Heimzug und Brutzeit 2010 – wer besteht den Härtetest?

Nach einem extrem harten und langen Winter wartete das Wetter mit weiteren Kapriolen auf. Während der April warm und viel zu trocken war, lag die durchschnittliche Maitemperatur in Göttingen um 1,5°C unter dem langjährigen Mittel. Die erste Hälfte des Wonnemonats fiel sogar noch kühler aus und war zudem von überdurchschnittlich hohen Niederschlägen und einem außergewöhnlichen Defizit an Sonnentagen geprägt. Bundesweit war der Mai 2010 der kälteste seit 1991 und einer der kältesten seit Beginn systematischer Wetteraufzeichnungen. Der Juni hingegen zeigte sich bis dato, die übliche Schafskälte eingeschlossen, von einer etwas wärmeren Seite.
Der Erfolg vieler Singvogelarten tendierte im Mai bei den Erstbruten gegen Null. In den meisten von hungrigem Nachwuchs bevölkerten Nistkästen herrschte nach und nach Totenstille. Das lag weniger, wie vom BUND am 10.5. in einer Pressemitteilung in die Welt gesetzt, an der Dünnwandigkeit von Billigkästen aus dem Baumarkt, sondern vielmehr am kältebedingten Insektenmangel, der zum Verhungern zahlloser Jungvögel führte.

Braun tut gut!

Mit Ausnahme der Fans des Hamburger FC St. Pauli wird dieses Motto wohl bei allen spontane Empörung auslösen, denn es ist in zweierlei Hinsicht ziemlich anrüchig. Aus der Sicht sachkundiger Ökologen und Vogelkundler fallen jedoch alle negativen Konnotationen schnell in sich zusammen: Braungelbe Flecken zeigen im stickstoffsatten Einheitsgrün der Normallandschaft Nährstoffarmut und geringen Bewuchs an. Solche „Störstellen“ oder „Sonderstandorte“ üben, nicht zuletzt wegen ihrer zunehmenden Seltenheit, eine magnetische Anziehungskraft auf wärmeliebende Brutvögel und rastbedürftige Zugvögel aus. Wenn flache Gewässer und Schlammbänke hinzukommen, ist die – in der Regel kurzlebige – Idylle perfekt. An zwei ehemaligen Tongruben am südlichen Göttinger Stadtrand zwischen der Bahntrasse und der Siekhöhenallee ist genau das eingetreten. Nach der kompletten Verfüllung der westlichen Tongrube (2008 noch Brutplatz des regional seltenen Zwergtauchers) im Herbst 2009, nahm man im Frühjahr 2010 die Verfüllung der östlichen zügig in Angriff. Dabei ergoss sich das abgepumpte Wasser teilweise in den westlichen Bereich; Regenfälle und steigender Grundwasserpegel taten ein übriges. Binnen kurzem entstand auf ca. 2,5 Hektar ein attraktives Brut-, Rast- und Beobachtungsgebiet, dessen ungepflegt und wüst wirkendes Erscheinungsbild den Normalbürger, mit Hund oder ohne, eher abschreckte und das deshalb nur wenigen unmittelbaren Störungen ausgesetzt war.

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Abb. 1: Ehemalige westliche Tongrube Siekgraben. Lebensfeindliche Einöde? Von wegen! Foto: M. Siebner

Wenn im folgenden bei einigen Vogelarten die Ortsangabe „Siekgraben“ auftaucht, ist damit das oben abgebildete Gebiet gemeint.

Für unsere Region bemerkenswert sind eine an der Geschiebesperre Hollenstedt übersommernde Tundra-Saatgans sowie zwei Blässgänse, die bis weit in den Juni zwischen dem Seeburger See und der Geschiebesperre Hollenstedt pendelten und möglicherweise dort noch präsent sind. Ortsfeste Übersommerungen dieser beiden nordischen Gastvogelarten hat es bei uns zuvor nicht gegeben. Eine der beiden Blässgänse ist gehbehindert, aber voll flugfähig, so dass ein unfreiwilliges Verweilen eher unwahrscheinlich ist.

Am Göttinger Kiessee verdreifachte sich der Brutbestand der Graugans von zwei auf sechs Paare, die kolonieartig auf der kleinen „Vogelschutzinsel“ brüteten. Mit insgesamt 13 Jungvögeln (aus einer Brut wurden fünf Junggänse selbständig, aus den fünf anderen jeweils nur ein bis zwei), hielt sich ihr Erfolg jedoch in Grenzen. Am Levin-Park konnte sich erstmals ein Paar reproduzieren und brachte fünf Junge zum Ausfliegen. Zunahme und Bruterfolg basieren in beiden Gebieten auf der Erfolglosigkeit der ansässigen Höckerschwäne, die sich entsprechend friedlich verhielten.

