Der Star – Vogel des Jahres 2018 – in Süd-Niedersachsen: ein Allerweltsvogel auf der Roten Liste

Abb. 1: Balzender Star. Foto: M. Siebner

Mit dem Star (Sturnus vulgaris) hat der NABU eine gute Wahl getroffen. Der Jahresvogel ist vielen Menschen bekannt, auch aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Im Siedlungsbereich brütet er an Gebäuden und in Nistkästen. Schon im Vorfrühling liefert er vor dem Brutplatz eine beeindruckende Vorstellung. Der strukturreich perlende Gesang enthält viele Imitationen. Wachtel oder Pirol bereits Ende Februar? Nicht der Klimawandel, der Star macht’s möglich. Dabei schlägt der Vogel voller Hingabe rhythmisch mit den Flügeln. Das aus der Ferne einfarbig dunkel wirkende Gefieder irisiert in allen Farben. Lebensfreude pur!

Verbreitung und Bestand

Leider gestaltet sich das Dasein unseres Porträtvogels seit einiger Zeit alles andere als gedeihlich. Und das ist eher wenigen bekannt. In den letzen 20 Jahren hat das Agrarland der Europäischen Union unfassbare 300 Millionen Vögel verloren. Davon entfallen allein auf den Star ca. 40 Millionen Brutpaare (PECMS 2012). In Deutschland sind in diesem Zeitraum knapp zwei Millionen Starenpaare verschwunden. Der dramatische Rückgang beruht wahrscheinlich auf einem ganzen Bündel von Faktoren, die in ihrem konkreten Zusammenwirken immer noch wenig bekannt sind. Der niedersächsische Bestand wird im aktuellen Brutvogelatlas (Krüger et al. 2014) auf im Mittel 420.000 Brutpaare beziffert. Das sind nur halb so viele wie in den 1960er bis 1970er Jahren. Deshalb wird der Star, obwohl immer noch häufig und verbreitet, folgerichtig in der Roten Liste (Krüger & Nipkow 2015) in der Kategorie 3 („im Bestand gefährdet“) geführt.

Wie so oft bei scheinbaren Allerweltsarten ist eine Quantifizierung des regionalen Brutbestands nicht möglich. Daten, die über flüchtige Zufallsbeobachtungen hinausgehen, sind Mangelware und stammen zumeist aus der ersten Dekade des neuen Jahrtausends. Die Angaben im niedersächsischen Brutvogelatlas beruhen auf modellierten Hochrechnungen und sind mit 400 bis 1000 Paaren pro Quadrant (ca. 30 km²) für das waldreiche Bergland Süd-Niedersachsens mit Sicherheit zu hoch ausgefallen. Brüten in der Region 10.000 oder 20.000 Paare? Man weiß es nicht. Dies betrifft auch den Schwund der letzten Jahrzehnte. Verlässliche Zahlen zur langfristigen Bestandsentwicklung liefert letztlich nur die Kartierung des 3,6 km² großen Göttinger Kerngebiets in den Jahren 2005/2006 (Dörrie 2006). Damals wurden 106 Paare gezählt. 1965 waren es noch 240, 1948 nur 65 (wobei anzumerken ist, dass in den Kälte- und Hungerwintern der Nachkriegszeit auch die meisten Nistkästen verfeuert wurden). Bei der Kartierung der beiden größten Göttinger Friedhöfe im Jahr 2004 (Dörrie & Paul 2005) ergab sich auf dem altholz-, höhlen- und nistkastenreichen Stadtfriedhof mit ganzen fünf Paaren auf 36 Hektar eine unerwartet niedrige Besiedlung. Dabei sollen alte Parkanlagen zu den bevorzugten Bruthabitaten unseres Porträtvogels zählen…

