Späte Brutzeit und Wegzug 2012: Von Juli bis November ging es eher beschaulich zu

Zwergente - M.Siebner
Abb. 1: Wer am lautesten schnattert, hat den Schnabel vorn! Foto: M. Siebner

Bis auf einen, mit Nachtfrösten bis zu -5,3°C, ungewöhnlichen Kälteeinbruch zum Ende eines ansonsten ungewöhnlich goldenen Oktobers, hatte das Wetter im Berichtszeitraum wenig zu bieten: Keine Stürme, keine Überschwemmungen, keine Hitzerekorde, nichts dergleichen. Deshalb können wir uns ohne weiteres Vorgeplänkel den Vögeln zuwenden.

In einer Gruppe von zunächst drei, später vier adulten Singschwänen, die Ende Oktober an der Geschiebesperre Hollenstedt eintrafen, befand sich ein 2011 in Lettland mit einer blauen Halsmanschette (2E 94) markierter Vogel. Bereits im Herbst 2010 konnten dort zwei Ind. aus dem lettischen Projekt ausgemacht werden.

Wenn überhaupt, lassen sich Vertreter der seltenen Waldsaatgans in unserer Region nur in ausgeprägten Kältewintern mit hoher Schneelage blicken. Der letzte Nachweis stammt vom 16. Februar des Einflugwinters 2010, als ein Einzelvogel an der Geschiebesperre Hollenstedt bestimmt wurde. Die Meldung einer vierköpfigen Familie im Leinepolder Salzderhelden am 28. Oktober ist daher noch ungewöhnlicher als ohnehin schon.

Am 14. August wurde in Stockhausen eine Nilgans-Familie mit acht nichtflüggen Jungvögeln entdeckt. Wo genau der Brutplatz sich befunden hat muss offen bleiben. Am nahen Wendebachstau haben Nilgänse ab und an gebrütet (2012 aber nicht); möglicherweise basiert die Neuansiedlung auf einem Umzug dieser Vögel. An der Geschiebesperre Hollenstedt zeigten Mitte-Ende November bis zu knapp 250 Ind. ein mittlerweile typisches Wegzug-Maximum an. Immer noch unbeantwortet ist die Frage, woher viele dieser Vögel stammen, deren Anzahl die regionale Populationsgröße um einiges übertrifft.

Eine männliche Mandarinente beehrte am 23. September die Kiesgrube Reinshof nur für kurze Zeit. Die Erpel „Cheech“ und „Chong“ waren über Jahre die Maskottchen der Göttinger Vogelkundler. Seitdem im Frühjahr 2009 mit „Cheech“ der letzte der beiden unwiderruflich verschwunden war, deutet sich jetzt an, dass sie (endlich) Nachfolger gefunden haben, die ihnen an Ausstrahlung in nichts nachstehen: Seit Mitte Oktober sorgt ein kompaktes Quartett von „Zwergenten“ am Göttinger Kiessee für Furore. Zwergenten sind eine Zuchtform der Stockente, die mit ihrem unablässigen Geschnatter Wildenten vor die Flinten von Jägern locken sollen. Der Lärmpegel der putzigen Krachmacher ist in der Tat beeindruckend. Noch ist ihr Fanclub überschaubar…

Zwergenten _ M.Siebner
Abb. 2: Zwergenten am Göttinger Kiessee. Foto: M. Siebner

Kolbenenten sind, dem deutschlandweit positiven Trend entsprechend, in den letzten Jahren zu regelmäßigen Gästen Süd-Niedersachsens avanciert, zudem steigen auch die Truppgrößen. Am 30. Juni rasteten vier Männchen auf dem Göttinger Kiessee, gleich 13 Vögel (acht M. und fünf wf. Ind.) besuchten am 8. Juli den Seeburger See.

2012 konnte in Göttingen keine Brut der Reiherente registriert werden. Am Seeanger hatten (immerhin) vier Weibchen mit jeweils fünf, vier, zwei und einem Jungvogel Schlupferfolg.

