Kommen enigmatische Vogelarten, deren Lebensweise geheimnisumwittert ist, nur in tropischen Regenwäldern oder unzugänglichen Hochtälern der Anden und des Himalaja vor? Keineswegs! Auch unsere extrem erschlossene Nutzlandschaft beherbergt einen gefiederten Leisetreter, der zwar bekannt ist, aber zumeist unsichtbar und kaum erforscht seinen Geschäften nachgeht: die Wachtel (Coturnix coturnix). Ansiedlungs- und Fortpflanzungsstrategie sowie das komplexe Migrationsverhalten dieses faszinierenden Feldbrüters werfen eine Vielzahl von Fragen auf.
Verbreitung und langfristige Bestandsentwicklung
Im europäischen Maßstab ist die Wachtel mit 2,8 bis 4,7 Millionen „Paaren” (BirdLife International 2004) ein häufiger Brutvogel. Das Gros der kontinentalen Population brütet jedoch in Ost- und Südeuropa. Der niedersächsische Bestand wird für das Jahr 2005 mit 800 rufenden Männchen angegeben (Krüger & Oltmanns 2007).
Im ackerbaulich genutzten Offenland Süd-Niedersachsens ist die Wachtel ein verbreiteter, aber spärlicher Sommergast, dessen von Jahr zu Jahr stark schwankende Populationsgröße im Landkreis Göttingen derzeit zwischen geschätzten 50 und 150 revieranzeigenden Männchen liegen dürfte. Insbesondere für die Feldfluren zwischen Bördel und Jühnde, den südlichen Göttinger Stadtrand und die Umgebung des Seeburger Sees existieren ältere Angaben, die über Jahrzehnte ein regelmäßiges und mehr oder minder kopfstarkes Auftreten belegen (Dörrie 2000). Im Grünland ist sie dagegen selten bzw. tritt nur als Durchzügler auf.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts kam die kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft den brutökologischen Ansprüchen dieses ursprünglichen Steppenvogels sehr entgegen, der offene Flächen mit halbhoher, lichtdurchlässiger Vegetation und einer Deckung bietenden Krautschicht bevorzugt. Im 20. Jahrhundert setzte in ganz West- und Mitteleuropa ein großflächiger und besonders ab den 1970er Jahren galoppierend beschleunigter Bestandsrückgang ein, den Bauer et al. (2005) mit der „Beeinträchtigung durch moderne Landwirtschaft (bes. Düngemittel und Pestizideinsatz)” erklären – ein trister Befund, dessen Gültigkeit in zunehmendem Maße auf die (noch) wachtelreichen östlichen EU-Beitrittsländer übertragen werden muss.
Gleichwohl sind in den vergangenen 10 Jahren (auch) in unserer Region die Chancen beträchtlich gestiegen, dem dreisilbigen Reviergesang eines Wachtelhahns lauschen zu können. Den rauh kratzenden Auftakt zu jeder Strophe, auf dessen lautmalerische Umschreibung der deutsche Artname zurückgeht (Wember 2005), hört man aber nur, wenn der zumeist verborgene Vogel weniger als 10 bis 15 Meter entfernt ist.
Warum die Wachtel, den devastierenden Auswirkungen der industrialisierten Landwirtschaft augenscheinlich trotzend, wieder häufiger geworden ist oder, besser gesagt, auf welchen ökologischen Faktoren dieses Paradox beruhen könnte, soll im folgenden näher beleuchtet werden. Dabei kommt man, so wie die Dinge liegen, ohne Konjunktive, Hypothesen und Mutmaßungen leider nicht aus.
Brutökologie und Migration
Wenn, was selten genug passiert, eine Wachtel vor dem Beobachter auffliegt, ist dieser erstmal baff: ein starengroßes, schwanzlos wirkendes Flugobjekt von gedrungen-ovaler Gestalt, das ansonsten nur aus einem langen Flügelpaar zu bestehen scheint! Die für einen Hühnervogel absonderliche Gestalt hat Sinn: Unter den heimischen Vertretern der Galliformes ist die Wachtel der einzige Langstreckenzieher. Auf ihren weiten Reisen ins afrikanische Winterquartier und zurück vermag sie nonstop das Mittelmeer zu überfliegen und anschließend, ebenfalls ohne weiteren Verzug, das endlose Sandmeer der Sahara. Einen solchen, von vielen anderen weitziehenden Vogelarten bekannten, Migrationshintergrund weisen jedoch nur die Angehörigen der kontinentaleuropäischen Populationen auf, die sich primär nördlich der Alpen und Pyrenäen reproduzieren. Brutvögel des Mittelmeerraums und Nordafrikas lassen es gemächlicher angehen. Sie legen kürzere Distanzen zurück und können sogar im Brutgebiet überwintern (Bauer et al. 2005).