Wie in den beiden vergangenen Jahren wurde der Erholungswert des Levin-Parks vom penetranten Tröten des gefiederten Pendants zur südafrikanischen Fußballfanfare „Vuvuzela“, der Nilgans, beeinträchtigt. Die lärmenden Neubürger brachten wiederum vier Junge (von ursprünglich sechs) zum Ausfliegen. Ein weiteres Paar unternahm in einem Mäusebussardnest im Pappelwäldchen zwischen dem Kiessee und dem Rosdorfer Kreisel einen rasch wieder abgebrochenen Brutversuch.

Am 3.4. wurde im Leinepolder Salzderhelden eine männliche Mandarinente gesehen. Vielleicht derselbe Vogel hielt sich Mitte April für ein paar Tage im Levin-Park auf und nährte natürlich sofort die Hoffnung, dass er sich dort als Nachfolger des von einigen Lokalavifaunisten schmerzlich vermissten Maskottchens „Cheech“ vom Kiessee etabliert. Leider war dies nicht der Fall. Knäkenten erreichten am 3.4. im Leinepolder Salzderhelden mit 38 Ind. ein zeit- und gebietstypisches Maximum. Am 22.3. verstopften 221 Pfeifenten die Geschiebesperre Hollenstedt. Am 21.3. dümpelten zwei Kolbenenten-Paare auf dem wieder eisfreien Seeburger See.

Leichte Irritation löste am 29.3. anfänglich ein männlicher Hybrid Moor- x Tafelente an der Geschiebesperre Hollenstedt aus.

Die aktuelle Übersommerung eines mausernden Eiderenten-Erpels im 2. Kalenderjahr an den Northeimer Kiesteichen ist keineswegs singulär: Von November 1997 bis Mai 2002 musste sich ein Weibchen dieser Meeresentenart gezwungenermaßen mit dem Northeimer Freizeitsee anstelle der Nord- oder Ostseeküste begnügen. Der bedauernswerte Vogel war nach einem Flügelbruch flugunfähig. Der Erpel hingegen macht einen fitteren Eindruck.

Bemerkenswert ist auch ein Schellenten-Erpel, der an der Geschiebesperre Hollenstedt übersommert.

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Abb. 2: Eiderenten-Erpel an den Northeimer Kiesteichen. Foto: V. Hesse

2010 scheint ein schlechtes Jahr für die Wachtel zu sein. In Gebieten, die gezielt auf ihr Vorkommen abgehört wurden, fehlte sie oder wurde nur mit ein bis zwei Individuen wahrgenommen, so z.B. in der Feldmark zwischen Ebergötzen und Landolfshausen oder im Sattenhäuser Becken. In der Feldmark Geismar-Süd und am Diemardener Berg rufen aktuell bis zu drei M., die ebenfalls einen unterdurchschnittlichen Bestand indizieren.

An der Kiesgrube Ballertasche im Wesertal zeigten zwei Zwergtaucher-Paare das einzige Brutvorkommen in der Region an. 31 Ind. rasteten am 6.4. mit einem typischen Maximum an einem typischen Datum auf dem Seeburger See. Ein Einzelvogel trillerte am 22.5. an den Husumer Teichen sehnsuchtsvoll vor sich hin.

Am Göttinger Kiessee konnte sich bislang keines der drei Haubentaucher-Paare reproduzieren. Alle Bruten wurden aufgegeben, weil der Wasserstand des Sees wegen Ausbaggerungsarbeiten am Flüthewehr stark schwankte. Ein Paar an der Insel hatte zu allem Überfluss Probleme mit bräsigen Rotwangen-Schildkröten, die sich auf seinem Nest zum Sonnen breit machten…

Beobachtungen des Rothalstauchers werden in unserer Region aus ungeklärten Gründen immer seltener. Deshalb ist ein Vogel vom 29.3. vom Seeburger See eine besondere Erwähnung wert.

Von den Niederlanden über Deutschland bis Dänemark hat der Brutbestand des Löfflers an der Wattenmeerküste und auf den vorgelagerten Inseln stark zugenommen. Das dürfte der Hauptgrund sein, warum der Schopfreiher in Süd-Niedersachsen allmählich von der Rarität zur alljährlichen Erscheinung mutiert. Am 21.4. konnte ein Ind. an der Geschiebesperre Hollenstedt von B. Riedel für naturgucker.de fotografisch belegt werden. Am Seeanger hielten sich zwei Vögel am 25.5. nur kurz auf.

