Kleine Reiher im Göttinger Süden

In diesem Frühsommer ließen sich innerhalb der drei Wochen nach Pfingsten am Stadtrand und im Umfeld der Stadt drei Reiherarten beobachten, die in unserer Region nur seltene Gäste sind.

Erster in der Runde war ein Rallenreiher (Ardeola ralloides) am Göttinger Kiessee. Endeckt wurde der Vogel früh morgens am Samstag, dem 26.06.2012. Schnell wurden weitere heimische Ornithologen alarmiert, da zu befürchten war, dass der bevorstehende Besucheransturm in diesem stadtnahen Erholungsgebiet, den Reiher schnell wieder vertreiben würde.

Abb. 1: Rallenreiher auf seinem Lieblingsbaum am Kiessee. Foto: M.Siebner

Aber der Vogel trotzte über 10 Tage regem Bootsverkehr im Wasser und ausschweifenden Grillparties am Seeufer. In den ersten Tagen erkundete er dabei den ca. 800 m messenden See und ließ sich an fast allen Ecken mal blicken. Näherten sich Ruder- oder Tretboote, begab er sich in eine Duckstellung und flüchtete erst im letzten Moment meistens zu Fuß. Später fand er jedoch die störungsarmen Plätze heraus und pendelte schließlich nur noch zwischen seinem in den See ragenden Lieblings-Weidenbaum und der Insel.

Direkt nach seiner Entdeckung wurde eine Meldung über Club300 und die bundesweite Vogelbeobachterplattform ornitho.de abgegeben. Dies lockte innerhalb von ein paar Tagen weit mehr als 100 Vogelfreunde aus nah und fern in die Universitätsstadt, welche ihre Weiterreise häufig sofort wieder antraten, sobald die seltene Art auf ihrer Liste abgehakt war. Die mitgebrachte teils schwere Optik, mit der das Unterholz abgesucht wurde, irritierte dabei so manchen Pfingstausflügler. Trotzdem hielt sich der Ansturm, verglichen mit einem ‘Squacco heron’ in England, in Grenzen.

Der Göttinger Rallenreiher war allem Anschein nach ein Individuum im zweiten Kalenderjahr, also noch nicht vollständig ausgefärbt. Kennzeichnend sind die noch ockerfarbenen Partien auf den Flügeln, die noch recht kurzen Schmuckfedern am Kopf sowie der nur schwach blau gefärbte Schnabel.

Die Nacht verbrachte der junge Reiher hoch in Pappeln in der Nähe des Sees. Gegen Ende seines Aufenthaltes machte er größere Ausflüge, bis er am Abend des 6. Juni zuletzt am Kiessee beobachtet wurde.

Rallenreiher
Abb. 2: Rallenreiher lauert auf Beute. Foto: M. Siebner

Der erste Nachweis eines Rallenreihers in unserer Region datiert vom 2. bis 4. Mai 1983 von der alten Rosdorfer Tongrube. Auch dieser Vogel, wohl ein Altvogel, ließ eine Annäherung auf bis zu fünf Meter zu und verharrte dabei manchmal in einer Art Pfahlstellung. Bei allzu heftigen Störungen wich er auf die Insel am Kiessee aus.

Der zweite Vogel, ein Individuum im Schlichtkleid, hielt sich vom 23. bis 28. August 2002 am Seeburger See auf. Möglicherweise war er noch länger präsent, denn ein Vogel mit entsprechender Beschreibung wurde vor dem 23. August von den Betreibern des Bootsverleihs gesehen, als er auf den Teichrosen balancierte.

Am frühen Pfingstsonntagmorgen dann entdeckten eigentlich für den Rallenreiher angereiste Vogelfreunde einen adulten Nachtreiher (Nycticorax nycticorax) im dichten Geäst der Insel. Bis etwa 10 Uhr war dieser, ebenso wie sein beigefarbener Kollege, recht mobil am See unterwegs. Für den Tag zog er sich auf die Insel zurück und ließ sich erst am Abend wieder blicken. Seine Rufe wurden dann noch bis in die Dunkelheit von der Insel vernommen.

