Die schönste Schwalbe zu Besuch – nicht zum ersten Mal

Abb. 1: Rötelschwalbe. Foto: V. Hesse

Anfang April. Genauer gesagt der 3. April 2019. Ich bin auf der Suche nach meinem ersten Fitis der Saison. Auf meiner Fahrt durch die Feldmark Bovenden im Leinetal nördlich von Göttingen konnte ich bereits ein Pärchen Eisvögel am Graben entdecken, aber eigentlich hatte ich mir ein paar mehr Arten erhofft. Schafstelze, Fitis, Klappergrasmücke, Mehlschwalbe. All das hatte sich die letzten Tage bereits den anderen Vogelbeobachtern Göttingens gezeigt, nur heute vor mir wollten sie sich alle nicht offenbaren. Etwas resigniert erreichte ich die Kiesgrube bei Angerstein. Schon aus der Ferne fielen mir einige Schwalben auf, nicht viele, aber möglicherweise war ja nun doch noch die erste Mehlschwalbe darunter. Sie schienen meine bisher eher erfolglose Fahrt wieder gut machen zu wollen. In geringer Höhe jagten die Vögel über der Wasserfläche und der angrenzenden Feldmark und ließen sich dabei schön beobachten. Schnell waren einige Uferschwalben und auch die ersehnte Mehlschwalbe unter den etwa 50 anwesenden Tieren gefunden und bei mir machte sich Freude und etwas Erleichterung breit, den Weg nicht umsonst gefahren zu sein. Plötzlich weckt eine der Schwalben erneut meine Aufmerksamkeit.

Sie ist noch nicht gut zu sehen, recht weit weg und in einem sehr spitzen Winkel zu mir und fliegt nun hinter den Weiden am Ufer entlang, aber irgendwas ist nicht normal an diesem Vogel. Ich behalte die Silhouette im Fernglas, gleich würde sie wieder vor den Bäumen auftauchen. Wenige Augenblicke später und die Schwalbe tut genau dies und sofort steigt die pure Freude und gleichzeitig Ungläubigkeit über das Gesehene in mir auf. Ich ging die Merkmale in meinem Kopf durch: Helle, rostfarbene Unterseite – passt! Kehle ebenso, nicht dunkel- passt! Unterschwanzdecke schwarz, scharf begrenzt zur restlichen Unterseite – passt! Und der Bürzel rostfarben und weiß – passt auch! RÖTELSCHWALBE!!! Ein absoluter Traumvogel für mich und dann auch noch selbst entdeckt. Der Hammer. Schnell wurde die Beobachtung über WA den anderen Göttinger Beobachtern mitgeteilt. Eine Kamera hatte ich nicht mitgenommen- ich wollte ja nur Fitisse suchen. Also hoffte ich, dass jemand rechtzeitig erscheinen würde um Belegbilder anzufertigen. Kurze Zeit später hatten sich zwei Ornis angemeldet, aber würden sie pünktlich erscheinen? Ich behielt die Schwalbe so gut es ging im Auge, was sich als recht schwierig herausstellte, denn der Trupp war recht aktiv und flog zwischen der Kiesgrube und der umliegenden Feldmark hin und her und verschwand immer wieder für einige Minuten. Der helle Himmel trug auch nicht zur Verbesserung der Beobachtungsumstände bei, aber es gelang mir doch immer wieder sie zwischen den anderen Schwalben zu entdecken und schön beobachten zu können. Endlich erschien Malte Georg als Erster vor Ort. Mit dem Fahrrad war er die 12 km zur Kiesgrube gesprintet, angetrieben von dem Wunsch den Vogel zu erblicken. Wir grüßten uns aus der Entfernung und ich zeigte nach oben, denn die Schwalbe kreiste direkt über ihm. Unglücklicherweise hatte ihn die Geißel moderner Telekommunikation fest in ihrer Gewalt. In der einen Hand das Handy haltend, versuchte er mit der anderen Hand das Fernglas auf die Schwalben zu richten- vergebens. Solch hübsche Vögel sind eitel und bestrafen jeden, der ihnen nicht die nötige Aufmerksamkeit zukommen lässt, und das musste Malte nun lernen. Ein Teil der Schwalben war mittlerweile in unterschiedliche Richtungen abgezogen und mit ihnen auch das Objekt der Begierde. Einige Zeit standen wir noch am Gewässer, inzwischen zu dritt, denn auch Steffen Böhner war mittlerweile eingetroffen, aber wir konnten die Schwalbe nicht mehr entdecken. So bleibe ich am Ende des Tages der einzige, der diesen wunderschönen Vogel sehen durfte. Doch die Hoffnung war noch nicht gestorben. Wir wollten es am nächsten Tag an der Northeimer Seenplatte versuchen, schließlich war es bereits recht spät geworden und Vögel im Frühjahr ziehen immer nach Norden: Also sollte sie morgen dort vorbeischauen. Um es kurz zu fassen, wir fanden sie dort nicht. Da es noch früh war, entschlossen wir uns noch am Kiessee in Göttingen vorbeizuschauen. Nur Malte konnte nicht mit, da sein Rad einen Platten hatte. Er verabschiedete sich in etwa mit den Worten: „ Viel Glück. Ihr dürft gerne alles an Seltenheiten entdecken, aber bitte nicht die Rötelschwalbe“, und wir trennten uns. So fuhren nur Béla Bartsch und ich in Richtung Südstadt. Wirklich daran glauben, die Schwalbe hier zu sehen, taten wir nicht, aber man weiß ja nie. Am See angekommen sahen wir einige Rauch- und Mehlschwalben über dem See jagen, jedoch nichts Spektakuläres. Also gingen wir weiter. An der SO-Ecke schauten wir erneut die etwa 150 anwesenden Schwalben durch und plötzlich meinte mein Mitbeobachter: „Da ist sie! Geil!“. Und tatsächlich flog der Vogel etwa 20 m vor uns niedrig über die Wasserfläche und jagte Insekten. Schnell war die Nachricht verbreitet. Und keine 15 Minuten später stand Malte schon hinter uns. Und auch Steffen war schnell vor Ort, sodass wir zu viert die Schwalbe auf geringe Entfernung sehr gut beobachten konnten.