Während sich die überwinternden bzw. auf dem Heimzug rastenden Silberreiher in den vergangenen Jahren zumeist bis zur dritten Maidekade wieder verabschiedet hatten, bahnt sich im Leinepolder Salzderhelden die aktuelle Übersommerung eines Einzelvogels an. Übersommerungen sind bei einigen Großvogelarten nicht selten Vorläufer von Brutansiedlungen. Gleichwohl ist übertriebener Optimismus nicht angebracht, weil es erstaunlicherweise noch keinen deutschen Brutnachweis dieses in vielen Gegenden zur Normalität gewordenen Reihers gibt – warum also ausgerechnet im Leinepolder? Oder etwa (bald) doch?

Für die kleine, seit zehn Jahren bestehende Graureiher-Kolonie am Göttinger Hagenberg verlief die Brutsaison 2010 ziemlich desaströs. Zum einen waren, vermutlich als Folge des harten Winters mit entsprechenden Verlusten, nur ca. sechs Nester (von normalerweise neun bis zehn) beflogen. Zum anderen stellte sich Ende Mai heraus, dass nur in einem Nest Jungvögel saßen, die sich durch Bettelrufe bemerkbar machten. Ob sie zum Ausfliegen kamen ist ungewiss. Zwei Paare wagten einen Neubeginn ca. 300 m westlich der Kolonie, der ebenfalls im Misserfolg endete. Ein cleveres Paar ist auf die Insel im größeren der beiden Teiche im Levin-Park ausgewichen und brütet dort seit Anfang Juni auf der großen Weide in einem „Mistelnest“ – mitten in der Stadt. Als Hauptursache für das weitgehende Scheitern kann, neben der ungünstigen Witterung, Prädation angenommen werden, wobei sich der Waschbär als Hauptverdächtiger förmlich aufdrängt. Allerdings haben sich die dreisten Neubürger mit Banditenmaske bislang nur selten an Nester gewagt, die, wie am Hagenberg, in hohen Altfichten errichtet wurden. Die genauen Gründe für das Scheitern müssen daher offen bleiben. An den Thiershäuser Teichen bei Gillersheim wurden an einem zwischenzeitlich aufgegebenen Koloniestandort wieder fünf beflogene Nester gezählt, dafür am Ableger dieser Kolonie in der Rhumeaue bei Bilshausen nur noch zwei.

Am 11.5. beehrte ein Seidenreiher im Hochzeitskleid den Siekgraben. Bei dem zwei Tage später an der Geschiebesperre Hollenstedt fotografierten Vogel dürfte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um dasselbe Individuum mit Zugprolongation nach Norden gehandelt haben.

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Abb. 3: Seidenreiher an der Geschiebesperre Hollenstedt. Foto: H.-J. Thorns

Mit einem Schornstein-Brutpaar in Langenholtensen ist die Zahl der Weißstorch-Brutpaare in der Region auf fünf gestiegen, die vier anderen brüten in Gieboldehausen, am Seeanger, in Seeburg und im Leinepolder Salzderhelden.

Man darf gespannt sein, ob es einem am Seeburger See und an den Northeimer Kiesteichen übersommernden Fischadler so gut gefällt, dass er, aber nur ganz vielleicht, nächstes Jahr wiederkommt, möglicherweise einen Partner und einen geeigneten Baum oder Strommast findet, und dann…

Am 28.4. zog eine männliche Wiesenweihe über die ehemalige Bauschuttdeponie Gö.-Geismar. Revierbesetzungen brutverdächtiger Rohrweihen liegen aus der Rhumeaue und dem Leinepolder Salzderhelden vor, aber nicht vom Seeburger See, wo die Art schon seit mehr als fünf Jahren nicht mehr gebrütet hat.

Der Brutbestand des Rotmilans im Landkreis Göttingen ist im stetigen und dramatischen Rückgang begriffen, nicht nur im extra für ihn ausgewiesenen EU-Vogelschutzgebiet V 19, „Unteres Eichsfeld“ – das Vogelschutzgebiet könnte man ebenfalls in Anführungszeichen setzen, weil es faktisch nur auf geduldigem Papier existiert! -, sondern auch westlich der Leine. Näheres dazu in einem Spezialbeitrag, der demnächst auf dieser Homepage erscheint.

