Mit dem Habicht (Accipiter gentilis) hat der NABU eine gute Wahl getroffen. Nach dem Kormoran, Vogel des Jahres 2010, steht erneut eine Vogelart im Blickfeld der Öffentlichkeit, der Naturnutzer immer noch mit blankem Hass begegnen. Im Unterschied zu Kormoran, Rabenkrähe und Elster, für die vom Gesetzgeber unter enormem Lobbydruck großzügige Abschussregelungen festgeschrieben wurden, findet das Töten von Habichten und anderen Greifvogelarten zumeist im Verborgenen statt und wird von den Protagonisten nicht an die große Glocke gehängt. Gleichwohl geraten, nicht zuletzt durch die Aufklärungsarbeit von Organisationen wie dem „Komitee gegen den Vogelmord“ erschreckend viele Fälle illegaler Nachstellungen ans Licht. Man kann nur hoffen, dass – mit dem Habicht als Flaggschiffart und dem „Komitee gegen den Vogelmord“ als Kooperationspartner des NABU – in Zukunft eine erhöhte Sensibilisierung für die illegale Greifvogelverfolgung erreicht werden kann.
Verbreitung und Bestand
Zur Brutzeit ist der Habicht ein zurückgezogen lebender Waldvogel, zumindest bei uns. Hinweise zur Populationsgröße, die über Einzelfeststellungen hinausgehen, sind deshalb Mangelware. Im Göttinger Stadtwald und Geismar Forst brüten auf ca. 20 km² mindestens drei Paare (Dörrie 2011). Für das 130 km² große EU-Vogelschutzgebiet „Unteres Eichsfeld“ wurden 2009 sieben Reviere ermittelt (G. Brunken in Heitkamp et al. 2010), die aber wohl nur einen Teil der Brutpopulation dort ausmachen. Zufallsbeobachtungen haben über die Jahre belegt, dass unser Porträtvogel in kaum einem größeren Waldgebiet zu fehlen scheint. Daher ist eine grobe Schätzung von ca. 150 Brutpaaren im Landkreis Göttingen und im Altkreis Northeim realistisch. In den letzten Jahrzehnten – seit den 1970er Jahren stehen alle Greifvögel unter Schutz – konnte sich der Brutbestand von der flächendeckenden, auch mit Prämien angefeuerten Verfolgung bis weit ins 20. Jahrhundert erholen. Von der DDT-Problematik war der Habicht wegen seines weiten Nahrungsspektrums nicht so sehr betroffen wie Greifvögel, die überwiegend bis ausschließlich von Vögeln leben.
Der Habicht und seine Beute
Habichte sind elegante und ungemein kraftvolle Flugjäger, die auch in dichten Baumbeständen auf die Nahrungssuche gehen. Sie erbeuten kleinere Säugetiere wie Hasen und Kaninchen und können Vögel bis zur Größe eines Graureihers überwältigen. Andere Greifvogelarten wie z.B. Turmfalke, Mäuse- und Wespenbussard, der nahe verwandte Sperber sowie Rot- und Schwarzmilan stehen ebenfalls auf ihrem Speiseplan. Einen Eindruck davon, wie rasant das „Phantom des Waldes“ zuschlagen kann, vermittelt ein Video, das die Tötung von zwei fast flüggen Rotmilanen dokumentiert. Die Aufnahmen entstanden im Landkreis Göttingen, wo im Rahmen des Rotmilan-Schutzprojekts des Zentrums für Naturschutz der Uni Göttingen mehrere Nester mit Kameras versehen wurden, um die Nahrungsgewohnheiten des Rotmilans zu dokumentieren. Gerade in schlechten Mäusejahren scheinen besonders viele junge Rotmilane Opfer solcher Attacken zu werden, weil beide Elternteile mit der Nahrungssuche beschäftigt sind und ihren Nachwuchs nicht verteidigen können. Sind die Brutvögel noch unerfahren, haben sie auch in guten Mäusejahren kaum eine Chance, den Angriffen etwas entgegenzusetzen. Die Untersuchungen haben ergeben, dass ca. 30 Prozent aller nestjungen Rotmilane vom Habicht erbeutet werden (E. Gottschalk, mdl. Mitt.). Das ist eine hohe Verlustrate, die aber von langlebigen und erfahrenen Brutpaaren wieder ausgeglichen werden kann. Beim Bestandsrückgang des Rotmilans spielen die Segnungen der industriellen Landwirtschaft eine erheblich größere Rolle als Nachstellungen durch den Habicht. Wer nun meint, unser Jahresvogel sei der unangefochtene Herrscher der Lüfte, sollte sich dieses Video anschauen. Manchmal geht es andersrum…
Verfolgung
Ob bzw. in welchem Ausmaß Habichte auch in unserer Region illegal verfolgt werden, ist eine offene Frage. Auffällig ist zweierlei: Zum einen sind Beobachtungen umherstreifender Vögel im städtischen Siedlungsbereich in den letzten zehn Jahren merklich zurückgegangen. Zum anderen geraten überwiegend Jungvögel (so genannte „Rothabichte“) ins Visier. Dies kann aber auch mit der ökologischen Bindung vieler Vogelbeobachter/innen an Offenlandstrukturen erklärt werden, wo immature Habichte öfter zu sehen sind als waldbewohnende Revierbesetzer. Ein untrügliches Zeichen illegaler Verfolgung liegt vor, wenn traditionelle Reviere zunehmend von „Rothabichten“ besetzt werden. Dies kann den Schluss zulassen, dass die Altvögel getötet wurden. Während es dafür in anderen Regionen Deutschlands etliche Belege gibt (Bauer et al. 2005), fehlen diese bei uns, im Wesentlichen wegen unzureichender Erfassung.
