Grau in grau – der Vogelwinter 2012/2013 in Süd-Niedersachsen

Zwergtaucher - M.Siebner
Abb. 1: Zwergtaucher. Foto: M. Siebner

„Gott! Welch Dunkel hier“ singt der edle Florestan in Beethovens Oper „Fidelio“. Und seit jeher witzeln respektlose Spötter, dass ihm diese Widrigkeit in zwei Jahren unterirdischer Kerkerhaft auch schon früher hätte auffallen können. Die triste Realität des vergangenen Winters hingegen entzieht sich jeder abgeschmackten Sottise: Mit gerade mal 80 Sonnenstunden von Dezember bis Februar war er der dunkelste seit 86 Jahren.
Einem frühen Kälteeinbruch mit Schneefall Anfang Dezember folgte, ein frühlingshaftes Intermezzo zum Ende des Monats inbegriffen, bis in den Ausklang des Februars mäßig kaltes Winterwetter, das einige Stillgewässer zumindest phasenweise zufrieren ließ. Verglichen mit den letzten Jahren gestalteten sich die Überlebenschancen für Eisvogel und Co. aber deutlich besser. Neben dem – wie nach einem Vulkanausbruch á la Pinatubo – alles niederdrückenden bleigrauen Himmel bot eine ungewöhnliche Kleinvogelarmut Anlass zum Grübeln. Das agrarisch geprägte Offenland wirkte auf weiten Strecken geradezu vogelleer. Obschon der frühe Wintereinbruch viele (Klein-)Vögel zum raschen Abflug nach Süden (oder zum kleinräumigen Umzug in die futterhausreichen Ortsrandlagen?) veranlasst haben dürfte, drängt sich dennoch der Eindruck auf, dass die desaströsen Folgen der industriell bedingten Strukturarmut gerade im Agrarland auch bei vielen Allerweltsarten einen immer höheren Preis fordern.

Mit bis zu 50 Ind., unter ihnen maximal 14 Jungvögel, lag der Winterbestand des Höckerschwans in der Leineniederung zwischen Northeim und Einbeck im Schnitt der letzten Jahre. Singschwäne waren dort mit bis zu 16 Ind., darunter nur zwei Jungvögel, ebenfalls durchschnittlich vertreten. Der bereits im Vorbericht genannte, in Lettland markierte Vogel (blaue Halsmanschette 2E94) war dauerhaft mit von der Partie. Am 11. Januar rasteten vier Ind. in der Feldmark Rittmarshausen nur kurz. Einen Tag später hielt sich ein Einzelvogel in der Feldmark nordöstl. Ebergötzen auf, der vielleicht diesem Trupp entstammt haben könnte.

Bemerkenswert für den Landkreis Göttingen und erst recht für die nähere Umgebung unserer Stadt sind drei adulte Zwergschwäne, die, ziemlich nervös, am 17. Februar der Kiesgrube Reinshof einen Kurzbesuch abstatteten.

Zwergschwäne - M.Siebner
Abb. 2: Zwergschwäne an der Kiesgrube Reinshof. Foto: M. Siebner

Zwei Kanadagänse und bis zu vier Weißwangengänse volatierten im Januar/Februar im Leinepolder Salzderhelden und an der Geschiebesperre Hollenstedt. Am 29. Dezember ließ sich im Seeanger eine Waldsaatgans bestimmen. Die Zahlen der Tundrasaatgans schwankten beständig, gleichwohl kann von einem maximalen Winterbestand von rund 1200 Ind. ausgegangen werden. Am 13. Januar rastete an der Geschiebesperre eine vierköpfige Familie der Kurzschnabelgans.

Ab Mitte Februar traten in den o.g. Gebieten vermehrt Blässgänse in Erscheinung, deren Zahlen nur knapp unter denen der Tundrasaatgänse lagen.

Winterliche Brandgänse sind in unserer Region immer noch eine kleine Besonderheit, deshalb sind neun Ind. am 12. Januar am Großen Northeimer Freizeitsee und gleich 15 Ind. am 28. Februar ebenda erwähnenswert. Eine Rostgans hielt sich am 9. Dezember an der Geschiebesperre Hollenstedt offenbar nur kurz auf.

Zum erheblichen Verdruss des Berichterstatters, der Pate dieser charismatischen Wasservogelart für den deutschen Brutvogelatlas ADEBAR ist, war die Verweildauer einer Moschusente der weißen Zuchtform „Warzenente“ am Göttinger Kiessee vom 9. bis 12. Februar nur kurz. Immerhin ließ sie sich stolz porträtieren.