Wie die Population unseres Wappenvogels mit höchster Schutzpriorität bewegt sich auch die des Mäusebussards im Sinkflug. Bei allen Begehungen und Exkursionen in den Wäldern und im offenen Kulturland wurden Zahlen ermittelt, die einen Bestandsrückgang von mehr als 50 Prozent anzeigen. Verluste durch die letzten beiden Winter allein können den negativen Trend, der sich schon seit einiger Zeit bemerkbar macht, nicht verursacht haben, erst recht nicht der viel strapazierte Klimawandel. Vielmehr belegt ein realistischer Blick auf unsere Normallandschaft, dass die immer intensivere Landnutzung mit riesigen Mais-, Raps- und Wintergetreideschlägen zum Bestandsrückgang vieler Vogelarten führt, selbst wenn diese so robust und anpassungsfähig erscheinen wie der Mäusebussard. Und überhaupt: Warum sollte es dem Mäusebussard anders ergehen als dem Rotmilan, mit dem er Lebensraum und Beutespektrum teilt?
Interessanter- und auch bezeichnenderweise kommen Mäusebussarde, die in Stadtnähe brüten, etwas besser zurecht. Das traditionelle Paar an der Göttinger Stegemühle hatte mit mindestens zwei flüggen Jungvögeln schon Anfang Juni Bruterfolg. Im viel besuchten städtischen Levin-Park balzte und kopulierte ein äußerst „zutrauliches“ nestbauendes Paar, das aber in letzter Zeit dort nicht mehr gesehen wurde und möglicherweise (wieder) in die Baumreihe an der nahen Glunz-Brache umgezogen ist, wo eine Brut 2008 erfolgreich verlief. Verstädterung aus Verzweiflung oder als findiges Nutzen günstiger Umstände? Seit dem Mittelalter wissen die Menschen, dass es sich in der freien Stadtluft besser leben lässt als in der ländlichen Idiotie. Keimt diese Erkenntnis jetzt auch beim Mäusebussard?

Am 8.6. flog ein weiblicher Rotfußfalke über das Gelände der Göttinger Uni-Nordmensa.

Das Göttinger Wanderfalken-Brutpaar musste wegen der Einrüstung des Kirchturms von St. Jacobi für Sanierungsarbeiten nach St. Johannis umziehen, wo ein weiterer Nistkasten bereitsteht. Immerhin zwei Jungfalken kamen in der für die Altvögel ungewohnten Umgebung zum Ausfliegen.

Im Leinepolder Salzderhelden übersommert eine kleine Bande halbstarker Kraniche, unter ihnen ein Pubertant mit einer rotweißen Doppelring-Markierung, die ihm am 8.7.2009 im estnischen Üdrüma verpasst wurde. Seine Herkunft ist insofern interessant, weil nach bisherigen Erkenntnissen hier in erster Linie Kraniche aus Skandinavien durchziehen und rasten. Ein Anfang März im Leinepolder Salzderhelden abgelesenes adultes M. aus einem norwegisch-schwedischen Beringungsprojekt hat das noch einmal untermauert.

Am 23.3. rastete eine Großtrappe in der Feldmark zwischen Diemarden und Reinhausen. Der wenig scheue (unberingte?) Vogel konnte in Waldrandnähe fotografiert werden. Damit liegt für 2010 der sechste Nachweis dieses imposanten Schwergewichts vor. Wem es nicht zu peinlich ist, kann sich damit brüsten, dass Süd-Niedersachsen in diesem Winter Deutschlands trappenreichste Region westlich der Elbe war…

Abb. 4: Belegfoto der Großtrappe bei Reinhausen. Foto: B. Schmidt

Trotz der heftigen Überschwemmungen in Polen kam es bislang zu keinem nennenswerten Einflug des Wachtelkönigs. Im Gegenteil: Der Bestand im Leinepolder Salzderhelden beträgt aktuell weniger als zehn rufende M. Einzelvögel machten sich am 8.6. in der Feldmark Reinshof und am 15.6. in der Feldmark Geismar-Süd akustisch bemerkbar.

Ebenso düster wie für den Wiesenknarrer sieht es im Leinepolder für das Tüpfelsumpfhuhn aus, obwohl weite Flächen für beide Arten optimal sind.

Der Göttinger Brutbestand des Teichhuhns weist bereits seit einiger Zeit einen negativen Trend auf und bewegt sich, durch Winterverluste weiter dezimiert, momentan auf einem äußerst niedrigen Niveau. 2010 brüten nicht mehr als fünf bis sechs Paare, die sich auf den Kiessee, den Levin-Park und den Pfingstanger verteilen. Die Brutplätze an der Leine am südlichen Stadtrand sind allesamt verwaist und selbständig gewordene Jungvögel bis dato absolute Mangelware.

Ein Austernfischer fiel am 4.6. an der Geschiebesperre Hollenstedt jahreszeitlich etwas aus dem Rahmen. Am Siekgraben rastete am 7.5. ein Kiebitzregenpfeifer im 2. Kalenderjahr, adult und im Prachtkleid waren gleich zwei Ind. einen Tag später ebenda. Am 8.5. hielt sich auch ein Ind. an der Geschiebesperre Hollenstedt auf.

Nur eine einzige erfolgreiche Kiebitzbrut ist bis dato bekannt geworden, und zwar aus der Feldmark Wollbrandshausen.