Auf der Kiesgrube Reinshof hält sich seit dem 1. November eine diesjährige Samtente auf.

Samtente - M.Siebner
Abb. 3: Samtente auf der Kiesgrube Reinshof Foto: M. Siebner

Am 16. und 30. August schwamm auf dem Seeburger See eine weibchenfarbene (junge?) Schellente. Aus dem Vorjahr (17.7.2011) liegt eine vergleichbare Beobachtung vor. In Niedersachsen brüten Schellenten seit einigen Jahren vereinzelt, aber mit leicht positivem Trend in der Tieflandregion. Der Bestand stieg von 15 Brutpaaren 2005 (Krüger & Oltmanns 2007) auf aktuell 20 bis 22 Brutpaare (T. Krüger, mdl.). In Süd-Niedersachsen treffen Schellenten zumeist erst ab Oktober als Rastvögel und Wintergäste ein. Über die Herkunft dieser Vögel ist nichts Genaueres bekannt, es ist aber anzunehmen, dass sie aus Nord- oder Nordosteuropa kommen. Die jahreszeitlich ungewöhnlich frühen Gäste könnten dagegen aus Niedersachsen oder auch dem benachbarten Sachsen-Anhalt stammen. Dort nimmt der Brutbestand gleichfalls zu.Für 2005 wurde er auf 26 bis 28 Paare beziffert und stieg bis 2010 auf 35 bis 36 Paare an (Fischer & Dornbusch 2006, 2011).

Jahreszeitlich ebenfalls ungewöhnlich sind bis zu sechs weibchenfarbene Gänsesäger (darunter drei sicher als diesjährig bestimmte Ind.), die sich bereits ab August an der Geschiebesperre Hollenstedt aufhielten. Wie bei der Schellente treffen die ersten Rastvögel und Wintergäste in unserer Region erst ab Mitte Oktober ein.
In den vergangenen ~ 20 Jahren gab es an der Geschiebesperre immer wieder Sommer- und Frühherbstbeobachtungen von Gänsesägern. Spätsommerliche Vögel mit einem für das Jugendkleid charakteristischen hellen Zügelstreif sind jedoch eine Novität. Bekanntlich ist man in der Vogelkunde vor Überraschungen nicht sicher. Und an der Leine zwischen Northeim und Einbeck gibt es etliche unzugängliche Abschnitte mit alten Höhlenbäumen…
Das flugunfähige Weibchen, das zuerst am 30. April auf der Leine am Flüthewehr gesehen wurde, gelangte letztmalig am 24. Juli an der Leinebrücke über die Kiesseestraße ins Blickfeld. Was mag aus ihm geworden sein?

Vom Lakenteich im Solling (immerhin 353 m ü.NN!) liegt ein Brutnachweis des Zwergtauchers mit zwei Jungvögeln vor. An den Husumer Teichen bei Hammenstedt fanden zwei Bruten mit insgesamt drei Jungvögeln statt. Ansonsten: Fehlanzeige.