Moschusente - M.Siebner
Abb. 3: Moschusente am Göttinger Kiessee. Foto: M. Siebner

Am 4. und 5. Dezember hielt sich ein Brautenten-Paar erst am Göttinger Kiessee, später am Leinekanal gegenüber der Bäckerei Hemer auf. Warum die unberingten, aber recht zutraulichen Vögel so schnell wieder verschwanden ist unklar. Am Futtermangel kann es kaum gelegen haben…

Rätsel bezüglich der Herkunft gibt ein rekordverdächtiger Trupp von sieben Mandarinenten (5 M., 2 W.) auf, der sich ab Mitte Januar an der winzigen Etzequelle in Etzenborn niedergelassen hatte. Ob es sich bei zwei W. und einem M., die wenig später am Obertorteich in Duderstadt auftauchten und bis dato dort noch präsent sind, um einen Teil dieser Vögel handelt muss offen bleiben.

Mandarinenten - M.Siebner
Abb. 4: Mandarinenten an der der Etzequelle. Foto: M. Siebner

Ein Winterbestand von bis zu knapp 50 Schnatterenten im Leinepolder Salzderhelden ist aus regionaler Sicht immer noch ungewöhnlich, liegt aber im allgemein positiven deutschen Trend, zumal in vergleichsweise milden Wintern. Dagegen sind bis zu 90 winterliche Pfeifenten ebenda keine Besonderheit (mehr), sondern Ausdruck einer Rasttradition, die sich in den letzten Jahren herausgebildet hat. Bei Vereisung und hohem Schnee weichen die Vögel auf die Rhume bei Northeim aus.

Recht gute Winterzahlen liegen von der Stockente vor, von der am 1. Januar auf dem Seeburger See satte 1058 Ind. und im Januar/Februar im Leinepolder Salzderhelden bis zu 1400 Ind. notiert wurden; im letztgenannten Gebiet waren vermutlich noch weitaus mehr präsent, jedoch kaum zu zählen.

Das Quartett der niedlichen Zwergenten aus dem Vorbericht (eine für die Jagd missbrauchte Zuchtform, die mit ihren durchdringenden Schnatterkaskaden Wildenten vor die Flinte locken soll) ist leider auf ein Trio geschrumpft. Beim sporadischen Zufrieren des Göttinger Kiessees wichen die kleinen Krakeeler auf die Leine/Flüthe am Sandweg aus, wo sie nach Kräften gefüttert wurden. Ob ihr randständiger Fanclub, zu dem mittlerweile auch einige namhafte Lokalvogelkundler zählen, noch wächst – oder eher die Zahl derer, die jetzt einen Lärmschutzwall um den Kiessee fordern?

Zwergenten - M.Siebner
Abb. 5: Nur noch zu dritt: Zwergenten. Foto: M. Siebner

Während die Samtente aus dem Vorbericht von der Kiesgrube Reinshof zum 1. Dezember verschwunden war, fanden sich ab der zweiten Dekade dieses Monats an den Northeimer Kiesteichen bis zu vier Ind. ein (drei auf dem Großen Freizeitsee, eine auf dem Fischzuchtteich an der B 3). Ab Mitte Januar waren nur noch zwei Ind. präsent, diese jedoch bis zum Ende des Berichtszeitraums.

Der Mittelsäger ist im Göttinger Stadtgebiet eine große Seltenheit. Ein Paar im Vorjahr lieferte am Kiessee den ersten Nachweis seit 17 Jahren. Umso bemerkenswerter ist, dass vom 3. bis 10. Februar erneut ein Vogel das Gewässer besuchte.

Mittelsäger - M.Siebner
Abb. 6: Weibchenfarbener Mittelsäger (mit Gänsesäger) am Göttinger Kiessee. Foto: M. Siebner

Die Rasttradition überwinternder Gänsesäger auf dem nur 13 Hektar großen Göttinger Kiessee drückte sich mit maximal 50 Ind. am 9. Februar wiederum recht üppig aus. Zum selben Datum wurden am Seeburger See 104 Ind. gezählt, die ebenfalls einen hohen Winterbestand indizierten. Je nach Vereisung schwankten die Zahlen erheblich, doch sowie die Gewässer zumindest teilweise wieder eisfrei waren, kehrten die robusten Vögel zurück.