Die Wachtel organisiert ihre Fortpflanzung in vollendeter Anpassung an wechselnde Umweltbedingungen. Sie reagiert gleichermaßen plastisch wie kurzfristig auf Faktoren, die ihrem Gedeihen günstig sind und verhält sich, nach einem biologischen Fachbegriff, als vagabundierender r-Stratege. Sie ist – im Unterschied zu den im gleichnamigen französischen Zugvogelfilm mitwirkenden Gänsen und Kranichen – ein wirklicher „Nomade der Lüfte“.
Die Reproduktionsbereitschaft der Brutvögel arider Regionen wird von der Niederschlagsmenge im Spätwinter und Frühjahr bestimmt (Puigcerver et al. 1999). Deshalb kann es dort in regenreichen Jahren bereits ab Ende Januar/Anfang Februar zu regelrechten Massenvermehrungen kommen. Mit bis zu 18 Eiern fallen die Gelege, von denen ein Weibchen bis zu drei im Jahr zeitigen kann, sehr groß aus. Jungwachteln werden im Alter von ca. 80 Tagen geschlechtsreif und können bereits in ihrem ersten Lebensjahr zur Fortpflanzung schreiten.
Nach Abschluss der ersten Reproduktionsrunde begeben sich viele mediterrane Brutaspiranten (darunter auch geschlechtsreife Jungvögel) auf einen Zwischenzug nach Norden, um sich weiter zu vermehren. Dies ist durch entsprechende Ringfunde aus mehreren europäischen Staaten belegt (Bauer et al. 2005). Ein komplexes wie großflächig ausgerichtetes Dispersions- und Dismigrationsverhalten während der Brutzeit zeigen auch andere Vogelarten (darunter einige tropische Verwandte unseres Porträtvogels) – unter den eher sesshaften westpalärktischen Hühnervögeln bildet es eine spektakuläre Ausnahme.
Vom erratischen Invasionsvogel zum etablierten Nutznießer der industriellen Landwirtschaft?
Aus den oben genannten Gründen wird die Wachtel bei uns zumeist als unstete Einflugart wahrgenommen, die in manchen Jahren selten ist, dann aber wieder in deutlich höheren Zahlen in Erscheinung tritt. Warme und trockene Frühjahre im Norden scheinen den Einflügen besonders förderlich zu sein. Das überlieferte Bild weist jedoch seit einigen Jahren neue Facetten auf, die unter anderem auf den anthropogen veränderten biotischen Bedingungen in Nordafrika beruhen.
In den Maghreb-Staaten und in Ägypten hat sich die reproduktive Abhängigkeit der Wachtel von periodischen Niederschlägen zum Beginn der Brutzeit deutlich abgemildert. Gigantische Wasserbauwerke wie zum Beispiel der ägyptische Assuan-Staudamm oder der Great Man-Made River in Libyen haben, obwohl in ihren langfristigen ökologischen Auswirkungen als fragwürdig bis verheerend zu beurteilen, zu einer beträchtlichen Ausweitung permanent bewässerter Agrarflächen geführt. Davon hat neben der Produktion von Baumwolle und Zitrusfrüchten vor allem der Weizenanbau profitiert. Obwohl die einschlägigen Landesavifaunen (Goodman & Meininger 1989, Isenmann & Moali 2000, Thévenot et al. 2003, Isenmann et al. 2006) zu dieser Thematik nur wenig beisteuern, ist davon auszugehen, dass sich in einigen Regionen Nordafrikas, wie bereits von Bauer & Berthold (1996) summarisch konstatiert, die Reproduktionsbedingungen getreidebrütender Wachteln verbessert haben. Das vermehrte Auftreten in der west- und mitteleuropäischen Agrarlandschaft (nicht nur in Invasionsjahren!) könnte damit erklärt werden.