Bei der Stadtwald-Kartierung 2003 (Dörrie 2004b) zeigte sich, dass der Star in einem „naturgemäß“ bewirtschafteten, durch dichte Vegetationsstrukturen geprägten Buchenwald eine seltene Erscheinung ist: Mit nur vier Paaren auf 185 Hektar fiel die Besiedlung sehr dünn aus. Nur am Hainholzhof und auf dem Kerstlingeröder Feld sah es mit insgesamt 15 Paaren etwas besser aus. Im Kaufunger Wald scheint die Art ebenfalls selten zu sein, mit Ausnahme der wenigen Altbuchen- und Alteichenbestände (G. Brunken in Dörrie 2002). Im Nordteil des EU-Vogelschutzgebiets „Unteres Eichsfeld“ wurden 2003 auf 33 km² 80 bis 100 Paare festgestellt, die meisten an Waldrändern mit alten Eichen (G. Brunken, M. Corsmann und U. Heitkamp in Dörrie 2004). Die Vorliebe für Eichen als Brutbäume wird auch durch ein kleines Schlaglicht auf zwei benachbarte Waldgebiete belegt: Der eichenreiche Große Leinebusch beherbergte 2002 vier Paare, im eichenlosen Kleinen Leinebusch fehlte die Art (G. Brunken in Dörrie 2003).
Weich- und Hartholzbestände entlang der Fluss- und Bachläufe sind/waren besser besiedelt, z.B. die Gehölze entlang von Leine und Garte südlich von Göttingen (zehn Paare auf 2,1 km, Dörrie 2002b).

Der ländliche Siedlungsbereich gilt als einer der Hauptlebensräume unseres Porträtvogels (Krüger et al. 2014). In unserer Region ist er, was Starendaten anbelangt, weithin eine terra incognita. Aktuelle Angaben zum Brutbestand, die jeweils weniger als zehn Paare betreffen, liegen in unserer Datenbank ornitho nur aus Teilen der Orte Gerblingerode (D. Wucherpfennig), Immingerode (D. Wucherpfennig), Eberhausen (M. Jenssen) und Ahlshausen (H. Rumpeltin) vor. Dabei treffen gerade hier wichtige Habitatparameter zusammen, die für eine Brutansiedlung unabdingbar sind. Darauf wird im Folgenden etwas näher eingegangen.

Ansprüche an den Lebensraum

Für den Star sind die besten Brutplätze, ob nun Nistkästen, Natur- und Spechthöhlen oder schadhaftes Mauerwerk, uninteressant, wenn in der näheren Umgebung insekten- und arthropodenreiche Offenflächen fehlen. Junge Stare werden ausschließlich mit tierischer Nahrung großgezogen, die von den Eltern auf Weiden, Wiesen oder Scherrasenflächen erbeutet wird (Bauer et al. 2005). Und hier taucht schon das erste Problem für unseren Porträtvogel auf. Eine Untersuchung in Dänemark (Heldbjerg et al. 2016) hat ergeben, dass sein Bestandsrückgang mit der Aufgabe der Offenlandhaltung von Nutztieren einhergeht. Das klingt einleuchtend, denn Weidetiere halten die Vegetation kurz, scheuchen beim Fressen potentielle Beutetiere auf und sorgen mit ihrem für Insekten sehr attraktiven Dung für stetigen Nachschub verfügbaren Starenfutters. Das enge Zusammenleben von Futter suchenden Staren und Großherbivoren kann man an den wenigen Stellen in unserer Region studieren, wo noch Nutztiere im Freiland grasen, z.B. im Seeanger (Rinder) oder an den Deichen am Leinepolder Salzderhelden (Schafe). Wenn man bedenkt, dass die Zahl der Weidetiere in der gesamten EU um -zig Millionen zurückgegangen ist, kann man sich ausmalen, wie sehr allein diese Entwicklung die Starenpopulation getroffen hat. Hinzu tritt, dass, selbst wenn man wollte, die hochgezüchteten Turbo-Milchkühe nicht mehr außerhalb der Ställe gehalten werden können. Mit ihrem degenerierten Verdauungsapparat würden die bedauernswerten Tiere nach kurzer Zeit sterben.