Mit ca. zehn bis zwölf Ind. lag der winterliche Rastbestand des Zwergtauchers auf der Leine in Göttingen erfreulicherweise etwas höher als in den vergangenen Jahren. Die Mehrzahl hielt sich auf den vollmundig als „renaturiert“ abgefeierten Abschnitten zwischen der ICE-Brücke und der Godehardstr. auf, wo gute Deckungsmöglichkeiten in Kombination mit Flachwasserbereichen bestehen. Dort ließen sich übrigens, neben mehreren Hundert Stockenten, in geringer Zahl auch Krick-, Pfeif- und Schnatterenten beobachten, die für den Göttinger Siedlungsbereich eher ungewöhnlich sind. Am 22. Februar trieb ein Graureiher an der Leine nahe der Stegemühle mit einem Zwergtaucher eine Art Katz und Maus-Spiel, das für das arglose Opfer letal endete.

Die vergleichsweise milde Witterung ermöglichte an den Northeimer Kiesteichen ca. 60 bis 65 Haubentauchern die Überwinterung. Die Vögel konzentrierten sich auf den Großen Freizeitsee, der auch während kälterer Phasen nicht zufror.
Vom 1. bis 5. Dezember schwamm auf der Kiesgrube Reinshof, die sich allmählich zum Seetaucher-Hotspot zu entwickeln scheint, ein Prachttaucher.

Prachttaucher - M.Siebner
Abb. 7: Prachttaucher auf der Kiesgrube Reinshof. Foto: M. Siebner

Der winterliche Rastbestand des Silberreihers in der Leineniederung zwischen Northeim und Einbeck kulminierte im Hochwinter und kann für den Zeitraum Mitte Januar – Anfang Februar auf ca. 120 Ind. beziffert werden. Später gingen die Zahlen wieder zurück, ein durchgehender Winterbestand von ca. 50 Ind. scheint aber realistisch. Ansonsten ist die Art mittlerweile in der Region fast schon ubiquitär, nicht nur in den wenigen verbliebenen Grünländereien, sondern auch in ausgeräumten Feldmarken mit Entwässerungsgräben – ein erstaunliches Phänomen vor allem für ältere Beobachter, die sich noch gut an die vormalige Seltenheit der weißen Riesen erinnern können.

Einzeln und später als Paar auftretende Weißstörche ließen sich bereits ab Ende Januar im Leinepolder Salzderhelden und an der Geschiebesperre Hollenstedt blicken. Dies ist mit einiger Gewissheit weniger der seit 1998 stagnierenden „globalen Erwärmung“ geschuldet, sondern eher der dubiosen Herkunft der Vögel, deren Vorfahren vermutlich kupierte „Projektstörche“ waren, denen der Zugtrieb weggezüchtet und -gefüttert wurde.

Sieben Winterbeobachtungen von insgesamt elf Kornweihen (Doppelzählungen inbegriffen) liegen vor, mehrheitlich aus dem Leinepolder Salzderhelden, wo es zwei bis drei Vögel (darunter ein ad. M.) trotz eines Anstaus Ende Dezember bis Ende Januar aushielten.
Ein vorjähriger Seeadler labte sich am 24. Februar an der Geschiebesperre Hollenstedt an einem verunglückten Höckerschwan.
Am 29. Dezember hielt sich im Seeanger ein Merlin auf und bekräftigte sein, aus regionaler Sicht, traditionell seltenes Auftreten in den Wintermonaten.

Im Seeanger und an der Kiesgrube Reinshof gab es Anzeichen für erfolgreich überwinternde Wasserrallen, wohl jeweils Einzelvögel.

Sechs Goldregenpfeifer auf der Schneeflucht wurden am 7. Dezember in der Feldmark Ebergötzen notiert.

Ein unzeitgemäßer Großer Brachvogel hielt sich am 1. Februar im Leinepolder Salzderhelden auf.

Ebenfalls auf der Flucht vor Eis und Schnee dürften sich zwei Waldschnepfen am 8. Dezember auf dem Göttinger Friedhof Junkerberg sowie am 9. Dezember an der Garte in Diemarden befunden haben. Hoffentlich konnten sie von Kollisionen unbeschadet weiterziehen.

