenswert. Am 10.12. wurden an den Northeimer Kiesteichen drei Steppenmöwen (2 K 3, 1 ad. Ind.) ins Visier genommen. Dort hielt sich am 18.12. auch eine K 1-Mittelmeermöwe auf, der am 16.1. ein K 2-Vogel folgte.


Ab dem 24.11. sorgte eine, zum Glück fotografierte, Großmöwe aus dem Leinepolder Salzderhelden für eine angeregte Bestimmungsdiskussion. Nach eingeholter Expertenmeinung (u.a. M. Gottschling, A. Buchheim, K. Malling Olsen und V. Rauste) war der Vogel zweifelsfrei eine Heringsmöwe nordöstlicher Provenienz. Was die genauere Bestimmung auf Art-/Taxonniveau anbelangt tendierte die Meinung mehrheitlich zu Larus f. fuscus („Baltische Heringsmöwe“).

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Abb. 8: Östliche Heringsmöwe (mit Sturmmöwe). Foto: M. Siebner.

Für Göttingen recht ungewöhnlich ist die Beobachtung einer Schleiereule, die am 24.1. an der Sportanlage an der Hermann-Rein-Straße auf einem Fußballtor saß und eine Annäherung auf fünf Meter zuließ.

Ein traditioneller Leidtragender von Kältewintern, der Eisvogel, scheint, trotz neuerlicher Verluste, letztlich mit einem kobaltblauen Auge davongekommen zu sein. Gleichwohl dürfte sich der regionale Brutbestand nach drei Kältewintern in Folge mal wieder auf einem historischen Tiefstand bewegen. An der Hahle bei Mingerode überlebten zwei Vögel, desgleichen im Göttinger Kiessee-Leinegebiet. Dort kam es zu erbitterten Kämpfen dieser im Winter äußerst unflätigen Gesellen, die ein möglichst großes Revier beanspruchen. Die gewaltsamen, über mehr als eine halbe Stunde ausgetragenen Auseinandersetzungen konnten mit einem hervorragenden Foto dokumentiert werden. Wie im letzten Winter gelang auch einem Vogel am Weendespring die Überwinterung.

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Abb. 9: Eisvögel beim Kampf ums Winterrevier. Foto: V. Hesse.

Wieder einmal erhebt sich die bange Frage: Wie ist es dem Grünspecht, einem spezialisierten Ameisenfresser und Nicht-Futterhaus-Besucher ergangen? Wie schwer er es hat, bei hohem Schnee an seine Nahrung zu gelangen, verdeutlich das folgende Foto.

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Abb. 10: Grünspecht auf Nahrungssuche in Diemarden. Foto: V. Lipka.

Obgleich die Verluste kaum zu quantifizieren sind, zeichnet sich ab, dass einige traditionelle Reviere in Göttingen und Umgebung (z.B. Kiessee, Friedhof Junkerberg, Hainberg, Gartetal bei Diemarden) nach wie vor von Vögeln besetzt sind, die den Horror-Dezember verlacht haben. Auch aus dem Ostteil des Landkreises Göttingen liegen Erkenntnisse zur Bestandssituation vor, die gleichermaßen ermutigend und verblüffend ausfallen – Glückwunsch! Gleichwohl bleibt es ein Mysterium, welche ökologischen Faktoren dafür verantwortlich sind, dass Kältewinter für diese Art offenkundig nicht mehr solche desaströsen Verluste mit sich bringen wie noch vor 20 Jahren. Seitdem hat ihr Bestand jedoch stark zugenommen, warum genau, ist ungeklärt. Und kleine Populationen leiden bekanntlich unter Wetterextremen und ähnlichen Phänomenen weitaus stärker als große…

Wenn im folgenden von den Sperlingsvögeln die Rede ist, sei vorausgeschickt: Wohl selten war ein Winter ärmer an Kleinvögeln als dieser! Dies drückte sich nicht zuletzt auch in etlichen Anrufen erboster Mitbürger/innen aus, die sich über den geringen oder gar fehlenden Zuspruch beklagten, den ihre üppig beschickten Futterstellen fanden. Vermutlich hatten (auch) viele Passeres, sofern sie nicht obligatorisch standortstreu sind wie z.B. Sumpfmeise und Elster, bereits Ende November/Anfang Dezember das Weite gesucht – ein durchaus weiser Entschluss. Gleichwohl gibt es auch bei diesem Spektrum einige Ausnahmen und interessante Beobachtungen.

Vom Raubwürger liegen immerhin 16 Beobachtungen von 14 verschiedenen Ind. vor, die zumeist an ihren traditionellen Überwinterungsplätzen (z.B. Kerstlingeröder Feld, Golfplätze Brochthausen und Levershausen, Leinepolder Salzderhelden, Dransfelder Hochfläche etc.) angetroffen wurden. Ob für das vergleichsweise zahlreiche, aber ansonsten durchaus nicht aus dem langjährigen Rahmen fallende Auftreten in diesem Kältewinter die engagierte Erfassung durch einen Enthusiasten, guter Bruterfolg im Mäusejahr 2010 oder Zuzug von nordeuropäischen Überwinterern die Ursache war (oder alle drei Faktoren zusammenwirkten), muss offen bleiben. Erstaunlich bleibt allemal, wie die robusten Vögel bei der außergewöhnlichen Schneehöhe und der bereits erwähnten Kleinvogelarmut an ihre Nahrung gelangten.

Am 14.11. machten sich in einem Röhrichtbestand unweit der Staumauer des Leinepolders Salzderhelden 14 Bartmeisen (8 M., 6 W.) bemerkbar.