Für die illegalen Verfolgungen sind vor allem drei Nutzergruppen verantwortlich: Taubenzüchter, Jäger und Hühner- bzw. Ziervogelhalter.
Taubenzüchter fürchten um ihre Rassetauben, die sie bei Wettkämpfen in die Luft entlassen. Durch aufziehende Gewitterfronten und andere Wetterkalamitäten kommen bei manchen dieser, aus Tierschutzsicht sehr fragwürdigen, Sportveranstaltungen bis zu 40 Prozent der Vögel um bzw. finden nicht mehr nach Hause. Damit verglichen sind die Verluste durch Greifvögel, die in der Mehrzahl geschwächte oder desorientierte Vögel betreffen, gering. Kommt es auf lokaler Ebene zu signifikant höheren Einbußen, ist dafür in der Regel nicht der Habicht, sondern der Wanderfalke verantwortlich.
Jäger verdammen den Habicht seit jeher als „Feind des Niederwilds“, weil er sich an „ihren“ Fasanen und Rebhühnern vergreift. Der Fasan spielt bei uns als exotisches Schießobjekt keine Rolle mehr. Aus klimatischen Gründen kann er in Süd-Niedersachsen keine sich selbst erhaltende Population aufbauen. Aussetzungen von „Jagdpapageien“ durch Jäger hat es daher seit Jahren nicht mehr gegeben. Rebhühner werden wegen ihres starken Bestandsrückgangs im Rahmen einer freiwilligen Übereinkunft nicht mehr geschossen (und wenn doch, im Landesjagdbericht als so genanntes Fallwild deklariert). Ihre Verluste, besonders unter den Weibchen zur Brutzeit, gehen zu knapp 70 Prozent auf das Konto terrestrisch lebender Beutegreifer, unter denen der Fuchs an erster Stelle steht. Dies ergab eine Auswertung der Todesursachen von Rebhühnern, die im Landkreis Göttingen besendert wurden (E. Gottschalk, mdl. Mitt.).
Die Zahl freilaufender Hühner, bei denen Habichte sich bedienen könnten, ist überall stark zurückgegangen, auch im ländlichen Siedlungsbereich. „Habichte“, die gleich zu mehreren am Waldrand nahe der Öko-Hühnerfarm im Hacketal zwischen Waake und Ebergötzen sitzen sollen, entpuppten sich regelmäßig als Mäusebussarde.
All diese Fakten entlasten den Habicht und machen seine klandestine Verfolgung noch skandalöser als ohnehin schon. Mittlerweile haben dies auch die Jagdverbände einiger Bundesländer eingesehen und sich, mit der Nachhilfe von Naturschutzverbänden und staatlichen Vogelschutzwarten, öffentlich gegen die kriminellen Greifvogeltötungen ausgesprochen, so auch in Niedersachsen. Gleichwohl: Das unter Nutzergruppen verbreitete Hirngespinst von „Überpopulationen schädlicher Vögel“ könnte auch in unserer Region den einen oder anderen dazu verleiten, sich des verhassten Konkurrenten in aller Stille zu entledigen. Wer findet schon einen Fangkorb mit einer Taube als Lebendköder, der tief im Wald oder versteckt auf einem weitläufigen Privatgrundstück steht – oder sitzt als Mäuschen am Jägerstammtisch? Und der Erwerb von Fangkörben ist immer noch ganz legal…
Habichte beobachten – wann und wo?