Waldschnepfe - V. Lipka
Abb. 8: Waldschnepfe in Diemarden. Foto: V. Lipka

An der Geschiebesperre Hollenstedt gelang zwei Waldwasserläufern die Überwinterung.

Aus regionaler Sicht sehr bemerkenswert sind Beobachtungen winterlicher (adulter) Zwergmöwen am 6. Januar. Ein Ind. geriet am Seeburger See ins Blickfeld und zwei im Leinepolder Salzderhelden, wo ein Anstau nach Regenfällen und Schneeschmelze für gedeihliche Umweltbedingungen gesorgt hatte.
In der ersten Januardekade hielten sich bis zu 70 Sturmmöwen im Leinepolder und an den Northeimer Kiesteichen auf. Solche Zahlen sind für unsere möwenarme Region immer noch bemerkenswert, lassen sich aber ebenfalls mit dem Anstau erklären. Interessanterweise machten sich Großmöwen in diesem Zeitraum trotz der Nahrungsschwemme in Gestalt ertrunkener Kleinsäuger und anderer verwertbarer Partikel nur in geringer Zahl bemerkbar, zudem nur zum Beginn des Anstaus Ende Dezember. Am 27. ließen sich mindestens drei adulte Silbermöwen blicken, denen vom 5. bis 7. Januar eine jahreszeitlich weitaus ungewöhnlichere adulte Heringsmöwe folgte.
Eine Mittelmeermöwe im 2. Kalenderjahr belebte am 28. Februar den Großen Northeimer Freizeitsee. Nur kurz war der Besuch einer adulten Steppenmöwe am 17. Februar an der Kiesgrube Reinshof. Für ein Foto reichte es aber allemal.

Steppenmöwe - M.Siebner
Abb. 9: Steppenmöwe an der Kiesgrube Reinshof. Foto: M. Siebner

Im Rahmen des Rebhuhnschutzprojekts der Uni Göttingen werden unter Einsatz von Lockvögeln Rebhühner zur Besenderung gefangen. Am 27. Februar staunte ein Mitarbeiter nicht schlecht, als eine seiner Fallen langsam über eine Feldflur bei Nesselröden rollte! Verantwortlich für die übernatürlich anmutende Wahrnehmung war ein panischer Uhu, der sich den separiert gehaltenen Lockvogel einverleiben wollte. Er wurde nach einer ernsten Ermahnung, sich in Zukunft nicht mehr an den Hühnchen zu vergreifen, wieder in Freiheit gesetzt. Über die mentale Verfassung des gestressten Lockvogels kann man nur spekulieren. Interessant ist auch der Fundort, denn aus den angrenzenden Waldgebieten liegen ältere Uhu-Nachweise vor. Bei der Wahl ihrer Nistplätze sind die Großeulen sehr flexibel und mitnichten auf Steinbrüche oder natürliche Felsformationen angewiesen. Ein Bussardnest tut es zur Not auch, selbst Bodenbruten in Fichtenschonungen sind bekannt.

Uhu - W.Beeke
Abb. 10: Uhu in der Rebhuhnfalle. Foto: W. Beeke

Am 23. Februar ließ sich im traditionellen Revier im Reinhäuser Wald ein Sperlingskauz vernehmen. Die einzige Sumpfohreule dieses Winters geriet am 20. Februar nahe der B 3 auf Höhe Gö.-Weende ins Blickfeld.

In Göttingen und seiner näheren Umgebung haben mindestens zwei Eisvögel den Winter unbeschadet überstanden. Wenn der nächste ähnlich ersprießlich verläuft, könnte sich der Brutbestand endlich wieder erholen.

Neu für den Göttinger Kiessee ist ein Mittelspecht, der am 10. Februar auf der Insel quäkte.

Es liegen nur sieben Winterbeobachtungen des Raubwürgers vor, u.a. von den traditionellen Überwinterungsplätzen Leinepolder Salzderhelden und Kerstlingeröder Feld.

Mit ganzen acht Beobachtungen scheint die Saatkrähe zur halben Rarität zu mutieren. Zudem wurden fast nur Einzelvögel gesehen, das Maximum betrifft vier (!) Ind. am 24. Februar an der Geschiebesperre Hollenstedt.