Star mit Schaf - MSiebner
Abb. 2: Freunde fürs Leben: Schaf und Star. Foto: M. Siebner

George (2017) bringt das nahezu komplette Verschwinden von einer Kontrollfläche bei Müncheberge (Harzrand/Sachsen-Anhalt) mit der Extensivierung der Grünlandnutzung (als Naturschutzmaßnahme!) in Verbindung. Günther & Hellmann (2012) nennen als Erklärung für den dramatischen Rückgang von 14 auf zwei Paare auf einer Kontrollfläche im Selketal (Harz/Sachsen-Anhalt) einen späteren Mahdtermin in Kombination mit der Aufgabe der Beweidung. Dieses Szenario könnte auch die geringe Besiedlung des Kerstlingeröder Felds in Göttingen erklären, das mit seinen höhlenreichen Uraltbuchen und weiten Wiesen eigentlich ein Starenparadies erster Güte sein sollte. Wenn die Wiesen jedoch erst im Sommer gemäht werden (wovon Feldlerche und, selten, Wachtelkönig profitieren) gibt es für die Stare während der Brutzeit im hohen Gras nichts zu beißen. In diesem FFH-/Naturschutzgebiet werden zwar verbuschende Magerrasenflächen beweidet, allerdings ebenfalls erst recht spät und zudem nur für vergleichsweise kurze Zeit.

Der (eher lokalen) Extensivierung der Grünlandnutzung steht deren Intensivierung auf weiter Fläche entgegen. Die Bewirtschaftung als reines Mähgrünland manifestiert sich in bis zu fünf Schnitten pro Jahr, beginnend schon Ende April. Profitiert der Star vom regelmäßigen Kurzhalten der Vegetation? Eher nicht, denn auch das Mähgrünland wird oft übermäßig gedüngt und teils sogar mit Bioziden von „Schädlingen“ gesäubert. Das Insektenangebot hält sich auf solchen degradierten Flächen in engen Grenzen. Zudem sinkt der Grünlandanteil beständig und dürfte im Landkreis Göttingen aktuell bei weniger als zehn Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche liegen.

Nährstoffarme, aber insektenreiche Offenflächen in Abbaugebieten oder als Resultat von Erschließungsmaßnahmen wachsen wegen des düngenden Eintrags von Stickstoffverbindungen aus der Luft heutzutage viel schneller zu als früher. Wie in den Wäldern wird auch hier der Star zum Leidtragenden der allgemeinen Eutrophierung.

Darüber hinaus wird sein Bestand, wie der vieler anderer Agrarvögel, von den Folgen des industriellen Ackerbaus in Mitleidenschaft gezogen. Die Mixtur aus Gülle, Glyphosat und Monokulturen (Wintergetreide, Mais, Raps etc.) hat das früher artenreiche Kulturland in eine insektenarme Einöde verwandelt. Bei der Kartierung einer 863 Hektar großen Agrarlandfläche bei Behrensen konnten 2001 nur zwei Reviere festgestellt werden, obwohl Gehölze mit potentiellen Brutbäumen dort seit der ersten Kartierung 1983 deutlich zugenommen hatten (Brunken 2003). Im Siedlungsbereich wird der Star, neben Haussperling und Mauersegler, von der verbreiteten Wärmedämmung gebeutelt, die auch die letzten Fugen und Nischen unzugänglich macht. Auch Dachantennen, die er gern als Singwarten nutzt, sind deutlich seltener geworden.

Brutökologie

Stare brüten früh im Jahr. Schon ab Mitte Mai kann man die ersten Familienverbände mit zumeist drei bis vier flüggen Jungvögeln bei der Nahrungssuche beobachten. Gebrütet wird, wie schon erwähnt, in Höhlen oder ähnlichen Strukturen. Eine besondere Rolle spielen Buntspechthöhlen, die er als Nachmieter nutzt. Seit einiger Zeit mehren sich Beobachtungen von Staren, die in Höhlen brüten, die Buntspechte in die Wärmedämmung von Fassaden gemeißelt haben. Der Hausbesitzer ist erbost, der Star entzückt, weil er der „Energiewende“ mit ihren desaströsen Folgen für die Vogelwelt ausnahmsweise ein Schnippchen schlagen konnte…

Mauerstar - MSiebner
Abb. 3: Star an wärmegedämmter Buntspechthöhle. Foto: M. Siebner

Häufig genutzt werden Nistkästen (die Kotflecken am Einflugloch verraten es), die eigentlich dem Mauersegler gewidmet sind. Zu Konflikten mit der Zielart, die bei der Besetzung ihrer Brutplätze rabiat vorgeht und Eier und Jungvögel der „unrechtmäßigen“ Bewohner mit ihren gleichermaßen kräftigen und scharfen Krallen abräumt, kommt es jedoch eher selten: Wenn die Mauersegler mit ihren Brutvorbereitungen ernst machen, sind viele Starenbruten schon ausgeflogen.