Für die drei Paare des Haubentauchers am Göttinger Kiessee fällt die Bilanz 2012 ungewohnt positiv aus: Aus drei Bruten wurden neun Jungvögel flügge. Das ist ein Wert, der erheblich über den schlechten Ergebnissen der Vorjahre liegt. Warum? Weil die anthropogenen Störfaktoren (Regatten mit hohem Wellenschlag, undisziplinierte Tretbootfahrer etc.) auch in diesem Jahr unvermindert wirksam waren, könnte der Grund womöglich in der dunklen und geheimnisvollen Welt unter Wasser zu suchen sein: Pünktlich zum Brutbeginn des ersten Paars trieben an der Ostseite des Gewässers zwei große Welse kieloben. Sportangler hatten einige der räuberischen Allesfresser vor mehr als 20 Jahren zur Erweiterung ihres Beutespektrums ausgesetzt. Ob sie sich fortpflanzen konnten, ist unklar bis fraglich. In den vergangenen zehn Jahren dezimierten, durch Totfunde belegt, mehrere Fischsterben den Bestand. Dass zwischen dem (endgültigen?) Abgang der gefräßigen Top-Prädatoren in diesem Jahr und dem guten Haubentaucher-Bruterfolg ein Kausalzusammenhang besteht, kann zumindest nicht ausgeschlossen werden.
Völlig anders erging es den Artgenossen am Seeburger See. Die Hoffnung auf Spät- bzw. Ersatzbruten im Juli/August wurde nicht erfüllt, der Ausfall war total. Über die Gründe dieses bis dato singulären Phänomens wurde bereits im Brutzeitbericht 2012 auf dieser Homepage spekuliert. Sollte sich ein negativer Trend abzeichnen und beschleunigen, wäre der Seeburger See wohl bald um seinen Wappen-Brutvogel ärmer – eine Entwicklung, die sich bis vor kurzem kaum jemand hat vorstellen können. Auch die spätherbstlichen Rastzahlen liegen bis dato mit maximal ca. 50 Ind. unter dem Durchschnitt.

Am 4. November hielt sich ein Rothalstaucher auf den Northeimer Kiesteichen auf.

Am 24. November rastete ein Prachttaucher auf dem Seeburger See offenbar nur für kurze Zeit.

Ende Oktober hielten sich im Leinepolder Salzderhelden bis zu 50 Silberreiher auf dem Wegzug auf. Die weißen Riesen sind auch in diesem Herbst wieder gut vertreten, mit Nachweisen mehr oder minder stationärer Vögel aus allen Ecken der Region und einer typischen Konzentration auf die Leineniederung und die Umgebung des Seeburger Sees, wo am 11. November maximal 18 Ind. gezählt wurden. Bei entsprechender Wetterlage könnten Kälte- und Schneeflüchter aus dem Osten die Zahlen noch steigen lassen.
Durch vier Spätbruten (drei im Levin-Park und eine mit vier selbständig gewordenen Jungvögeln auf der Insel im Kiessee) erhöhte sich die Zahl der Göttinger Paare des Graureihers auf beachtliche 19.

Ein Seidenreiher hielt sich Mitte August für mehrere Tage an der Geschiebesperre Hollenstedt auf und befestigte damit seinen Status als nunmehr alljährlich in Erscheinung tretende Gastvogelart.

Seidenreiher - W.Kühn
Abb. 4: Seidenreiher an der Geschiebesperre Hollenstedt. Foto: W. Kühn

Ein Fischadler vom 16. November an der Kiesgrube Reinshof stellt den spätesten regionalen Wegzugnachweis dieser Art dar.

Aus dem Spektrum spärlich auftretender Greifvogelarten sorgte eine männliche Wiesenweihe im dritten Kalenderjahr vom 18. bis 25. August am Diemardener Berg für Unruhe unter den Rastvögeln. Von den Beobachtern wurde sie mit einer Mischung aus Bewunderung und einigem Argwohn zur Kenntnis genommen.

Wiesenweihe - M.Siebner
Abb. 5: Wiesenweihe am Diemardener Berg. Foto: M. Siebner

Die ersten Raufußbussarde der Saison gerieten am 19. Oktober bei Uslar (nach Südosten ziehendes vorj. Ind.) sowie am 28. Oktober und 21. November im Leinepolder Salzderhelden (ad. M.) ins Blickfeld.

Typisch fiel das Auftreten von Merlinen auf dem Wegzug aus. Aus dem Zeitraum vom 17. September bis 26. Oktober existieren sechs Beobachtungen zumeist weibchenfarbener Einzelvögel, die bis auf eine alle aus dem Osten des Landkreises Göttingen stammen.