Dagegen ist die Rabenkrähe offenbar gut im Geschäft. Die seit Jahrzehnten bestehenden winterlichen Rast- und Sammelplätze in der Göttinger Nordstadt (Telekom, Klinikum) frequentierten mindestens 4000 Ind., unter die sich, zumeist nur akustisch wahrnehmbar, bis zu (geschätzt) ca. 300 Dohlen mischten. Leider wird dieses urbane Naturspektakel kaum gewürdigt. Die meisten Normalbürger/innen empfinden die schwarzen Vogelwolken als lästig bis verstörend. Dabei kann sich das allabendliche Treiben, was Dynamik und Lärmpegel anbelangt, durchaus mit dem herbstlichen Auftrieb an den Kranich- und Gänsesammelplätzen messen, die Jahr für Jahr von Tausenden Naturtouristen angefahren werden. In Göttingen gibt es bereits die „Nacht der Kultur“ (der Doppelsinn ist unbeabsichtigt) und eine „Ladies Night“ der Firma Karstadt. Wie wär’s denn mal mit einer „Nacht der Krähen“? So eine Veranstaltung könnte durchaus eine Abwechslung in der öden Routine verschnarchter Stadtmarketing-Events darstellen. Zudem gäbe es neben der „Wahl des Göttinger Gänseliesels“ endlich ein zweites Highlight mit hohem Gruselpotential…

Rabenkrähe - M.Siebner
Abb. 11: Rabenkrähe mit Leckerbissen. Foto: M. Siebner

Östliche Kohlmeisen mit dreisilbigem „Invasionsruf“ (vgl. die Anmerkungen im Vorbericht), die im Herbst zu Tausenden über Deutschland gezogen waren, zeigten sich im gesamten Berichtszeitraum, vor allem in der Göttinger Südstadt. Dort hatten einige Vögel regelrechte Winterreviere besetzt. Ihre Quantifizierung bereitet Probleme, weil auch in größeren Trupps von mehr als 20 Vögeln immer nur einzelne den charakteristischen Ruf von sich gaben. Waren es insgesamt 50 Ind. oder nur 10? Man weiß es nicht…

Weitaus seltener als Zwergschwäne, Waldsaatgänse und Seeadler sind – mit nur zwei Regionalnachweisen (darunter ein in einem Einflugjahr fotografierter Vogel) – Schwanzmeisen der in Nord- und Osteuropa ansässigen Nominatform caudatus. Diese Vögel zeichnen sich durch einen strahlend weißen Kopf mit Knopfaugen, die wie aufgesetzt wirken, einen zum Kopf kontrastierenden schwarzen „Schal“ und zart rosa überhauchte schneeweiße Flanken aus. Anhand dieser Merkmale können sie, in gutem Licht und wenn sie mal ausnahmsweise stillhalten, von weißköpfigen Ind. der heimischen Unterart europaeus unterschieden werden. Am 29. Dezember wurde auf dem Kerstlingeröder Feld eine Schwanzmeise wahrgenommen und aufgrund der o.g. Merkmale als caudatus notiert.

Winterliche Zilpzalps machten sich, wie eh und je in der Region, ziemlich rar. Einzelvögel traten am 20. Dezember am Göttinger Kiessee und am 22. Dezember in der Göttinger Südstadt in Erscheinung. Eine seit Oktober in Einbeck-Drüber präsente Mönchsgrasmücke war nach dem frühen Kälteeinbruch am 5. Dezember verschwunden. Ein weibchenfarbener Vogel hielt sich am 7. Dezember in einem verwilderten Kleingarten in der Göttinger Südstadt auf, wo er sich von Äpfeln ernährte.

Von einem ausgeprägten Einflugjahr des Seidenschwanzes kann bis dato keine Rede sein, zumindest nicht in unserer Region. Die nordischen Gäste traten wie üblich erst ab Ende Januar verstärkt auf den Plan. Möglicherweise waren in Göttingen bis weit in den Februar nur ein oder zwei Trupps von jeweils 50 bis 70 Ind. anwesend. Zum Monatsende stiegen die Zahlen an und es wurden Truppgrößen von bis zu 203 Vögeln gemeldet.

Seidenschwanz - M.Siebner
Abb. 12: Liebe geht durch Magen und Darm – und zwar rasant! Foto: M. Siebner

Vom Hausrotschwanz liegen aus dem Zeitraum vom 12. Dezember bis zum 10. Januar sechs Winterbeobachtungen vor, darunter drei aus einem Areal in der Göttinger Weststadt, in dem es in den vergangenen Jahren zu vereinzelten Überwinterungen/Überwinterungsversuchen gekommen war.