Am Siekgraben balzten bis zu drei Paare des Flussregenpfeifers. Am 21.5. geriet ein zwei bis drei Tage alter Jungvogel vor die Kamera, der aber später nicht mehr aufzufinden war. Weitere Bruten zumindest mit Schlupferfolg konnten bislang nicht registriert werden. Der in den letzten beiden Jahren besetzte Brutplatz an der Glunz-Brache in Gö.-Grone war 2010 verlassen. Birkenaufwuchs in Kombination mit regen Planierarbeiten hat ihn für die Art unbrauchbar gemacht. Ob das W. eines Paares an der Kiesgrube Reinshof überhaupt zur Eiablage schreiten konnte, ist fraglich. Dies trifft auch auf die beiden Paare an der Kiesgrube Ballertasche im Wesertal zu. Die Brutzeit 2010 verläuft für die Regenpfeifer alles andere als ersprießlich.

Im April zogen drei Regenbrachvögel über die Region, die sich auf den Seeburger See, die Geschiebesperre Hollenstedt und den Leinepolder Salzderhelden verteilten.
Ein unverzichtbares Habitatrequisit für Waldschnepfen in Fortpflanzungsstimmung sind Offenflächen und Schneisen, an denen die Männchen ihre pittoresken Balzflüge zelebrieren. Im Lutterberger Forst/Kaufunger Wald können sich vier M. über eine 27 Hektar große Windwurffläche freuen und richtig zur Sache kommen. Anderswo ist ihnen das verwehrt, weil der Wald zu dunkel und die (wenigen) Offenstellen zu klein sind. Deshalb ist diese Limikolenart im Landkreis Göttingen als Brutvogel vom Aussterben bedroht. Abseits des Kaufunger Walds liegen nur zwei Brutzeitbeobachtungen nahe der Burg Plesse und vom Husumer Tal vor.

Auffliegende Zwergschnepfen traten zu dritt am 22.3. an der Geschiebesperre Hollenstedt und einzeln am 8.4. am Stockhäuser Bruch und am 17.4. am Siekgraben in Erscheinung. Vom 14. bis 17.5. hielt sich ein Knutt an der Geschiebesperre Hollenstedt auf, desgleichen ein Sanderling Anfang Mai für einige Tage am Northeimer Freizeitsee.
Am 21.5. wurde am Siekgraben das Maximum von neun Temminckstrandläufern gezählt, für die das Gebiet ein ideales Rasthabitat bereithielt. Drei Alpenstrandläufer im Prachtkleid verliehen dem neuen Hotspot am 17.5. gebührenden Glanz.

58 Zwergmöwen zeigten am 27.4. am Seeburger See ein passables Heimzug-Maximum an. Drei Schwarzkopfmöwen beehrten dasselbe Gewässer am 27.3., am 27.4. waren sie dort zu zweit.

Die ortsfeste Seeburger Mittelmeermöwe „Michaela“ mausert unverdrossen vor sich hin. Davon konnte sich, neben ihren menschlichen Bewunderern, am 19.5. und 29.5. je ein Artgenosse im 2. Kalenderjahr überzeugen, ein ebenfalls zweijähriger Vogel am 12.6. dagegen nicht, weil er an den Northeimer Kiesteichen zu Wasser ging. Eine Steppenmöwe im 2. Kalenderjahr lieferte am 25.4. am Göttinger Kiessee den zweiten Nachweis für das Stadtgebiet, einen Tag später hielt sich ein dreijähriges Ind. am Seeburger See auf. Drei Heringsmöwen legten dort am 20.3. eine Heimzug-Pause ein.

Es riecht schon sehr nach Rasttradition, denn an einer rapiden Bestandszunahme wie beim Löffler kann das nunmehr alljährliche Auftreten von Raubseeschwalben nicht liegen. Je zwei Ind. hielten sich am 30.4. am Seeburger See bzw. am Seeanger auf. Die beiden Vögel vom 11.5. pendelten zudem sehr ortskundig zwischen See und Anger.

Einzelne Weißflügel-Seeschwalben beeindruckten am 10.5. am Seeburger See und am 22.5. am Seeanger die Beobachter.

Im Vergleich zu früheren Jahren trat die Küstenseeschwalbe mit nur einem Nachweis vom 25.4. am Seeburger See äußerst spärlich auf. Die vermeintliche Seltenheit ist aber, wie so oft in der Feldornithologie, ein Artefakt, denn man wird nie wissen, wie viele von ihnen das Gebiet in großer Höhe bei „schönem“ Wetter überflogen haben.

Eine Flussseeschwalbe ließ sich am 9.5. ebenda blicken, zwei Ind. waren es am 10.6.

In der Region wurden im Mai ganze drei Turteltauben notiert (Reinhäuser Wald, Lutterberger Forst und bei Bühren). Die Zukunft dieser Lichtwaldart ist in der Region ähnlich düster wie die der Waldschnepfe, weil beide Arten ähnliche Habitate besiedeln.