Basierend auf den regionalen avifaunistischen Jahresberichten (Schumacher 1999a, 1999b, Dörrie 2000-2007), zusätzlichen Daten und Kartierergebnissen sowie einer aktuellen Umfrage für das laufende Jahr illustriert Tabelle 1 das Auftreten der Art in Süd-Niedersachsen in den vergangenen 12 Jahren. Die (Zufalls-)Beobachtungen und Kartierergebnisse beziehen sich zu über 90 Prozent auf den Landkreis Göttingen, der Rest auf die südliche Hälfte des Landkreises Northeim. Daten nach dem Juli 2008 sind nicht enthalten.
Der (vorläufige) „Jahrhundertsommer“ 2003 und die ebenfalls sehr warme und sonnige Brutzeit 2008 fielen wachtelreich aus. Ein gutes Jahr war auch 2001, dessen Mai überdurchschnittlich warm war; der Juni hingegen begann mit einer regenreichen Kälteperiode und lag ca. 2°C unter dem langjährigen Durchschnitt.
Beim Blick auf die monatliche Verteilung der regionalen Meldungen fällt ins Auge, dass die Mehrzahl der Wachteln im Juni eintrifft. Dies passt sehr gut zum Reproduktionszyklus der südeuropäischen und nordafrikanischen Teilpopulationen. Nachweise „deutscher” Wachtelmänner, die ab Ende April bis Mitte Mai auf sich aufmerksam machen, sind damit verglichen nur sehr spärlich. Ende Mai eintreffende Individuen könnten ebenfalls schon aus dem Mittelmeerraum stammen.
Wo lassen sich die Vögel nieder? Die Zeiten der extensiv betriebenen Dreifelderwirtschaft mit ihren durchweg hohen Wachtelzahlen sind ferne Geschichte. Heute dominieren agrarindustrielle Nutzungsformen, deren euphemistisch-sedierende Umschreibung als „ordnungsgemäße Landwirtschaft” die ganze Ödnis für Kundige eher enthüllt als bemäntelt.
George (2004) gelangt bei seiner gründlichen Analyse der Habitatpräferenzen von Wachteln in der Agrarlandschaft Sachsen-Anhalts zu dem Ergebnis, dass zu DDR-Zeiten die höchsten Siedlungsdichten auf selbstbegrünenden Ackerbrachen, in Luzerne-Graspflanzungen und im Sommergetreide erreicht wurden. Wie die DDR – die entgegen westlichen Verlautbarungen alles andere als ein einziges ökologisches Katastrophengebiet war! – sind auch diese wachtelfreundlichen Strukturen mittlerweile Vergangenheit. Schon 1994 war das Wintergetreide in Sachsen-Anhalt auf den ersten Platz der angebauten Fruchtarten vorgerückt, gefolgt vom Winterraps: Westniveau erreicht! Gleichwohl hat der Wachtelbestand in unserem östlichen Nachbar-Bundesland durch die Ausweitung des Wintergetreideanbaus zugenommen, was George zu dem Fazit veranlasst, „dass die Wachtel wohl die einzige Brutvogelart ist, der der drastische Verlust an Vielfalt in der Agrarlandschaft Ostdeutschlands seit der Wiedervereinigung offensichtlich nicht geschadet hat”.
In Süd-Niedersachsen liegen die Dinge ähnlich. Auf den meisten Ackerbrachen und obligatorischen Stillegungsflächen wurde schon jahrelang vor deren Stornierung 2007 der für bodenbrütende Agrarvögel pessimale Energieraps angepflanzt. Mittlerweile wachsen auf ungefähr 80 Prozent der ackerbaulich genutzten Fläche Wintergetreide und –raps. Mais und Triticale rücken mächtig auf. Von allen aktuellen Anbaupflanzen weist nur das Wintergetreide ökologisch-strukturelle Komponenten geeigneter Wachtelhabitate auf. Dennoch haben auch in unserer Region die Beobachtungen insgesamt zugenommen.
Mehr als 90 Prozent (!) der regionalen Nachweise stammen von Winterweizen-, Wintergerste- oder Triticaleschlägen. Mit bis zu 11 rufenden Männchen/100 ha – wie 2008 in der Feldmark Sattenhausen oder 2001 in der Feldmark Geismar-Süd – sind solche Schläge in manchen Jahren für deutsche Verhältnisse dicht besiedelt. Wahrnehmungen in Erbsen- und Kartoffelfeldern oder Sonderkulturen, deren Flächenanteil jeweils unter einem Prozent liegt, fallen dagegen kaum ins Gewicht. Die artenreichen Blühstreifen des Rebhuhnschutzprojekts im Landkreis Göttingen werden (ausnahmsweise) nur dann genutzt, wenn sie an Getreideschläge grenzen. Sie sind in der Regel im Juni dicht bewachsen; besonders in den zweijährig gemähten Bereichen ist die Vegetation geradezu verfilzt.