Mit gerademal sechs Beobachtungen, die bis auf eine am Göttinger Siekgraben alle von der Geschiebesperre Hollenstedt (maximal vier Ind.) stammen, scheint sich der desolate Regionalstatus des Bergpiepers als Wintergast zu verfestigen.

Im Göttinger Süden und Westen überwinterten ein bis zwei Gebirgsstelzen, Beobachtungen von Einzelvögeln an der Geschiebesperre Hollenstedt waren eher sporadischer Natur.

Für den Berichtszeitraum liegen zwölf Winterbeobachtungen der Bachstelze vor, zumeist aus Göttingen und von der Geschiebesperre Hollenstedt . Dort fand die einzige durchgehende Überwinterung eines Ind. statt.

Mit der bundesweiten Datenbank www.ornitho.de verfügen die Avifaunisten seit Oktober 2011 über ein hervorragendes Prüfinstrument, um die in der Tagespresse und anderswo wiedergekäute undifferenzierte Mutmaßung, dass „die Zugvögel immer mehr zu Standvögeln“ werden, auf ihren Realitätsgehalt abzuklopfen. In absehbarer Zeit kann man aussagekräftig dokumentieren, ob die o.g. Vogelarten wirklich vermehrt in Nord-, Ost- und Mitteldeutschland ausharren und sich neue Überwinterungsgebiete erschlossen haben. In klimatisch begünstigten Regionen Süd- und Westdeutschlands überwinterten sie schon lange vor der „globalen Erwärmung“, wobei die aktuellen Daten zeigen, dass zumindest Zilpzalp und Mönchsgrasmücke auch dort alles andere als verbreitete Wintergäste sind.

Vom nordischen „Trompetergimpel“, einem Taxon, das seit dem Herbst und Winter 2004 mit seinem nasalen Kontaktruf auf sich aufmerksam macht, gibt es 13 Beobachtungen, fast alle aus dem von Vogelkundlern gut begangenen Göttingen. Zumeist wurden rufende Einzelvögel notiert; wie bei den „Invasionsmeisen“ ist eine Quantifizierung schwierig, zumal wenn sie in kleinen Trupps auftreten, aus denen vermeintlich nur ein Vogel ruft.

Am 8. Dezember rasteten am Diemardener Berg 150 Goldammern, zumindest teilweise wohl auf der Schneeflucht. Die späteren Zahlen von dieser Ammernhochburg lagen sämtlich bei unter 100 Ind. Bei Gö.-Herberhausen hielten sich am 7. Januar mindestens 60 Ind. auf. Ansonsten war man schon hocherfreut, wenn sich Trupps von mehr als fünf oder zehn Vögeln zeigten. Indizieren diese Zahlen einen dramatischen Bestandsrückgang? Es scheint dringend geboten, aussagekräftige Kartierungen von Agrarbrutvögeln in Gebieten vorzunehmen, die bereits früher bearbeitet wurden. Davon gibt es in Stadt und Landkreis Göttingen jede Menge…

Hans-Heinrich Dörrie

Goldammer - M.Siebner
Abb. 13: Goldammer. Foto: M. Siebner

Dieser Bericht basiert auf Tausenden Daten (zum genauen Zählen war der Berichterstatter zu faul), die im wesentlichen der Datenbank ornitho entstammen. Ein Dank des Verf. geht an die Beobachter/innen und eine Bitte um Entschuldigung an alle, die er vergessen hat: P.H. Barthel, W. Beeke, S. Böhner, R. Boll, J. Brauneis, G. Brunken, Y. Clough, L. Demant, H. Dörrie, K. Dornieden, M. Drüner, H. Edelhoff, J. Endres, M. Fichtler, J. Fleischfresser, M. Geb, M. Göpfert, C. Grüneberg, W. Haase, H.-B. Hartmann, D. Herbst, V. Hesse, S. Hillmer, U. Hinz, S. Hohnwald, S. Holler, K. Jünemann, C. Kaltofen, J. Kamp, A. Kannegießer, J. Kirchner, V. Lipka, T. Meineke, H. Meyer, M. Otten, S. Paul, B. Preuschhof, D. Radde, U. Rees, H. Schmidt, D. Schomberg, M. Schuck, W. Schwarzfischer, M. Siebner, K. Stey, A. Stumpner, A. Sührig, J. Voßmerbäumer, C. Weinrich und D. Wucherpfennig.