Mit dem 26. Oktober liegt für die Region (endlich einmal wieder) ein Massenzugtag des Kranichs vor. Im Süden der Gemeinde Gleichen wurden zwischen 10.00 Uhr und 17.15 Uhr 15.515 ziehende Ind. gezählt, die zumindest teilweise identisch mit mindestens 5220 Ind. gewesen sein dürften, die über Ebergötzen stichprobenartig ermittelt wurden. In den letzten Jahren waren die Kranichzahlen rückläufig, da Zehntausende ihren neuen Rastplatz in der Diepholzer Moorniederung auf einer Route nördlich des Harzes ansteuern.
Anfang September wurde der Wasserstand der Leine südlich des Flüthewehrs für Ausbaggerungsarbeiten gesenkt. Auf den Schlammflächen, die danach freilagen, ließ sich eine für das Göttinger Stadtgebiet eher ungewöhnliche Wasserralle für zwei Tage optimal beobachten und fotografieren.

Wasserralle - M.Siebner
Abb. 6: Wasserralle am Göttinger Flüthewehr. Foto: M. Siebner

Am 21. August machte ein Austernfischer über Gö.-Nikolausberg nächtens mit seinem Zugruf auf sich aufmerksam. Am 30. September zog ein rufender Kiebitzregenpfeifer über die ehem. Tongruben Siekgraben.

Die Rastzahlen des Kiebitzes scheinen sich im freien Fall zu befinden. Im traditionellen Rastgebiet in der Feldmark Wollbrandshausen – Gieboldehausen wurden am 23. September maximale 115 Ind. (!) gezählt. Die niedrigen Zahlen stimmen (leider) mit dem bundesweiten Trend für das Binnenland überein.

Am 29. und 31. August ließen sich am Diemardener Berg einzeln ziehende Mornellregenpfeifer vernehmen. Ein Regenbrachvogel zog am 5. Juli kichernd über den Göttinger Kiessee.

Rastende Waldschnepfen wurden am 20. Oktober im Seulinger Wald, am 12. November in der Feldmark von Gö.-Deppoldshausen und am 29. November bei Landolfshausen von den Beobachtern in Unruhe versetzt, desgleichen eine Zwergschnepfe am 28. November bei Uslar.

Am 21. August rastete ein junger Steinwälzer auf dem Badesteg am Seeburger See. Am 30. August zog ein rufender Knutt über den Diemardener Berg. Die beiden bemerkenswerten Beobachtungen unter ungewöhnlichen Umständen konnten die Limikolenarmut, die u.a. dem hohen Wasserstand des Seeangers geschuldet ist, nur bedingt kompensieren.

Starvogel des letztgenannten Top-Beobachtungsgebiets war eine am 22. August überhin ziehende Schmarotzerraubmöwe im ersten Kalenderjahr. Da sie auf ihrem Flug nach Westen auch das Göttinger Stadtgebiet kreuzte, ist sie eine neue Gastvogelart für die Leinemetropole.

Schmarotzerraubmöwe - V.Lipka
Abb. 7: Schmarotzerraubmöwe am Diemardener Berg. Foto: V. Lipka

Am 29. Juni hielt sich an der Geschiebesperre Hollenstedt eine (vermutlich) adulte Schwarzkopfmöwe auf. Im Zeitraum zwischen dem 16. August und dem 16. September verweilten, wie beinahe schon üblich, bis zu zwei Jungvögel am Seeburger See.

Schwarzkopfmöwe - M.Siebner
Abb. 8: Junge Schwarzkopfmöwe Foto: M. Siebner

Eine adulte Mittelmeermöwe – mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der langjährige Sommer- und Herbstgast „Michaela“ – traf am 29. Juni am Seeburger See ein. Die treue Seele wurde dort bis in den November beobachtet.

Eine adulte Raubseeschwalbe flog am 5. August über den Northeimer Freizeitsee.