Bereits im avifaunistischen Jahresbericht 2000 für die Region Göttingen und Northeim (Dörrie 2001) wurde das paradoxe Phänomen zunehmender Wachtelbeobachtungen bei gleichzeitiger Monotonisierung der Agrarlandschaft mit einem ähnlichen Fazit bedacht wie bei George (2004): „… es hat den Anschein, dass die Wachtelbestände nicht so stark von der agrarindustriellen Umgestaltung der Landschaft betroffen sind wie die des Rebhuhns“. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Sichtweise jedoch als ziemlich eindimensional: sie bedarf einer (selbst-)kritischen Korrektur.
Die folgenden Fotos zeigen einen ca. 15 Hektar großen Winterweizenschlag am Diemardener Berg südlich von Göttingen, in dem ab Ende Mai vier Männchen ihren Reviergesang hören ließen. Der Anblick ist durchaus nicht untypisch.
Angesichts dieser elegisch stimmenden Bilder ist die Frage angebracht, ob Wachteln in einem derart monotonen, nahezu steril anmutenden Lebensraum überhaupt in der Lage sind, sich erfolgreich zu reproduzieren. Können sie und ihr Nachwuchs sich zwischen den dicht stehenden Pflanzen bewegen? Und wenn ja, wie viele Insekten welcher Arten finden sie dort als Nahrung vor?
Ein weiteres Indiz für die faktische Unbewohnbarkeit solcher Flächen für bodenbrütende Feldvögel ab Ende Mai (wenn die meisten Wachteln eintreffen!) liefert die im Vergleich zur Wachtel kleinere und erheblich anpassungsfähigere Feldlerche Alauda arvensis. Sie nutzt die im zeitigen Frühjahr noch niedrig und lückenhaft stehende Vegetation bevorzugt für ihre Erstbruten. Nach deren Abschluss muss sie für die Zweitbruten auf Randstreifen oder Rübenfelder (soweit vorhanden) ausweichen. Zweitbruten im hoch und dicht stehenden Wintergetreide sind bei der Feldlerche die Ausnahme und allenfalls auf witterungs- oder bearbeitungsbedingten Störstellen möglich (Dörrie 2002b, Brunken 2007). Dies dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit auch auf die ab dem Spätwinter in mediterranen Getreideschlägen brütenden Wachteln zutreffen.
Im Unterschied zur Feldlerche versuchen diese jedoch, Folge- bzw. im Fall der geschlechtsreifen Jungvögel auch Erstbruten in Feldern vorzunehmen, die Tausende Kilometer vom Platz der Erstbrut oder dem Geburtsort entfernt liegen. Die potentiellen Bruthabitate sind aber wegen der jahreszeitlich fortgeschrittenen Vegetationsentwicklung kaum noch nutzbar und werden zudem bereits sechs bis acht Wochen nach dem Eintreffen der Vögel abgeerntet: das Zeitfenster für eine erfolgreiche Reproduktion ist zu klein. Verschärfend tritt hinzu, dass die Wachtel in der industriellen Agrarlandschaft (notgedrungen) auf Getreidefelder angewiesen ist und daher, anders als die Feldlerche, alternative Kulturpflanzen wie Zuckerrüben nicht nutzen kann. Zeugt all dies nicht vom Tappen in eine ökologische Falle?!
Reproduktion
Womit wir bei den Bruten wären. Um es kurz zu machen: Darüber ist aus unserer Region so gut wie nichts bekannt. Aus dem Jahr 1966 liegt ein historischer Gelegefund aus der Umgebung von Varlosen vor (Schelper 1966). Zwei weitere Hinweise könnten auf erfolgreiche Bruten gedeutet haben: 1994 apportierte eine Katze in Diemarden einen (von ihr erbeuteten?) Jungvogel (Dörrie 2002b). Im August 2001 lief ein (Familien?-)Verband von 10 Vögeln auf einem ökologisch bewirtschafteten Kartoffelfeld bei Ebergötzen vor dem Traktor her (Dörrie 2002a).