In der regionalen Literatur und in der Datenbank ornitho.de sind vereinzelt Hinweise auf Zweitbruten (nicht zu verwechseln mit Spät- oder Ersatzbruten!) zu finden. Darauf können Jungvögel hindeuten, die noch Ende Juni/Anfang Juli an einer schon vorher genutzten Höhle gefüttert werden. Ob ihre Zahl zugenommen hat, muss offen bleiben.

Nach der Brutzeit

Ab Mitte Juni lösen sich die Familienverbände auf und es kommt zur Bildung von großen Schwärmen. Jetzt tritt tierische Nahrung in den Hintergrund, zugunsten von Beeren und Früchten. Im bundesdeutschen Brutvogelatlas (Gedeon et al. 2014) wird die Vermutung geäußert, dass das Angebot von Steinobst im Vorjahr ein gravierender Faktor bei Bestandsschwankungen ist. Sind z.B. (wie im Frühsommer 2017) Kirschen knapp steigt die nachbrutzeitliche Mortalität, mit negativen Auswirkungen auf die Brutpopulation im Folgejahr.

Die Vorliebe für Früchte und Beeren wird unserem Porträtvogel mancherorts zum Verhängnis. Vor allem im Südwesten Europas und in Nordafrika setzen Winzer und Obstbauern alles daran, die verhassten Konkurrenten in Schach zu halten – auch mit Mitteln der ansonsten weltweit geächteten chemischen Kriegsführung. Bis in die jüngere Vergangenheit wurden Schlafplätze mit Dynamit und Benzinbomben in die Luft gejagt und Schwärme mit Kontaktgiften oder Gefiederbenetzungsmitteln zum letalen Auskühlen besprüht (Feare 1984, Glutz v. Blotzheim 1993). In unseren Breiten kommt zumeist ein ausgefeiltes Arsenal von optischen (Stanniolbehänge, Glitzerkugeln), akustischen (Böllerschüsse im Halbminutentakt, Abspielen von Warnrufen) und anderen Gegenmitteln (Überspannung der Kulturen mit Netzen, in denen viele Stare umkommen) zur Anwendung. Auf Flugplätzen werden Greifvögel eingesetzt, um die Schwärme zwecks Minderung des Vogelschlag-Risikos zu vertreiben. In den Zeiten, als es dem Star erheblich besser ging als heute, sollen all diese, z.T. barbarischen Maßnahmen keinen bestandsmindernden Einfluss gehabt haben (Feare 1984). Trifft das auch heute noch zu?

Schlafplätze

Starenschwärme liefern ein faszinierendes Schauspiel, das jede(r) Vogelbegeisterte wenigstens einmal gesehen haben sollte. In Röhrichtgürteln von Stillgewässern oder in ufernahen Gehölzen beziehen sie Abend für Abend ihre Schlafplätze. Bevor sie sich zur Ruhe begeben, fliegen die Vögel in riesigen Formationen umher, ändern jählings die Richtung und schreiben dabei bizarre Figuren in den Himmel. Diese Manöver (bei denen sie, in Kleingruppen bestens organisiert, niemals zusammenstoßen) dienen zum einen der Abwehr von Flugfeinden, zum anderen dem sozialen Zusammenhalt. Sind sie endlich gelandet, geht es bis zur Dunkelheit mit unablässigem Geschnatter weiter. Vermutlich sind die Schlafplätze, wie bei Rabenvögeln, auch Informationsbörsen.

