Ein Interview
Der Rotmilan ist eine Charaktervogelart der offenen Kulturlandschaft und eine Art mit ganz besonderer Bedeutung für den Natur- und Artenschutz. Der AGO-Mitarbeiter Gerd Brunken hat in den zurückliegenden Jahren die Brutbestände dieses eleganten Greifvogels im südlichen Niedersachsen, einem Verbreitungsschwerpunkt der Art, unter die Lupe genommen. Wir sprachen mit ihm über die Ergebnisse seiner Untersuchung.
AGO: Herr Brunken, Sie haben sich in den letzten Jahren genauer mit dem Rotmilan in Süd-Niedersachsen beschäftigt. Warum gerade mit dieser Art?
G. Brunken: Der Rotmilan ist eine Brutvogelart mit einem kleinen Verbreitungsareal. In Deutschland brütet über die Hälfte der Weltpopulation von insgesamt nur 20.000 bis 25.000 Brutpaaren. Unsere Region gehört zu den Dichtezentren der Art. Der Rotmilan ist außerdem eine Brutvogelart des Anhangs I der EU-Vogelschutzrichtlinie. Zudem wurden in neuerer Zeit gerade in den Hauptverbreitungszentren der Art zum Teil alarmierende Bestandsrückgänge gemeldet.
AGO: Ihre Ergebnisse waren alarmierend. Was genau haben Sie herausgefunden?
G. Brunken: Im EU-Vogelschutzgebiet Unteres Eichsfeld, zu dessen drei wertbestimmenden Brutvogelarten der Rotmilan gehört, wurden 2003 bei einer ersten flächendeckenden Bestandsaufnahme noch 17,5 Brutpaare bzw. Reviere pro 100 km² ermittelt. 2008 hatte sich die Zahl auf 12,5 Brutpaare bzw. Reviere pro 100 km² reduziert. Nicht brütende Revierpaare gibt es fast nicht mehr, so dass davon auszugehen ist, dass die Nichtbrüterreserve aufgebraucht ist und uns in den nächsten Jahren eine weitere Reduzierung der Brutpaarzahl droht.
AGO: Im Landkreis Göttingen wurden in der letzten Brutsaison auch Hybridbruten von Rot- und Schwarzmilanen festgestellt. Passt auch das zu der von Ihnen geschilderten Entwicklung?
G. Brunken: Ich würde noch nicht von einer Tendenz zur Hybridisierung sprechen. Allerdings waren von den ganzen sechs erfolgreichen Rotmilanbruten des Jahres 2008 zwei, die ein Mischpaar Rot-/Schwarzmilan betrafen. Es bleibt abzuwarten, ob sich in den nächsten Jahren tatsächlich eine Tendenz zu Mischpaaren herausbildet und ob diese Paare möglicherweise sogar einen Selektionsvorteil besitzen.
AGO: Kann man genaueres über die Gründe des negativen Trends sagen?
G. Brunken: Die nahrungsökologischen Untersuchungen des Jahres 2008 haben gezeigt, dass die Vögel in der offenen Agrarlandschaft nicht mehr in ausreichendem Maße Nahrung finden, um die zur Aufrechterhaltung der Lokalpopulation notwendigen mindestens zwei Jungvögel pro Paar zur Flugfähigkeit zu bringen. Die Misere kann in kurzen Worten wie folgt beschrieben werden: Bei uns hat der Rotmilan zweifellos von Flächenstilllegungen in der Landwirtschaft profitiert, die die zunehmende Intensivierung der Nutzung zumindest teilweise kompensieren konnten. Mit der Doppelförderung des Rapsanbaus auf Stilllegungsflächen ging den Kleinsäugern, die im Beutespektrum der Milane die überragende Rolle spielen, ein großer Teil an Reproduktionsraum verloren. Die endgültige Abschaffung der Flächenstilllegung durch die Förderung des Anbaus nachwachsender Rohstoffe hat die Situation für Kleinsäuger weiter verschärft. Der zweite entscheidende Aspekt ist, dass zu Beginn der Brutzeit zwar ausreichend potentielle Jagdflächen zur Verfügung stehen. Im Zeitabschnitt des höchsten Nahrungsbedarfs (Fütterung der Nestlinge) allerdings ist den Vögeln aufgrund der Vegetationsbedeckung der Hauptanbaufrüchte Wintergetreide, Winterraps, Zuckerrüben und Mais eine erfolgreiche Jagd auf den Intensivagrarflächen praktisch nicht mehr möglich. Offene Saumhabitate werden darüber hinaus zunehmend zurückgedrängt. Schnellwüchsiges Intensivgrünland ist aufgrund der hohen Düngergaben nur kurzzeitig nach den Mahdterminen als Jagdhabitat potentiell nutzbar.