Der Wegzug von zwei Taubenarten verlief in diesem Herbst vergleichsweise spektakulär. Den mindestens 165 Hohltauben, die am 17. Oktober über Ebergötzen zogen, folgten einen Tag später rekordverdächtige 535 Durchzügler bei Uslar. Viele von ihnen zogen zusammen mit Ringeltauben, die mit beeindruckenden 4100 Ind. am 15.10.bei Sattenhausen, mindestens 3410 Ind. am 17. Oktober bei Ebergötzen sowie mit knapp 4000 bzw. 3230 Ind. am 18. bzw. 19. Oktober bei Uslar den Himmel belebten. Mit den Tagessummen im mittleren fünfstelligen Bereich aus anderen Teilen Deutschlands können diese Zahlen aber nicht mithalten…

Den desolaten Status der Turteltaube unterstreichen ganze drei Nachweise aus dem Berichtszeitraum, darunter eine späte Wegzugbeobachtung vom 10. Oktober aus der Feldmark bei Sattenhausen.

Am 12. Juli wurde an der ehem. Bauschuttdeponie Gö.-Geismar eine vierköpfige Familie der Waldohreule mit flüggen, aber noch bettelnden Jungvögeln ausgemacht. Eine Brut in der südöstlich gelegenen Pappelreihe, wo bereits früher Bruten stattgefunden haben, kann als wahrscheinlich gelten.

Am 13. August ließen sich an der Leine nahe dem Flüthewehr zwei Eisvögel beobachten. Einer der beiden brachte den zirpenden Kontaktruf gerade flügge gewordener Jungvögel hervor. Ob dies als (einziger Göttinger) Brutnachweis gewertet werden kann ist fraglich; mehrfache Kontrollen eines nahe gelegenen Brutplatzes verliefen erfolglos.

Eisvogel - M.Siebner
Abb. 9: Eisvogel an der Leine. Foto: M. Siebner

Während sich der einsame Wendehals in der Göttinger Weststadt (vgl. den Brutzeitbericht auf dieser Homepage) bis zum 3. Juli vergebens die Kehle heiser leierte, war ein Paar auf dem Kerstlingeröder Feld mit mindestens zwei flüggen Jungvögeln erfolgreich.

Das anderswo in Deutschland registrierte vermehrte bis massenhafte Aufkommen invasiver Eichelhäher konnte in unserer Region nicht bestätigt werden. Die Zahlen lagen im durchschnittlichen Bereich und betrafen zumeist umherstreifende Vögel auf Nahrungssuche. Am 30. August und am 19. Oktober widmeten sich in einem Hausgarten in Sievershausen/Solling zwei Tannenhäher, ganz typisch, der Suche nach Haselnüssen.

Von der Beutelmeise liegen aus dem Zeitraum vom 11. September bis 11. Oktober (nur) vier Wegzugbeobachtungen von maximal drei Ind. vor, die vom Göttinger Kiessee, dem Seeanger und dem Seeburger See stammen.

In diesem Herbst vollzog sich in Deutschland ein nie zuvor registrierter Einflug nordöstlicher Kohlmeisen, die mit einem ungewöhnlichen zweisilbigen Ruf auf sich aufmerksam machten (Tonaufnahmen bei ornitho.de). Aus der Region existieren bis dato nur vergleichsweise wenige Beobachtungen, darunter eine von ca. 145 in kleinen Trupps ziehenden Ind. am 15. Oktober bei Landolfshausen sowie die Wahrnehmung von mindestens einem Vogel am 9. November in der Göttinger Innenstadt.

Kohlmeise - M.Siebner
Abb. 10: Die nordöstlichen Kohlmeisen sollen etwas größer und kräftiger gezeichnet sein, sehen aber praktisch genau so aus wie dieser heimische Vogel. Foto: M. Siebner

Der Wegzug der Heidelerche verlief in durchschnittlichen Zahlen. Aus dem Zeitraum vom 30. September bis 13. November liegen Beobachtungen von insgesamt 180 Ind. vor, darunter allein 62 in kleinen Trupps ziehende Vögel vom 13. Oktober in der Feldmark Falkenhagen.