Schwarm Seeburg - MSiebner
Abb. 4: Starenschwarm über dem Seeburger See. Foto: M. Siebner

In Süd-Niedersachsen wird seit vielen Jahrzehnten ein Schlafplatz im Schilf des Seeburger Sees bezogen. Hier versammeln sich ab Juni die Brutvögel samt Nachwuchs und Nichtbrüter der weiteren Umgebung. Ringfunde von anderen Schlafplätzen in unserem Bundesland belegen, dass sich ihnen bereits ab Juli Artgenossen aus Ostdeutschland und Polen, aber auch aus der Schweiz (Dispersionszug) hinzugesellen können (Zang in Zang et al. 2009). Anhand der Rastzahlen am Seeburger See lässt sich der Niedergang unseres Porträtvogels leider nur allzu gut dokumentieren. Die älteste Beobachtung datiert vom Juli 1932 mit 25.000 Ind. (Eichler 1949-50, Bruns 1949). Bis 1960 lagen die Zahlen mit maximal 20.000 Ind. augenscheinlich leicht darunter (Witt 1963). Hampel (1965) berichtet für den Zeitraum 1955-1964 eher pauschal von „riesigen Schwärmen“. In den 1970er Jahren explodierten die Zahlen förmlich: Während im Oktober 1975 eher unterdurchschnittliche 8000 Ind. gezählt wurden, waren es im Herbst 1976 bereits 500.000, denen 1977 enorme 700.000 folgten. Im September 1979 gelangten gar 800.000 Vögel zur Beobachtung. Die alles überragende Maximalzahl wurde jedoch im April dieses Jahres, also interessanterweise auf dem Heimzug, mit 1.500.000 Staren. erreicht (Angaben nach Brunken & Meineke 1976, Brunken 1978a, 1978b, Dörrie 2010). Dieses grandiose Spektakel ist allen Beobachtern, die seiner teilhaftig werden durften, unvergesslich. Über die Ursachen der auf wenige Jahre beschränkten Rastzahlen-Explosion kann man im Nachhinein nur spekulieren.

Danach ging es beständig bergab. Ob die 100.000er-Marke nach 1979 jemals wieder erreicht wurde, lässt sich aus dem zugänglichen Datenmaterial nicht ermitteln. Die Maximalzahl im neuen Jahrtausend lag bei 60.000 Ind. im Herbst 2004 (Dörrie 2005). In den letzten drei Jahren wurden nicht einmal 15.000 Ind. erreicht (2015 12.000, 2016 5000 und 2017 6000 Ind.). Die Aussagekraft der aktuellen Zahlen ist allerdings gering, weil trotz hoher Beobachterfrequenz am Seeburger See den Starenschwärmen immer weniger Beachtung geschenkt wird. Die Zahl der abendlichen Exkursionen, bei denen man sie zählen könnte, ist stark zurückgegangen.

Parallel zum Schwund am Seeburger See entwickelte sich in den 1990er Jahren in den Weiden an der Geschiebesperre Hollenstedt ein Schlafplatz, der auf dem Wegzug von bis zu 100.000 Vögeln genutzt wurde (P.H. Barthel in Schumacher 1996, Dörrie 2010). Seit wann genau er verwaist ist bleibt offen. Auf dem Heimzug wird seit ein paar Jahren ein Schlafplatz im Röhricht des Leinepolders Salzderhelden angeflogen. Hier liegen die Maximalzahlen bei ca. 8000 Ind. (P.H. Barthel in ornitho). Ein Schlafplatz an der Kiesgrube Reinshof wurde nur sehr unregelmäßig von bis zu 1500 Ind. besucht, aus den letzten zehn Jahren gibt es keine Beobachtungen mehr. Der Denkershäuser Teich, wo im Oktober 1986 bis zu 20.000 Vögel einfielen und die Rastzahlen 1999-2004 bei maximal 4000 Vögeln (2001) lagen (Heitkamp 2013), wird vielleicht noch auf dem Heim- und Wegzug besucht; in welcher Größenordnung ist unbekannt. Auch das Röhricht in der Kiesgrube Ballertasche im Wesertal bei Hann. Münden dient Staren als Schlafplatz. Fokken (o.J.) nennt 500 Vögel aus dem Frühjahr 1979 und ca. 1000 Ende Juni 1982. Ob 2500 Ind. vom März 2016 (W. Vogeley in ornitho) ein langjähriges Maximum sind muss offen bleiben.