Das aus dem Vorjahr bekannte Brutpaar des Sperlingskauzes im Reinhäuser Wald hatte wieder dieselbe Bunt- oder Mittelspechthöhle bezogen. Die Brut scheiterte jedoch, worauf die Vögel in eine andere, noch kleinere Höhle ein paar Bäume weiter umzogen.

Recht bemerkenswert sind, nach dem harten Winter, gleich sechs erfolgreiche Bruten der Waldohreule. Zudem fiel der Erfolg recht gut aus. Je fünf flügge Jungeulen wurden aus der Kiesseestraße und vom Menzelberg in Gö.-Roringen bekannt, vier waren es in Diemarden. Für die anderen Bruten, die aus Bösinghausen, Mariaspring bei Bovenden und von der Plesse gemeldet wurden, liegt keine genaue Nachwuchszahl vor. Interessant ist, dass sich die Eulen fast alle im Siedlungsbereich bzw. in dessen Peripherie fortpflanzten. Dort gab es offenkundig ein gutes Mäuseangebot. An den Offenflächen im Göttinger Wald (Kerstlingeröder Feld und Sengersfeld) scheinen sie dagegen in dieser Brutsaison zu fehlen.

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Abb. 5: Junge Waldohreulen an der Kiesseestraße. Die „Baby-Vuvuzelas“ nervten im durchdringenden Diskant die Anwohner und erfreuten mit ihrer drolligen Anmut die Vogelbeobachter. Foto: M. Siebner

Am 21.3. zeigte ein flügger junger Waldkauz im Göttinger Ostviertel nahe der Ludwig-Beck-Str. wiederum die sehr frühe Brut eines robusten Paares an, bei dem es sich um dasselbe gehandelt haben könnte, das sich bereits im kalten Winter des Vorjahrs dort fortpflanzen konnte.

Am 14.4. flog eine Sumpfohreule über dem Seeanger umher. Da waren ihre Artgenossen, die am nahen Steinberg überwintert hatten, schon seit mehr als fünf Wochen in Richtung Heimat verschwunden.

Das traditionelle Uhu-Paar im Reinhäuser Wald kann sich über (mindestens) zwei Junge freuen, obwohl in der Brutwand beständig Waschbären auf der Lauer lagen. Doch dürfte kaum jemand von ihnen so kühn gewesen sein, sich mit einem Uhu anzulegen…

Aus regionaler Sicht ist die Meldung eines Alpenseglers am 3.5. aus dem Leinepolder Salzderhelden singulär. Leider bekamen herbeigeeilte Beobachter den Seltling nicht (mehr) zu Gesicht. Am 8.5. gelangte über dem Göttinger Kiessee eine fliegende Zigarre der Qualitätsstufe „Fehlfarben“ ins Blickfeld des erstplazierten Birdrace-Teams der „Leinehänflinge“. Der so umschriebene Mauersegler zeigte einen sehr hellen Bauch und Bürzel. Die Farbverteilung war allerdings asymmetrisch, so dass die anfängliche Erregung bald der Ernüchterung wich…

Das einzige Eisvogel-Brutpaar weit und breit konnte an der Hahle bei Mingerode die Erstbrut erfolgreich abschließen. Derweil leidet halb Göttingen mit dem einsamen Männchen an der Leine südlich des Kiessees, das bis dato immer noch kein Weibchen gefunden hat.

Wiedehopfe wurden am 8.4. in der Feldmark Geismar-Süd und am 3.5. an der Leine südlich des Flüthewehrs bestaunt.

Auf dem Kerstlingeröder Feld hat der als regionaler Brutvogel fast ausgestorbene Wendehals wieder zwei Reviere besetzt. Neben vier auf dem Heimzug rastenden Einzelvögeln ist ein Wendehals erwähnenswert, der sich Ende April in Gö.-Elliehausen in ein Kleingewächshaus verflogen hatte. Nach Angaben des Besitzers kommt so etwas nicht selten vor, doch finden die Vögel (in der Mehrzahl Amseln und Meisen) in der Regel von selbst wieder hinaus oder können durch behutsames Scheuchen ins Freie geleitet werden. Bei dem ver(w)irrten Wendehals half alles nichts: Er fand partout nicht den Ausgang. Daraufhin wurde er gegriffen und hinausexpediert. Dort allerdings machte er sich schnell davon. Irgendwie passt das zu diesem seltsamen Vogel.