Der Vogel war wohl nur einen einzigen Tag am Göttinger Kiessee. Ob ein zuvor von Passanten auf der Insel beobachteter “Pinguin” unser weiß-grauer Reiher war, kann nicht endgültig geklärt werden.

Abb. 3: Adulter Nachtreiher am Göttinger Kiessee. Foto: H. Petersen.

Der bislang einzige Nachtreiher im Göttinger Stadtgebiet hielt sich vom 30. Mai bis zum 5. Juni 2001 ebenfalls am Kiessee auf, bevorzugt an der Insel. Auch dieser war ein Altvogel im Hochzeitskleid.

Die fast schon dschungelartige Vegetation auf der Insel sowie die vielen übers Wasser ragenden alten Weiden stellen mittlerweile auch für Auwaldbewohner auf der Durchreise einen optimalen Rastlebensraum dar. Dies sollte bei Pflegemaßnahmen durch den Fachdienst Stadtgrün stärker berücksichtigt werden. Eine Gefahrenquelle für Spaziergänger bilden die Bäume am Ufer ohnehin nicht, und die Bootsfahrer können ihnen problemlos ausweichen.

Die Kiesgrube Reinshof, in der warmen Jahreszeit nicht weniger verrummelt als der Kiessee, liegt südlich von Göttingen nahe der Gemeinde Rosdorf. Dort ließ sich am 17. Juni 2012 eine Zwergdommel (Ixobrychus minutus) entdecken, als sie von Norden kommend den spärlichen Schilfbewuchs des Südufers entlang flog und dabei immer wieder landete. Zuletzt wurde der Vogel im Schilf kletternd im südlichen Teil des Gewässers beobachtet, wo sich auch der größte Schilfbestand befindet. Die Dommel, bei der es sich höchstwahrscheinlich um ein Weibchen handelte, konnte an den Folgetagen nicht mehr an der Kiesgrube gesichtet werden.

Zwergdommel
Abb.3+4: Eine Zwergdommel fliegt erst und klettert dann im Schilf an der Kiesgrube Reinshof. Foto: M. Siebner.

Der letzte Nachweis einer Zwergdommel in der Region Göttingen abseits des Seeburger Sees war ein Männchen am 8. Juni 1988 an den Tongruben Ascherberg.

Abschließend noch ein Wort zur Größe der drei kleinen Reiher, die im Spektiv allesamt größer erscheinen:
Der Nachtreiher ist der Größte, etwa so groß wie ein Mäusebussard. Der Rallenreiher ist, wie man am Kiessee sehen konnte, kleiner als eine Stockente, während es die Zwergdommel nur auf Eichelhähergröße bringt.

Und – kleiner sollte sie auch auf keinen Fall sein: bei dieser sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen muss man sich fragen, wie viele Zwergdommeln im Röhricht, zumal wenn es sich um stumme Weibchen gehandelt hat, hier in den letzten Jahren unbemerkt durchgezogen sind…

Mathias Siebner

Literatur

Dierschke, J. (1985): Rallenreiher (Ardeola ralloides) im Kreis Göttingen. Mitt. Fauna Flora Süd-Niedersachs. 7: 73-74.

Dörrie, H.-H. (2002): Avifaunistischer Jahresbericht 2001 für den Raum Göttingen und Northeim. Naturkundl. Ber. Fauna Flora Süd-Niedersachs. 7: 4-103.

Dörrie, H.-H. (2003): Avifaunistischer Jahresbericht 2002 für den Raum Göttingen und Northeim. Naturkundl. Ber. Fauna Flora Süd-Niedersachs. 8: 4-106.

Dörrie, H.H. (2010): Anmerkungen zur Vogelwelt des Leinetals in Süd-Niedersachsen und einiger angrenzender Gebiete 1980-1998. Kommentierte Artenliste. 3., korrigierte Fassung im pdf-Format