Am 7. Juli ergab eine Kontrolle des Uferschwalben-Brutplatzes an der Sandgrube Meensen, dass von zehn frischen Höhlen nur zwei beflogen wurden. Am 5. August erwiesen sich am Northeimer Freizeitsee 100 Niströhren als zumindest teilweise genutzt.

Am 13. August hielt sich ein Drosselrohrsänger in der üppig sprießenden Ruderalvegetation südl. der „Meyerwarft“ am Göttinger Kiessee auf. Wenige Tage später wurden die für Kleinvögel aller Art attraktiven Rast- und Nahrungsflächen gnadenlos gemäht, selbst der Ufersaum am neuen Zulauf geriet auf weiten Strecken unter den Häcksler. Den joggenden oder Gassi gehenden Normalbürger/innen wird das Ambiente aus jungen Bäumen und geometrisch gepflanzten Sträuchern, das jetzt richtig adrett und aufgeräumt aussieht, sicher gefallen…

Am 18. November ließen sich in Göttingen die ersten Seidenschwänze blicken. Ihre Zahl liegt bis dato bei vier bis neun Ind., die sich vor allem in der Kleingartenanlage „Am Wehr“ nahe dem Flüthewehr aufhielten. Ob sie Vorboten eines großen Einflugs sind bleibt abzuwarten. In Norddeutschland und Dänemark zumindest sieht einiges nach einem solchen aus…

Neu für Süd-Niedersachsen ist eine Wasseramsel, die Mitte November dreimal an der Leine in Göttingen gesehen wurde. Ihrem sehr dunklen Bauch fehlte jeder rötliche Farbaspekt. Damit zeigte dieser Vogel ein diagnostisches Merkmal der nordeuropäischen Unterart Cinclus c. cinclus.

Wasseramsel - M.Siebner
Abb. 11: Schwarzbäuchige Wasseramsel nahe der Stegemühle. Foto: M. Siebner

Nordeuropäische Wasseramseln überwintern mitunter an der deutschen Nord- und Ostseeküste bzw. im küstennahen Binnenland, in Niedersachsen bis in die Lüneburger Heide. Wiederfänge beringter Vögel belegen, dass sie über mehrere Jahre denselben Platz aufsuchen können. Im Tiefland brüten Wasseramseln nur ausnahmsweise oder sehr lokal. Daher kann dort in der Regel von einer nordeuropäischen Herkunft der (wenigen) Wintergäste ausgegangen werden.
Im süd-niedersächsischen Bergland, wo Wasseramseln der rotbraunbäuchigen Unterart Cinclus c. aquaticus spärlich, aber verbreitet brüten, gestaltet sich die Sache etwas komplizierter. (Alte) Weibchen von aquaticus haben manchmal einen sehr dunklen oder dunkel erscheinenden Bauch (van Duivendijk 2011). Bei Erhebungen im Harz zeigten neun Prozent der Weibchen dunkle Bäuche und waren von cinclus nicht zu unterscheiden (Zang & Heckenroth 2001). Überdies gibt es in Tschechien ganze Brutpopulationen einheitlich dunkelbäuchiger Ind. von aquaticus, besonders in den höheren Lagen des Berglands (Kren 2000).
Ob der Göttinger Vogel nun ein abweichend gefärbtes ortsansässiges Weibchen war oder ein aus dem Harz, Skandinavien oder Tschechien zugeflogener Gast mit kurzer Verweildauer: Eine Wasseramsel mit dieser Bauchfärbung wurde – trotz erhöhter Aufmerksamkeit seit vielen Jahren (Dörrie 2010) – in der Region zuvor noch nie registriert. Einen leisen Verdacht gab es bereits im Dezember 2011, doch ließ sich dieser Vogel nicht zweifelsfrei dokumentieren.