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Abb. 6: Wendehals auf dem Kerstlingeröder Feld. Foto: M. Siebner

Am 5.5. sang am Göttinger Kiessee ein Pirol. Eine Neuntöter-Erfassung erbrachte am 10.6. auf dem Kerstlingeröder Feld 12 revieranzeigende M., die einen durchschnittlichen Bestand anzeigen. Insgesamt geht es der Art bei uns momentan recht gut, denn es wurden aus vielen Gebieten Vorkommen gemeldet.

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Abb. 7: Neuntöter-M. an der ehem. Bauschuttdeponie Gö.-Geismar. Foto: M. Siebner

Interessant und erfreulich zugleich ist die Ansiedlung eines erfolgreichen Dohlen-Paars an der Seeburger Kirche. Auch der Brutplatz an der Kirche in Rüdershausen ist wieder besetzt. In Duderstadt wurden dagegen keine Bruten festgestellt. Interessant ist auch eine Brutzeitbeobachtung im altholzreichen Schlosspark von Gieboldehausen.

Vom Denkershäuser Teich liegt ein Brutnachweis der Beutelmeise mit drei Jungvögeln vor. Diese verstärkt seit den 1980er Jahren eingewanderte Art ist abseits ihrer Hochburg an den Northeimer Kiesteichen sehr selten geworden.

Im engeren Göttinger Siedlungsbereich ist die Tannenmeise in diesem Frühjahr nachgerade eine Rarität. Auch in den Wäldern scheint es – allein aufgrund des harten Winters? – einen Bestandseinbruch gegeben zu haben.

Die regionalen Kolonien der Uferschwalbe an der Sandgrube Meensen und an den Northeimer Kiesteichen sind von ca. 12 bzw. ca. 25 Paaren besetzt.

Am Denkershäuser Teich hielten sich vom Herbst 2009 bis Mitte April 2010 zwei Bartmeisen auf und trotzten dem harten Winter. Eine Brut in den Folgemonaten kann nicht ausgeschlossen werden, ist aber schwer zu dokumentieren, weil sich die Vögel in dieser Lebensphase recht heimlich und vor allem stumm verhalten können. Zwei Ind. am 8.4. am Stockhäuser Bruch waren vermutlich schnell wieder verschwunden.

Uneinheitlich sind die Göttinger Angaben zur Schwanzmeise. Im Kiessee-Leinegebiet und in der Leineaue bis zum Hagenberg/Levin-Park konnten ab Ende Mai insgesamt nur drei Familienverbände notiert werden, was auf hohe Winterverluste deutet. Im Ostviertel scheint es hingegen etwas besser auszusehen.

Schlagschwirle sangen am 6.5. am Seeburger See, am 8.5. am Seeanger exklusiv für das Birdrace-Team der „Leinehänflinge“ und am 25.5. in der Rhumeaue bei Bilshausen. Der in Niedersachsen als Brutvogel seltene Rohrschwirl scheint sich im Leinepolder Salzderhelden (2 Rev.) dauerhaft etabliert zu haben. Am 24.4. lieferte ein Ind. den dritten Lokalnachweis für die Kiesgrube Reinshof südlich von Göttingen. Gesangsreviere des Schilfrohrsängers wurden von Ende Mai bis Mitte Juni am Denkershäuser Teich (1), in der Rhumeaue bei Lindau (2) und im Leinepolder Salzderhelden (1, vermutlich aber mehr) registriert. Wie in einigen Vorjahren waren auch 2010 am Seeburger See ein bis zwei Gesangsreviere des Drosselrohrsängers besetzt. Ein Ind. am 22.5. in der Rhumeaue bei Lindau dürfte sich noch auf dem (späten) Heimzug befunden haben.

Winter- und Sommergoldhähnchen haben ebenfalls Verluste erlitten, vor allem in ausgedehnten Waldgebieten. Auf dem Göttinger Stadtfriedhof sind beide Arten aber wieder recht gut vertreten.

Sommer mit Schnake - M. Kühn
Abb. 8: Sommergoldhähnchen verfüttern, im Vergleich zum Wintergoldhähnchen, in der Regel größere Beutetiere. Das stellt dieser Winzling mit einer großen Schnake im Schnabel nachdrücklich unter Beweis. Foto: W. Kühn

Seidenschwänze wurden in unbekannter Zahl am 30.3. im Göttinger Levin-Park vernommen. Weitere Wahrnehmungen liegen für den Berichtszeitraum nicht vor. Der extrem kalte Winter 2010 war bei uns der „schlechteste“ seit über zehn Jahren für diese Nordlichter, die in Göttingen über eine traditionelle Winterhochburg verfügen.