Aus Schutzgründen werden von verantwortungsbewussten Vogelkundlern keine Angaben zu Habicht-Brutplätzen mehr veröffentlicht, auch hier nicht. In unserer Datenbank www.ornitho.de sind alle Neststandorte verschlüsselt eingegeben und nur für Experten im Greifvogelschutz sichtbar. Für das Kennenlernen dieser beeindruckenden Vogelart durch interessierte Normalbürger/innen ist das sicher von Nachteil. Dagegen haben es die Einwohner/innen von Großstädten wie Berlin, Hamburg und Köln gut. Sie müssen nur eine der großen Parkanlagen oder Friedhöfe aufsuchen und können dort ganzjährig Habichte beobachten, bei der Jagd, beim Brutgeschäft und anderen Lebensäußerungen. Wer die „zutraulichen“ Vögel einmal aus nächster Nähe in Aktion erlebt hat, wird diesen Anblick nie vergessen. Stadtluft macht frei…
In der großen Kleinstadt Göttingen ist der Habicht nicht verstädtert, zumindest nicht als Brutvogel. Zwar ist das Nahrungsangebot in Gestalt von Ringel- und Haustauben sowie Rabenkrähen enorm gewachsen. Einer Ansiedlung scheinen vielmehr die geringe Größe und fehlende Vernetzung unserer Parks und Friedhöfe entgegenzustehen. Möglicherweise fehlt auch ein die Verstädterung fördernder Populationsdruck im Umland, was wiederum ein Indiz für illegale Verfolgung wäre.
Immerhin: An den großen Rabenkrähen-Schlafplätzen in der Nordstadt tauchen im Herbst und Winter regelmäßig Habichte auf, um ihren Tribut einzufordern. Auf dem Stadtfriedhof werden in manchen Jahren Winterreviere besetzt. Wenn man auf dem Boden herumliegende Taubenfedern findet, lässt sich mit einem Blick nach oben mit etwas Glück ein satter Habicht im Baum erspähen. Über den Kiessee fliegen ab dem Spätsommer hin und wieder Habichte. Ihrer wird man am ehesten ansichtig, wenn man die Alarmrufe eines Rabenkrähentrupps hört und nachschaut, welchem Feind die Vögel hinterher jagen. Ein regelrechter Hotspot mit hoher Habichtgarantie ist die Geschiebesperre Hollenstedt bei Northeim. Hier ist unser Jahresvogel beständig zugegen und goutiert das reiche Angebot von Wasservögeln.
Ansonsten sind Habichtbeobachtungen zumeist vom Zufall abhängig und betreffen fast immer überfliegende Vögel. Dabei sollte man sich vergewissern, ob es sich wirklich um einen Habicht und keinen Sperber handelt. Beide Arten ähneln sich und zeigen einen auffallenden Geschlechtsdimorphismus. Während „Rothabichte“ mit ihrer gestrichelten Unterseite unverkennbar sind und am ehesten mit einem Mäuse- oder Wespenbussard verwechselt werden können, ist es bei den Altvögeln komplizierter. Habicht- und Sperbermännchen sind erheblich kleiner als ihre Weibchen. Sie versorgen die heranwachsenden Jungvögel mit Beute. Da ist Wendigkeit im Geäst gefragt. Kleine Habichtmännchen sind manchmal nicht viel größer als kräftige Sperberweibchen. Im Alterskleid sind sie für Unkundige kaum unterscheidbar. Die charakteristische rötliche Iris adulter Habichte ist nur aus der Nähe zu sehen.
Gute Unterscheidungsmerkmale sind beim Habicht die längeren und spitzer zulaufenden Flügel, der hervortretende Kopf und der insgesamt runder wirkende lange Schwanz. Geübte Beobachter/innen können Habichte auch an ihrer Flugweise erkennen, die viel kraftvoller anmutet als die des kleinen Verwandten. Und nun kann man dem Jahresvogel 2015 nur noch alles Gute wünschen!
Hans H. Dörrie
Literatur
Bauer, H.-G., Bezzel, E. & W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Nonpasseriformes – Nichtsperlingsvögel. Aula-Verlag, Wiebelsheim
Dörrie, H.-H. (2011): Göttingens gefiederte Mitbürger. Streifzüge durch die Vogelwelt einer kleinen Großstadt. Zweite Aufl. Göttinger Tageblatt Buchverlag. Göttingen.
Heitkamp, U., Brunken, G., Corsmann, M., Grüneberg, C. & S. Paul (2010): Avifaunistischer Jahresbericht 2008 für den Raum Göttingen und Northeim. Naturkundl. Ber. Fauna Flora Süd-Niedersachs. 14: 4-77.