Von der Ringdrossel liegen aus dem Zeitraum vom 23. September bis 11. Oktober (nur) fünf Beobachtungen von insgesamt acht Ind. vor. Bereits am 13. September wurden an der Kiesgrube Reinshof zwei Rotdrosseln gesichtet, für unsere Region einzigartig früh.

Rotdrossel - M.Siebner
Abb. 12: Rotdrossel am Göttinger Kiessee. Foto: M. Siebner

In der Feldmark südl. Hollenstedt, wo sich im Frühjahr ein brutverdächtiges Paar des Schwarzkehlchens aufhielt, gelang am 3. September die Beobachtung einer Familie mit zwei flüggen Jungvögeln. Wegen der offenkundigen Ortstreue kann trotz des relativ späten Datums von einer erfolgreichen (Zweit- oder Ersatz-?) Brut ausgegangen werden. Neben den bis in den September präsenten Brutvögeln in der Rhumeaue bei Bilshausen traten Einzelvögel am 9. September im Leinepolder Salzderhelden, am 10. und 13. Oktober am Diemardener Berg sowie am 12. und 27. Oktober bei Landolfshausen auf. Gleich drei Männchen inspizierten am 12. Oktober das brachenreiche Gelände des zukünftigen Güterverkehrszentrums III auf dem Göttinger Siekanger („Meyer’s Logistik-Rampe“).
Sehr spät dran war ein weibchenfarbener Gartenrotschwanz am 31. Oktober in der Göttinger Weststadt.

Steinschmätzer waren in diesem Herbst fast schon eine Rarität. Insgesamt liegen vom 16. August bis zum 12. Oktober nur 15 Beobachtungen vor, nur einmal wurde eine maximale Tagessumme von fünf Ind. erreicht.

19 Brachpieper konnten in der Zeit vom 18. August bis 23. September in der Regel an ihrem Flugruf lokalisiert werden, zumeist am Diemardener Berg und in der Feldmark Sattenhausen. Meistens waren es Einzelvögel, manchmal zwei und einmal mindestens drei. Zwischen dem 25. und 31. August wurden am Diemardener Berg an fünf Tagen von einem hellhörigen Beobachter insgesamt 240 ziehende Baumpieper gezählt. Ein Rotkehlpieper konnte am 10. September an der Geschiebesperre Hollenstedt ausgemacht werden.
Ist es ein Artefakt, das auf der zunehmenden Hörschwäche älterer Adepten bzw. der Unkenntnis (neuer) Schlafplätze beruht oder schlichtweg traurige Realität? Jedenfalls werden Beobachtungen des Bergpiepers offenbar immer spärlicher. Bis dato liegen seit dem 15. Oktober nur sieben Beobachtungen von insgesamt 12 Ind. vor (Doppelzählungen an der Geschiebesperre Hollenstedt eingeschlossen), mit einer maximalen Tagessumme von ganzen drei Ind. ebenda. Schon im letzten Herbst und Winter wurden auffallend wenige Vertreter dieser faszinierenden Art mit einem für europäische Singvögel einzigartigen Zugverhalten notiert.

Seit dem 7. Oktober konnten bis Ende November neun Nachweise nordöstlicher “Trötergimpel” erbracht werden, zumeist in Göttingen und seiner engeren Umgebung.

Trompetergimpel - M.Siebner
Abb. 11: Nordische Gimpel wie dieses „trötende“ Weibchen sind etwas größer und kräftiger gefärbt, aber ansonsten im Feld von ihren mitteleuropäischen Artgenossen kaum zu unterscheiden.Foto: M. Siebner

Gleichsam der Kiebitz unter den Finkenvögeln ist der Girlitz, dessen Rastbestände ähnlich dramatisch sinken. Trotz geeigneter Nahrungshabitate z.B. an der Kiesgrube Reinshof oder an den ehem. Tongruben Siekgraben lag – bei einer Gesamtzahl von ganzen 66 Ind. zwischen dem 15. September und 27. Oktober – die maximale Truppgröße bei kläglichen 11 Ind. Der offenkundige Bestandsrückgang dieser wärmeliebenden ursprünglichen Lichtwaldart belegt einmal mehr, dass es weniger die moderat ansteigenden Jahresdurchschnittstemperaturen („Klimaerwärmung“) sind, welche die Populationsentwicklung vieler Arten beeinflussen, sondern vielmehr die allgemeine Verdichtung der Vegetation bis zum Dunkelwaldstadium infolge hoher Nährstoffeinträge („Eutrophierung“).