Ein ähnlich ernüchterndes Bild vermittelt die Maßstäbe setzende, für Deutschland bislang einzigartige Untersuchung von Flade et al. (2003) im Rahmen des Schorfheide-Chorin-Projekts in Brandenburg. Trotz aufwendiger Kartierung, Fang und der Besenderung von 30 Vögeln (28 Männchen, zwei Weibchen) konnten nur fünf Gelege von drei Weibchen (drei auf Stillegungsflächen und je eine auf einem abgefrorenen Getreide- und einem Erbsenfeld) dokumentiert werden. Zwei Bruten mit Schlupferfolg gingen durch Prädation verloren. Die anderen drei Gelege wären durch Ernte bzw. Mahd vernichtet worden, wenn die Biologen nicht eingeschritten wären. Ob auch nur eine einzige Brut positiv (mit flugfähigen Jungvögeln) verlief, musste letztlich offenbleiben.
Dieser düsteren Szenerie könnte indirekt entsprechen, dass in unserer Region mit vergleichsweise wenig Aufwand erfolgreiche Bruten des Rebhuhns Perdix perdix zu finden sind – obwohl unser zweiter autochthoner Agrarland-Hühnervogel in der Brutzeit deutlich schwerer auszumachen ist als balzende Wachtelhähne. Das Rebhuhn ist jedoch ein ausgeprägter Standvogel, dessen Bruterfolg wegen seiner Reviertreue bis in den Winter anhand der sogenannten „Ketten“ dokumentiert werden kann. Zudem ist es kein ausgewiesener Getreidebrüter, sondern bevorzugt reicher strukturierte Agrarflächen mit einem gewissen Grünlandanteil. Der Vergleich hinkt also.
Dennoch: Vieles deutet darauf hin, dass die einfliegenden Wachteln (vermutlich zumeist Männchen) zwar nach Kräften versuchen, sich zu verpaaren und im Einzelfall vielleicht auch brüten. Ihr Erfolg dürfte jedoch letztlich gegen Null tendieren.
Gefährdung und Schutzstatus
Auf eine Bestandserfassung der besonderen Art, die alljährlich im Mittelmeerraum und in Nordafrika Hunderttausende Wachteln in den Kochtöpfen enden lässt, kann hier aus Platzgründen nur kurz verwiesen werden. Immerhin gewähren gebietsweise die oben erwähnten bewässerten Agrarflächen den Vögeln mittlerweile mehr Schutz als die ursprünglich spärliche Vegetation in Küstennähe, wo in der Zugzeit kilometerweit praktisch jeder Busch mit Netzen zum Fang der Vögel überspannt ist. Wer sich für Einzelheiten des seit Olims Zeiten betriebenen Wachtelfangs am Mittelmeer interessiert, sei auf Goodman & Meininger (1989) verwiesen.
In der Europäischen Union fallen jedes Jahr ca. 2,5 Millionen Individuen einer anachronistischen Freizeitbeschäftigung zum Opfer, die von ihren Protagonisten als „nachhaltige Nutzung wildlebender Tierbestände” camoufliert wird (Hirschfeld & Heyd 2005). In Deutschland genießt die Wachtel, immerhin, seit längerem eine ganzjährige „Schonung”, gilt aber nach Bundesrecht prinzipiell als „jagdbar” (für alle Fälle).