Der auch überregional beklagte Bestandsrückgang des Zaunkönigs kann für zwei Gebiete, die Wendebachaue zwischen der B 27 und Reinhausen und das Glasebachtal bei Laubach an der Werra, aussagekräftig auf jeweils 50 bis 60 Prozent beziffert werden. Dies ergab der Vergleich aktueller Bestandserhebungen mit Erfassungen zwischen 2007 und 2009. Allerdings dürfte die Wintermortalität der ausharrenden Vögel noch erheblich höher, vermutlich bei mehr als 90 Prozent, gelegen haben. Am Wendebachstau und im Kiessee-Leinegebiet hatte wohl nur je ein Einzelvogel überlebt. Bei den aktuellen Revierbesetzern wird es sich in der Mehrzahl um Vögel handeln, die weiter südlich überwintert haben und damit der ganz grimmigen Kälte entfliehen konnten.

Arg gebeutelt wurde auch der Star. In Göttingen waren viele Brutplätze in der Süd- und Innenstadt verwaist. Zudem fiel sein Bruterfolg wegen des nasskalten Maiwetters miserabel aus. Auf den Rasenflächen am Kiessee, wo sich die Familien nach dem Ausfliegen der Jungen gut zählen lassen, waren nicht mehr als zehn Jungvögel präsent.

Nur leicht gelitten hat dagegen die robuste Wasseramsel. Das traditionelle Paar an der Göttinger Stegemühle zeigte mit einem flüggen Jungvogel bereits am 3.5. einen zeitlich normalen Brutverlauf an.

Heimziehende Ringdrosseln lieferten mit drei Ind. am Diemardener Berg am 10.4. ein eher unterdurchschnittliches Maximum.

Die kleine Brutpopulation des Trauerschnäppers im und am Wildgehege am Kehr/Göttinger Stadtwald scheint langsam dahinzuschwinden. Dort wurden nur zwei singende M. beobachtet. Ein M. sang am 28.5. vor einem Nistkasten am Hagenberg, konnte aber später nicht mehr bestätigt werden.

In der Rhumeaue bei Bilshausen ist der Brutbestand des Schwarzkehlchens auf drei Paare angestiegen.

Mit sieben Revieren des Blaukehlchens kann der Denkershäuser Teich nunmehr als von der Art gesättigt gelten. Im Leinepolder Salzderhelden und am Seeburger See wurden fünf bzw. zwei Reviere notiert, die aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nur die Untergrenze des wirklichen Bestands anzeigen. Am Seeanger schritt wie im Vorjahr ein Paar zur Brut.

Brachpieper wurden am 24.4. am Diemardener Berg zu zweit und einzeln am selben Tag auf dem Kerstlingeröder Feld gesichtet.

Am 10.6. demonstrierten 22 singende Baumpieper auf dem Kerstlingeröder Feld einen doppelt so hohen Bestand wie in den beiden Vorjahren. Die Gründe für die lokale Zunahme – die nichts am allgemeinen dramatischen Bestandsrückgang in der Region ändert – müssen vorerst offen bleiben. Das kommende Jahr wird zeigen, ob es vielleicht nur ein statistisch insignifikanter Ausrutscher nach oben war. Auf der 27 Hektar großen Windwurffläche im Lutterberger Forst waren immerhin fünf Reviere besetzt.

Im Verlauf des Aprils stellte sich heraus, dass auch die Gebirgsstelze unter dem Winter schwer gelitten hat. Ihr Rückgang kann, wie beim Zaunkönig, auf 50 bis 60 Prozent beziffert werden. Aus Göttingen sind bis dato nur zwei erfolgreiche Bruten bekannt geworden.

Dagegen hat sich der robuste Grünfink, dem in manchen Regionen Deutschlands wegen hoher Mortalität als Folge einer Trichomonadeninfektion schon das Totenglöckchen geläutet wurde, souverän behauptet. Derzeit sind überall Familienverbände zu beobachten, die geringe Winterverluste und einen guten Bruterfolg anzeigen.

Dies trifft auch auf den wärmeliebenden Stieglitz an den Göttinger Grünzügen zu. Mit diesem versöhnlichen Ausblick schließt der Bericht, der, wie immer, das vielfältige Vogelleben in unserer Region nur mit einigen Schlaglichtern beleuchtet hat.

H. H. Dörrie und S. Paul

Unser herzlicher Dank geht an die Beobachter, Informanten und Bildautoren: P.H. Barthel, B. Bierwisch, S. Böhner, M. Borchardt, G. Brunken, J. Bryant, H. Dörrie, M. Drüner, T. Gausling, C. Grüneberg, V. Hesse, U. Heitkamp, U. Hinz, S. Hohnwald, L. Hülsmann, H.-A. Kerl, G. Kobabe, G. Köhler, F.-J. Lange, T. Meineke, S. Paul, D. Radde, Familie Reimer, W. Roth, R. Rotzoll, B. Schmidt, H. Schmidt, M. Schuck, M. Siebner, A. Stumpner und H.-J. Thorns