Star Schwarm Nah - MSiebner
Abb. 5: Starenschwarm, etwas näher. Foto: M. Siebner

Wintervorkommen

Wie viele Stare gibt es bei uns im Winter? Eine bündige Antwort auf diese Frage ist nicht möglich. Zudem kann sich der Heimzug der Kurzstreckenzieher unter ihnen schon im Spätwinter bemerkbar machen. Die meisten unserer Brutvögel dürften ihre Heimat verlassen und in Südwesteuropa bis Nordafrika überwintern. Sie werden durch Artgenossen ersetzt, die vermutlich aus dem (Nord-)Osten stammen. Den Anteil sesshafter Vögel bei der Starenpopulation des süd-niedersächsischen Berglands beziffert Zang in Zang et al. (2009) auf ca. fünf Prozent. Unsere Stare werden also keineswegs, wie manchmal in die Welt posaunt wird, „immer mehr zu Standvögeln“.

Auch die einfache Rechnung „je milder der Winter, desto mehr Stare harren aus“, haut nicht hin. Das belegen die langjährig gesammelten Daten ganz klar. Vermutlich spielen Nahrungsangebot und Zug- bzw. Populationsdynamik auswärtiger Wintergäste eine erheblich größere Rolle als die Höhe der Temperaturen.

Im milden Winter 1994/95 war ein Schlafplatz in der Göttinger Theodor-Heuss-Straße von immerhin 5000-6000 Vögeln besetzt (Schumacher 1996). Im Januar des sehr kalten Winters 1996/97 schliefen 3000 Vögel in einer von Efeu umwachsenen Esche vor einem Chinarestaurant in der Friedrichstraße (Dörrie 2010). Im kalten Winter 2002/2003 kam es wiederum zu einem starken innerstädtischen Auftreten: Zwischen Weender Straße und Gotmarstraße schliefen im Dezember 2002 bis zu 1000 Vögel im Efeu eines Hinterhofs. Als der genervte Hausbesitzer den Bewuchs kurzerhand beseitigte wichen die Vögel an die alten Kliniken in der Goßlerstrasse aus, wo sich ihre Zahl im Januar 2003 auf ca. 2500 Ind. vergrößerte (Dörrie 2004a). Seitdem ist über Winterschlafplätze im urbanen Göttinger Bereich nichts mehr bekannt geworden, zumindest nicht in diesen Dimensionen. Einen eher verstörenden Höhepunkt des Auftretens in der kalten Jahreszeit lieferte der berüchtigte „Märzwinter 2013“. Während eines gigantischen, über Wochen anhaltenden Zugstaus mit Dauerfrost und Schneefall fielen ab der letzten Märzdekade bis weit in den April Tausende Stare an Göttinger Futterhäuschen ein, offenbar völlig ausgehungert. Die Verwunderung der vogelfreundlichen Mitbürger/innen war groß, denn viele hatten das Füttern schon eingestellt – es war ja, dem Kalender nach, Frühling (Grüneberg & Dörrie 2013).

Wie auch immer: Stare sind, in stark schwankender Zahl, im Winter seit jeher eine normale Erscheinung (z.B. Hampel 1965). Am ehesten bekommt man sie im Leinepolder Salzderhelden zu sehen, aber auch, bei entsprechendem Nahrungsangebot, in den Feldmarken um Göttingen oder im Seeanger.

Rätselvogel - HJThorns
Abb. 6: Ein Rätselvogel. Foto: H.-J. Thorns

Was zeigt dieses Foto? Eine sibirische Erddrossel? Einen Tannenhäher? Oder etwas ganz Exotisches? Solche Mutmaßungen werden bisweilen von interessierten Bürger/innen in Telefongesprächen oder E-Mails geäußert, manchmal mit der ergänzenden Information, dass der Vogel im Bestimmungsbuch zu Hause nicht abgebildet ist. Auf die Nachfrage, wie das Buch denn heißt und wann es erschienen ist, werden bekannte Titel aus den 1960er bis 1970er Jahren genannt. Kein Wunder. Die Antwort ist aber einfach: Es handelt sich um einen Star, der vom Jugend- ins Winterkleid ummausert.