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Zweifelsfreie Beobachtungen von Schwanzmeisen der nordischen Nominatform caudatus (nicht zu verwechseln mit weißköpfigen Ind. der heimischen Unterart europaeus!) waren vor diesem Winter in unserer Region eine große Rarität. Drei aktuelle Nachweise von insgesamt ca. fünf bis sechs Vögeln sind einer mehr als die beiden einzigen, die zuvor aus den letzten Jahrzehnten existierten! Am Göttinger Stadtwall hielt sich im Hochwinter für längere Zeit ein gemischter Trupp auf, unter dem sich auch zwei bis drei klassische caudatus-Ind. befanden. Das Auftreten dieser Vögel stand sicher im Zusammenhang mit einem größeren Einflug nach Mittel- und Westeuropa, der sich aber, wie so oft, in Süd-Niedersachsen nur sehr abgeschwächt bemerkbar machte.

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Abb. 12: Schwanzmeise der Nominatform am Göttinger Stadtwall. Foto: M. Siebner.

Was nun den erhofften Masseneinflug des Seidenschwanzes anbelangt: Er hat bisher nicht stattgefunden! Zwar liegen die Zahlen vor allem in Göttingen erheblich höher als im Vorjahr; sie sind jedoch, verglichen mit der Invasion 2004/2005, eher gering und bewegen sich (noch?) im Rahmen normaler Einflugjahre. Eine ausführliche Dokumentation, zu der zahlreiche Beobachter/innen mit ihren Daten beigetragen haben, erscheint Ende April – wenn die letzten der gefräßigen Nordlichter verschwunden sind – auf dieser Homepage.
Wiederum war der Zaunkönig in vielen Gebieten nur als kläglicher Einzelvogel vertreten oder fehlte sogar völlig. Man kann nur hoffen, dass sich die meisten nach dem frühen Winterbeginn in angenehmere Gefilde verzogen haben. Auch das Rotkehlchen machte sich wieder ausgesprochen rar.

Winterbeobachtungen von Singdrossel, Wiesenpieper und Rohrammer: Fehlanzeige. Auch die Feldlerche war im Hochwinter komplett abwesend. Zwei Hausrotschwänze, die im Industriegebiet im Göttinger Westen zu überwintern versuchten, waren bereits nach dem 6.12. nicht mehr aufzufinden. Auch von den etwas härteren Arten Bergpieper und Gebirgsstelze liegen auffallend wenige Daten vor, die jeweils weniger als 10 bzw. fünf Ind. betreffen. An der plakativen und pauschalen, vom Boulevardblättchen bis zur populär gestrickten vogelkundlichen Fachzeitschrift kolportierten Mutmaßung, dass „wegen der Klimaerwärmung immer mehr Zugvögel zu Standvögeln werden“ bestehen wohl größere Zweifel denn je. Vor diesem Hintergrund ist die erfolgreiche Überwinterung einer Bachstelze auf dem Uni-Campus in Göttingen sehr bemerkenswert. Ansonsten wurden am 14.1. an der Geschiebesperre Hollenstedt und am 16.1. am Göttinger Flüthewehr nur Einzelvögel mit einer kurzen Verweildauer gesehen.

Von einigen Finkenvögeln ist zu berichten, dass sie in eher normalen bis unterdurchschnittlichen Zahlen auftraten. Größere Trupps von mehr als 50 Erlenzeisigen ließen sich wie gewohnt am Seeburger See, am Göttinger Kiessee, auf dem Stadtfriedhof und im Ostviertel blicken. Ähnlich sah es beim Birkenzeisig aus. Erwähnenswert ist ein Trupp von ca. 100 Bluthänflingen, der sich am 29.12. am Diemardener Berg aufhielt. Nordische „Trötergimpel“ wurden bis zum Ende des Winters in einigen Gebieten, z.B. am Göttinger Kiessee, in geringer Zahl (1-2 Ind.) gehört. Wie die Gimpel waren auch Kernbeißer allerorten zu vernehmen, aber nur am Göttinger Kiessee und auf dem Stadtfriedhof zu quantifizieren, wo sich im Hochwinter jeweils bis zu 15 bis 18 Ind. aufhielten.

H.H. Dörrie und Silvio Paul

Dieser Sammelbericht, dem höchste wissenschaftliche und ethische Ansprüche zugrunde liegen, wurde von den Autoren (hd&sp) in mühevollster nächtlicher Kleinarbeit erstellt – unter Hintanstellung aller familiären und sonstigen Verpflichtungen. Er beruht ausschließlich auf einem Exzellenzcluster aus exakt 37 jederzeit nachprüfbaren Primärquellen, die im folgenden alphabetisch aufgelistet werden: P.H. Barthel, S. Böhner, G. Brunken, J.Bryant, M. Corsmann, H. Dörrie, K. Dornfeldt, M. Drüner, M. Fichtler, J. Fleischfresser, M. Göpfert, E. Gottschalk, V. Hesse, J. Herting, S. Hillmer, U. Hinz, S. Hohnwald, K. Jünemann, A. Kannengießer, H.-A. Kerl, G. Köhler, V. Lipka, M. Listing, T. Matthies, C. Oppermann, H. Ostwald, J. Ostwald, S. Paul, D. Radde, U. Scheibler, C. Scherber, M. Schuck, A. Schröter, M. Siebner, A. Stumpner, H.-J. Thorns & D. Trzeciok (viele von ihnen mit redlich erworbenem Doktortitel, aber man will ja nicht protzen…).