Die Heimzugsaison im Frühjahr 2006

Der vergangene Winter ließ sich nicht lumpen: Zugefrorene Stillgewässer bis in den April und verhältnismäßig niedrige Temperaturen bis weit in den Mai sorgten dafür, dass Frühlingsgefühle der ornithologischen Art lange Zeit nicht so recht aufkommen wollten. Dafür gestaltete sich die Heimzugsaison recht turbulent. Der Frühling 2006 (April bis Mai) verlief nicht nur meteorologisch betrachtet äußerst abwechslungsreich.

Falkenraubmöwe nahe Wollbrandshausen
Abb. 1: Falkenraubmöwe bei Gieboldehausen – der dritte Nachweis dieser Art für die Region, und der erste Vogel im Brutkleid. Foto: Christoph Grüneberg

Erstmals seit Jahren konnte im Leinepolder wieder ein Seidenreiher nachgewiesen werden. Die Art ist – obwohl in anderen Regionen Deutschlands vermehrt festgestellt – in Südniedersachsen eine echte Seltenheit.

Alljährlich werden bei uns hingegen Nachtreiher beobachtet, und zwar zumeist am Seeburger See. Auch in diesem Frühjahr besuchten zwei Individuen dieser südeuropäischen Art das Eichsfelder Stillgewässer.

Der Seeanger unterstrich einmal mehr seine herausragende regionale Bedeutung für durchziehende Watvögel: Ein Säbelschnäbler-Trio nutzte die Flachwasserbereiche des ehrgeizigen Naturschutzprojektes für einen Zwischenstop. 30 Temminckstrandläufer rasteten für einen Tag ebendort und lieferten für die Region die höchste jemals notierte Tagessumme dieser traditionell spärlichen Art.

Am Seeburger See und in der Feldmark Wollbrandshausen – Gieboldehausen verweilte für einige Tage eine adulte Falkenraubmöwe. Der als Nahrungshabitat dienende Rübenacker verdutzte hier nur auf den ersten Blick: Der seltene Gast bediente sich an den offensichtlich zahlreich vorhandenen Regenwürmern und erfreute sich bester Gesundheit.

Acht Küsten– und vier Flußseeschwalben am Seeburger See passen durchaus ins gewohnte Bild des Heimzuges der beiden Arten in Südniedersachsen. In Verzückung hingegen versetzten die Beobachter dafür aber gleich elf spektakuläre Brandseeschwalben und zwei Raubseeschwalben am Göttinger Kiessee. Je eine Weißbart– und Weißflügel-Seeschwalbe gibt es vom Seeburger See zu melden.

Am Seeufer bei Bernshausen balzte kurzzeitig ein Ziegenmelker (erster regionaler Nachweis seit 20 Jahren). Insgesamt vier Wiedehopfe wurden gemeldet, so viele wie noch nie.

Ein Bienenfresser wurde rufend über der Göttinger Nordstadt festgestellt.

Über die Kiesgrube Reinshof zogen zwei Rötelschwalben, die kurz darauf am Kiessee auftauchten. Gegen Abend wurde dort noch ein dritter Vogel gesehen.

Auch Halbseltenheiten bzw. regional spärliche Vertreter der Vogelwelt wie Wendehals, Blau– und Schwarzkehlchen, Brachpieper, Schilf– und Drosselrohrsänger, Rohr– und Schlagschwirl sowie Pirol und Ortolan gelangten zur Beobachtung. Recht üppig fiel auch der Durchzug anderer normalerweise eher spärlich auftretender Weitstreckenzieher wie Waldlaubsänger, Trauerschnäpper und Gartenrotschwanz aus.

Vögel im Beobachtungsgebiet des AGO 100.jpg
Abb. 2: Bittere Zeiten für den Eisvogel: Der harte und lang anhaltende Winter machte der Art mächtig Probleme. Die gar nicht so kleine Population im Göttinger Süden brach komplett zusammen, auch aus anderen Revieren fehlen Brutzeitnachweise. Foto: Christoph Grüneberg

Während viele spät heimkehrende Arten sowohl früh als auch in guten Zahlen durchzogen, hatten einige Standvögel offenkundig Winterverluste zu beklagen – allen voran der Eisvogel, von dem in Göttingen im Frühjahr nur noch ein einsames Männchen präsent war. Es wird sich zeigen, ob diese bisher in Göttingen und Umgebung nicht seltene Art die Verluste in den Folgejahren kompensieren kann.

Auch der Grünspecht musste herbe Winterverluste hinnehmen, so dass etliche traditionelle Reviere unbesetzt blieben und zum Teil vom kleineren und offensichtlich vom langen und kalten Winter weniger beeindruckten Verwandten (Grauspecht) „aufgefüllt“ wurden.

H. H. Dörrie und S. Paul