Abb. 2: Rötelschwalbe im Mai 2017 am Seeburger See. Foto: M. Siebner

Während die Rötelschwalbe (Cecropis daurica) bei Angerstein im Kreis Northeim nur für etwa 40 Minuten von einem Beobachter gesehen werden konnte, war der Vogel am Kiessee deutlich besser und vor allem länger zu sehen. Um 11:20 Uhr am 4.April wurde er unter den anwesenden Schwalben entdeckt und hielt sich hier für drei Tage bis zum 6. April auf. Zuletzt wurde er an diesem Tag um 11:15 Uhr gesehen und zog dann mit zunehmend besser werdendem Wetter in Gesellschaft der anderen Schwalben ab. Noch außergewöhnlicher als der seltene Gast an sich ist der Umstand, dass er für solch eine lange Zeit in dem selben Gebiet verweilte. Typischer Weise bleiben meist die Entdecker auch die einzigen Glücklichen die diese Vogelart zu Gesicht bekommen, so wie es auch bei dem Angersteiner Vogel der Fall war. Anders die Göttinger Beobachtung. Mit 48-stündiger Anwesenheit stellte sie eine große Ausnahme dar. Bis 2010 gab es aus 82 Beobachtungen nur vier, bei denen die Tiere drei Tage oder länger vor Ort waren. Grund für die lange Rast am Kiessee dürfte das Wetter gewesen sein. Die Tage um die Monatswende März/April waren geprägt durch langanhaltend gutes Wetter mit Temperaturen deutlich über 10°C und beständigen Süd- bis Südwestwinden, welche vermutlich dazu führten, dass die Rötelschwalbe während des Heimzuges über ihr eigentliches südeuropäisches Brutgebiet hinausgeschossen war und sich hier den nordwärts ziehenden Schwalben angeschlossen hatte. Dieses Phänomen nennt sich Zugprolongation und hat Rötelschwalben schon bis nach Skandinavien geführt. Dieses Verhalten ist auch bei vielen weiteren, bei uns seltenen Arten, bekannt, wie etwa dem Alpensegler, der Weißbart-Grasmücke oder dem Rallenreiher. In der Nacht zum 4. April drehte dann der Wind auf Nord und die Temperaturen fielen merklich. Während solcher Schlechtwetterphasen kommt es dann häufig zu Zugstausituationen, in Folge deren manchmal große Ansammlungen von Schwalben über Gewässern entdeckt werden können, wo sie Insekten jagen und in der Ufervegetation rasten. Seltenere Arten werden dabei ebenfalls zur Rast gezwungen und sind schließlich für die Beobachter deutlich einfacher zu entdecken. Da sich die Zugbedingungen auch noch den gesamten Folgetag nicht besserten, war die Rötelschwalbe auch dort den gesamten 5. April zu sehen und zog erst am dritten Tag bei sich deutlich verbesserten Bedingungen ab. Wohl ebenfalls auf die Witterung der vorangegangenen Wochen ist das sehr frühe Erscheinungsdatum zurückzuführen. Normalerweise erreicht die Rötelschwalbe Deutschland zwischen Mitte April und Mitte Mai. Zwischen 1977 und 2010 gab es nur fünf Nachweise der Art die in die erste Aprildekade oder davor fallen. Aufgrund der oben genannten Südwindlage dürfte die Schwalbe sehr schnell, gleichsam in einem Lift, bis zu uns gelangt sein.