Schutz

Die „Energiewende“ ist für viele Agrarland-Brutvögel ein einziges Desaster (Flade 2012). Ein grundlegender Wandel in der EU-Agrarpolitik, der dem Einhalt gebieten könnte, ist nicht in Sicht. Deshalb wird es auch in den kommenden Jahren bei (in der Regel) kleinflächigen Schutzprojekten für Vogelarten mit hoher Schutzpriorität oder EU-Verantwortung bleiben. Zu diesen zählt der Star wegen seiner immer noch weiten Verbreitung und Häufigkeit nicht. Sehr positiv sind Beweidungsprojekte mit robusten Rinderrassen in der Normallandschaft zu bewerten, von denen er sicher profitieren kann. Vom konventionellen Wiesenbrüterschutz mit späten Mahdterminen hat er dagegen rein gar nichts… Im Siedlungsbereich verschwindet nach Sanierungen ein Brutplatz nach dem anderen. Kann man dem Star helfen? Klar doch, wird jeder sagen: mit Nistkästen. Ihr Umsatz dürfte 2018 deutlich steigen. Warum auch nicht. In Schrebergärten, die mit ihren Offenflächen ein optimaler Lebensraum sind, aber oft nur wenige Höhlenbäume aufweisen, kann die Starendichte mit Nistkästen deutlich gesteigert werden. Und wenn die Zielart das Angebot verschmäht, können sich auch andere Tierarten in ihnen niederlassen. Weil Nistplatzmangel für den Star aber, wie dargelegt, nur ein Problem unter vielen ist, wird sich ein ins Positive gewendeter Bestandstrend allein mit künstlichen Bruthilfen nicht erreichen lassen. Dies betrifft auch die in Presse und Talkshows propagierte Ganzjahresfütterung von Singvögeln. Ein positiver Einfluss auf Brutpopulationen ist bis jetzt nicht belegt. Für den Star ist er besonders unwahrscheinlich, weil die Jungen mit Insekten ernährt werden, die an den Futterhäusern nicht zur Verfügung stehen.

Ein Quantum Trost liefert ein globaler Blick auf unserer Porträtvogel. Er ist mittlerweile einer der häufigsten Vögel der Welt und nach Einbürgerungen mit mehreren Hundert Millionen Paaren (ganz genau weiß man es nicht) auf fünf Kontinenten verbreitet.

Junger Star - MSiebner
Abb. 7: Junger Star. Foto: M. Siebner

Stare beobachten

Stare in Aktion kann man sehr schön am Göttinger Kiessee beobachten. Dort brüten am Rundweg ca. drei bis vier Paare in Spechthöhlen. Bereits ab Ende Februar balzen die Männchen vor der Bruthöhle, und ab Mitte April sind die durchdringenden Bettelrufe der Jungvögel zu hören. Später laufen (hüpfen tun die Amseln!) die dunklen Altvögel mit ihrem braunen Nachwuchs über die (von Bioziden verschont gebliebenen!) Liegewiesen, sind dann aber schnell verschwunden. Neben dem altholzreichen Stadtwall sind auch die Schillerwiesen oder die Pferdeweiden am Hainholzhof eine gute Option, vor allem im Mai. Ansonsten sind zufällige Beobachtungen vielerorts möglich, so lange man sich nicht in einem dunklen Nadelwald aufhält. Im Herbst ist ein abendlicher Besuch des Seeburger Sees ein Muss. Wer richtig viele Stare sehen möchte, sollte sich an den Gotteskoogsee im deutsch-dänischen Grenzgebiet oder in die Altstadt von Rom begeben.

Hans H. Dörrie

Literatur

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Ich bin auch ein Star - MSiebner
Abb. 8: Ich bin auch ein Star. Foto: M. Siebner