Von der Grauammer, einem seit knapp 20 Jahren verschwundenen Brutvogel, liegt nur alle paar Jahre eine Beobachtung vor. Deshalb ist ein am 17. Oktober über Ebergötzen nach Südwesten ziehender Vogel bemerkenswert. Über die Jahre könnte sich auch der Ortolan diesem Status annähern, denn er wurde, trotz intensiver Beobachtungstätigkeit an einigen Hotspots zur Hauptzugzeit, nur mit fünf Ind. wahrgenommen.

Hans-Heinrich Dörrie

Dieser Bericht basiert auf mehr als 7000 Daten, die fast alle der bundesweiten Datenbank und Beobachtungsplattform ornitho.de entstammen. Angesichts der schier erschlagenden Fülle des Materials ist er allenfalls ein Schlaglicht, zudem mit einem Schwerpunkt auf ungewöhnliche Beobachtungen bzw. Phänomene. Sollten wichtige Daten fehlen oder der eine oder andere Beobachter mangelnde Berücksichtigung erfahren haben, geht dies allein auf das Konto des Verfassers. Dieser schließt mit einem Dank an die Beobachter/innen: P.H. Barthel, S. Böhner, G. Brunken, J. Bryant, L. Demant, H. Dörrie, M. Drüner, M. Fichtler, J. Fleischfresser, M. Geb, M. Göpfert, C. Grüneberg, W. Haase, D. Herbst, V. Hesse, S. Hillmer, U. Hinz, S. Hohnwald, S. Holler, K. Jünemann, C. Kaltofen, J. Kirchner, G. Köpke, V. Lipka, Frau Matschat, T. Meineke, M.M. Meyer, F. Morgenstern, M. Otten, S. Paul, B. Preuschhof, D. Radde, H. Schmidt, D. Schomberg, A. Schröter, M. Schleuning, M. Schuck, M. Siebner, K. Stey, A. Stumpner, K. Wahler und D. Wucherpfennig.

Literatur

van Duivendijk, N. (2011): Advanced Bird ID Handbook. The Western Palearctic. New Holland Publishers

Dörrie, H.H. (2010): Anmerkungen zur Vogelwelt des Leinetals in Süd-Niedersachsen und einiger angrenzender Gebiete 1980-1998. Kommentierte Artenliste. 3., korrigierte Fassung im pdf-Format

Fischer, S. & G. Dornbusch (2006): Bestandssituation ausgewählter Brutvogelarten in Sachsen-Anhalt – Jahresbericht 2005. Ber. Landesamt Umweltschutz Sachsen-Anhalt, Sonderheft 1: 5-27

Fischer, S. & G. Dornbusch (2011): Bestandssituation ausgewählter Brutvogelarten in Sachsen-Anhalt – Jahresbericht 2010. Ber. Landesamt Umweltschutz Sachsen-Anhalt, Sonderheft 1: 5-36

Kren, J. (2000): Birds of the Czech Republic. C. Helm/A & C Black

Krüger, T. & B. Oltmanns (2007): Rote Liste der in Niedersachsen und Bremen gefährdeten Brutvogelarten – 7. Fassung, Stand 2007. Inform.d.Naturschutz Niedersachs. 27: 131-175

Zang, H. & H. Heckenroth (2001): Die Vögel Niedersachsens, Lerchen bis Braunellen. Naturschutz Landschaftspfl. Niedersachs. B, H. 2.8