Unter Vorbehalt der Einstufung als ein oder zwei verschieden Individuen durch die Deutsche Avifaunistische Kommission, stellen sie den 6. bzw. 7. Nachweis der Art in Süd- Niedersachen dar, den zweiten für den Kreis Northeim und den fünften für Göttingen. Mit Blick auf die Rangliste der Datenbank ornitho.de erkennt man, dass Süd-Niedersachsen für die Rötelschwalbe das wichtigste „Rastgebiet“ bundesweit darzustellen scheint. Mit Ausnahme des Sonderfalls Helgoland hat keine Region in Deutschland auch nur annähernd so viele Beobachtungen vorzuweisen. 2003 und 2006 wurden sogar jeweils zwei Vögel zusammen gesehen. Dabei scheint der Göttinger Kiessee besonders attraktiv zu sein. Vier der neun beobachteten Tiere wurden hier entdeckt. In den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende war die Rötelschwalbe ein fast jährlicher Gast im Bearbeitungsgebiet des Arbeitskreises Göttinger Ornithologen. Zwischen 2002 und 2006 wurde sie vier Mal wahrgenommen. Danach folgte eine elfjährige Pause und erst im Mai 2017 konnte wieder eine am Seeburger See beobachtet werden. Und nun 2019 wieder. Die scheinbare Attraktivität beruht aber nicht auf irgendwelchen ökologischen Besonderheiten, sondern ist in erster Linie auf die hohe Beobachterdichte und -frequenz an einigen Feuchtgebieten zurückzuführen. Zudem wissen die regionalen Beobachter mittlerweile sehr gut, dass es sich lohnt bei schlechtem Wetter die rastenden Schwalben durchzumustern.
Der seltenen Gelegenheit, eine stationäre Rötelschwalbe auf die Artenliste zu bekommen entsprechend, war das Interesse heimischer und auswärtiger Beobachter sehr groß. Mindestens 30 Vogelfreunde konnten am Ende diese Art als gesehen für sich verbuchen. Neben bis zu drei länger präsenten Vögeln im Mai 2010 bei Münster dürfte die Göttinger Rötelschwalbe im April 2019 zu den in Deutschland am meisten fotografierten ihrer Art zählen. Viele Kameraakkus liefen heiß und viele SD-Karten wurden gefüllt, um auch ein eigenes Bild vorzeigen zu können, auch wenn auf diesem die Schwalbe bis zur Unkenntlichkeit verpixelt war. Am Mittag des 6. April endete der Spuk letztendlich mit dem Abzug der Art und es kehrte wieder Ruhe und Frieden an dem sonst so beschaulichen Gewässer ein.

Ole Henning

Literatur:
Kriegs, J.O., Bindrich, F. & H.H. Dörrie (2012): Das Auftreten der Rötelschwalbe Cecropis daurica in Deutschland. Seltene Vögel in Deutschland 2010: 58-63

Abb. 3: Rötelschwalbe am Kiessee in Göttingen. Foto: M. Siebner