Zu den oben beschriebenen Widrigkeiten, denen die Wachtel durch die „ordnungsgemäße” Landwirtschaft ausgesetzt ist, hat sich seit kurzem eine Novität gesellt, die in ihren verheerenden Auswirkungen auf Agrarbrüter alles bisher dagewesene in den Schatten stellen dürfte: das sogenannte „Zweikulturen-Nutzungssystem” als brutalstmögliche Produktionsform nachwachsender Rohstoffe (Biogas, Bioethanol etc.). Es funktioniert folgendermaßen: Zunächst wird auf einer Fläche Getreide (in der Regel Roggen) eingesät, der bereits ab Ende Mai als „Grünroggen” abgeerntet und siliert wird. Nach einer zwei- bis dreitägigen Pause erfolgt eine zweite Ansaat, in der Regel Mais. Er wandert im Herbst in die Anlage. Das „Zweikulturen-Nutzungssystem“ verursacht das komplette Scheitern aller Bruten von Agrarvögeln. Allenfalls die Feldlerche könnte theoretisch, wenn sie sich sehr beeilt, die Erstbrut hochbringen, alle anderen Gelege und Jungvögel von später brütenden Arten (zu denen auch die Wachtel zählt), werden buchstäblich geschreddert. Der Landkreis Göttingen hat jüngst den Bau einer Biogasanlage mit „Zweikulturen-Nutzungssystem” auf knapp 200 Hektar Fläche bei Duderstadt genehmigt. Einwendungen von Naturschützern im Rahmen der Verbandsbeteiligung wurden mit dem Verweis auf die „ordnungsgemäße” Landwirtschaft und die allenfalls sehr lokale Gefährdung von Feldbrütern abgeschmettert. Das nächste Bauvorhaben dieser Art mit wiederum nur lokalen Auswirkungen (weil nach der sattsam bekannten Salami-Methode jede Anlage separat bewertet wird) dürfte nicht lange auf sich warten lassen…
Das in Tabelle 2 dargestellte Auftreten von Wachteln, mit auffallend wenigen Nachweisen aus dem April und (aus der Tabelle nicht unmittelbar ersichtlich, aber mit den Daten belegbar) der ersten Maihälfte, könnte ein Beleg dafür sein, dass sich der Bestand „heimischer” weitziehender Brutvögel immer noch auf einem historisch niedrigen Niveau bewegt. Die signifikante Zunahme von Nachweisen südlicher Gäste kaschiert diesen Umstand lediglich. Insofern ist die Entlassung der Wachtel aus der Roten Liste der gefährdeten Brutvogelarten Deutschlands (Bauer et al. 2002) durchaus kritisch zu sehen. In der niedersächsischen Roten Liste wird sie dagegen mit größerer Berechtigung in Kategorie 3 („im Bestand gefährdet”) geführt (Krüger & Oltmanns 2007).
Resümee und zukünftige Aufgaben
Aus dem bisher gesagten wird ersichtlich, dass die (vermeintliche) Erfolgsgeschichte der Wachtel vielleicht gar keine ist. Ob und wie die Vögel mit den Rahmenbedingungen der industriellen Landwirtschaft klarkommen, ist bestenfalls ungewiss. Die zweifellos gegebene Zunahme balzender Männchen (über die Weibchen ist so gut wie nichts bekannt!) beruht in hohem Maße, wenn nicht ausschließlich, auf zuwandernden Vögeln aus dem Mittelmeerraum und Nordafrika. Teilen diese Wachteln das Schicksal anderer südlicher Invasionsarten, die hier landen und wieder verschwinden, ohne sich fortpflanzen zu können? Obwohl einiges dafür spricht, steht eine schlüssige, auf belastbare Daten gestützte Antwort aus.
Um so notwendiger ist es, die Dynamik des Auftretens weiterhin zu dokumentieren und, wenn möglich, den einen oder anderen Brutnachweis zu erbringen. Nach wie vor bestehen in unserer Region räumliche Erfassungslücken, vor allem auf den Agrarflächen westlich der Leine. Bei so manchen „Rebhühnern”, deren Jäger und Landwirte auf ihren Patrouillen und Arbeitsfahrten in Feldmarken ansichtig werden, in denen jahrzehntelang kein Rebhuhn mehr gesehen wurde, dürfte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Wachteln gehandelt haben.
Bedauerlicherweise meiden viele Feldornithologen die Agrarlandschaft und ziehen die artenreicheren Feuchtgebiete vor. Letztere sind aber durch den gleichnamigen Hämorrhoiden-Porno von Charlotte Roche ein wenig in Verruf geraten – vielleicht ist dies ja eine zusätzliche Motivation, sich auf den Acker zu machen und der rätselhaften Wachtel nachzuspüren…
H. H. Dörrie
Der Verfasser dankt Mischa Drüner, Silvio Paul, Martin Schuck, Mathias Siebner und Andreas Stumpner, die Beobachtungsmaterial aus dem Jahr 2008 zur Verfügung stellten sowie Ole Krome für seine Wachtelfotos. Die Wachtelhabitat-Fotos von Nikola Vagt können den leicht depressiven Grundton dieses Vogelporträts naturgemäß nicht aufhellen – dies ändert aber nichts an meiner Verbundenheit ihr gegenüber. G. Brunken führte in diesem Jahr im 130 km² großen EU-Vogelschutzgebiet V 19 (Unteres Eichsfeld) eine Bestandserfassung des Rotmilans und anderer Kulturlandarten durch. Ohne seine aussagekräftigen, zudem großflächig gewonnenen Daten wären die Auswertung des Einflugs 2008 und auch diese kleine Abhandlung nicht zu realisieren gewesen…
Literatur
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