AGO: Das überrascht aber schon, denn weite Teile unserer Region sind als Schutzgebiete gerade auch für den Rotmilan ausgewiesen.
G. Brunken: Das Schutzgebiet V19 (Unteres Eichsfeld) ist – wie bereits gesagt – als Reservat für den Rotmilan ausgewiesen. Bis zum heutigen Tage ist – nach gut acht Jahren – ein Schutzkonzept für die Art allerdings noch nicht einmal in Ansätzen sichtbar. Nichts unterscheidet das EU-SPA V19 von der umgebenden Landschaft. Im Gegenteil: Aufgrund der überwiegend guten Böden ist die Intensität der landwirtschaftlichen Nutzung hier im regionalen Vergleich sogar besonders weit fortgeschritten. Das Verschlechterungsverbot der EU, nach dem ein guter Erhaltungszustand für die wertbestimmenden Vogelarten aufrechterhalten oder sogar wiederhergestellt werden muss, wird nicht beachtet.
AGO: Angenommen die von Ihnen beschriebene Entwicklung hält an: Wie könnte es dann in zehn oder zwanzig Jahren um die Art bestellt sein?
G. Brunken: Ich denke, der Rotmilan wird sich bei uns als Brutvogel auf einem niedrigen Niveau einpendeln, wenn sich die Nahrungsbedingungen nicht entscheidend verbessern. Einige Paare werden sich um die grünland- und gewässerreichen Subrosionssenken (Seeburger See, Seeanger, Lutteranger) halten. Dort, wo die Brutplätze unmittelbar an die intensive Ackerlandschaft angrenzen, hat der Rotmilan bei uns keine Zukunft.
AGO: Wie könnten denn sinnvolle und vor allem wirksame Schutzmaßnahmen aussehen?
G. Brunken: In dem ehemaligen absoluten Dichtezentrum des Rotmilans im nördlichen Harzvorland hat man durch ein aufwendiges Programm versucht, den katastrophalen Rückgang des Brutbestandes (fast 90 % in ca. 15 Jahren) aufzuhalten. Mit hohem finanziellen Aufwand wurde relativ großflächig vor allem Luzerne eingesät, um die Reproduktionsbedingungen für Kleinsäuger des Offenlandes zu verbessern. Immerhin konnte der vordem miserable Bruterfolg signifikant verbessert werden. Eine Vergrößerung der Brutpopulation würde sich daraus allerdings erst in einigen Jahren herleiten lassen. Das Projekt war jedoch zeitlich befristet und so steht zu befürchten, dass zwar neue Erkenntnisse zur Nahrungsökologie des Rotmilans gewonnen wurden, für die Art selber aufgrund fehlender Nachhaltigkeit aber wenig getan werden konnte. Im Rahmen des Vetragsnaturschutzes bieten sich auch bei uns – theoretisch – Möglichkeiten, die Nahrungssituation für den Rotmilan zu verbessern. Die dafür in Frage kommenden Programme sind jedoch zeitlich befristet und für wirklich effektive Maßnahmen ist vermutlich viel zu wenig Geld vorhanden. Man sollte sich klar darüber sein, dass Habitatverbesserungsmaßnahmen, die einer zeitlichen Befristung unterliegen, grundsätzlich fehlinvestiertes Geld sind. Man verbessert für einen gewissen Zeitraum die Lebensbedingungen der Zielarten. Nach Ablauf des Förderzeitraumes ist dann im Prinzip alles wieder beim Alten. Die Nachhaltigkeit ist in keiner Weise gewahrt.
AGO: Vielen Dank und weiterhin viel Erfolg bei der Arbeit – trotz dieser deprimierenden Aussichten!
Eine ausführliche Darstellung der Untersuchungsergebnisse zum Rotmilan und anderen Agrarvogelarten im EU-Vogelschutzgebiet „Unteres Eichsfeld“ erscheint demnächst in den „Göttinger Naturkundlichen Schriften“, die von der Biologischen Schutzgemeinschaft Göttingen herausgegeben wird.