Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Artenzahlen waren es nicht, die den diesjährigen regionalen Durchlauf des bundesweiten Birdrace zu einem außergewöhnlichen Ereignis gemacht haben. Ein seit mehreren Tagen stabiles Hochdruckgebiet sorgte am 5. Mai nicht nur zwischen Solling, Harz und Kaufunger Wald dafür, dass Durchzügler Richtung Nordost abgezogen waren oder erst gar keinen Stopp machten und die Artenlisten der Teams in akribischer Fleißarbeit überwiegend mit den regionalen Brutvögeln gefüllt werden mussten.
Viel bemerkenswerter war aus regionaler Sicht die Beteiligung von insgesamt neun Teams in den Landkreisen Göttingen und Northeim – so viele waren es noch nie. Sowohl die Zusammensetzung der Teams als auch die Herangehensweise beim Rennen selbst unterschieden sich dabei erfreulich.
Dass im folgenden darauf – aufgrund der hohen Anzahl der Teams – nicht in aller Ausführlichkeit eingegangen werden, sei bereits vorab entschuldigt.
Der bewährten Mischung aus Routine und guter Vorbereitung blieben die Vorjahressieger von den „Göttinger Sozialbrachvögeln“ (Béla Bartsch, Phil Keuschen, Mathias Siebner und Karl Jünemann aber in diesem Jahr ohne Shauna Grassmann) treu und waren damit auch erneut erfolgreich. Der Start im Bramwald lief wie geschmiert, am fortgeschrittenen Vormittag in Göttingen wurde es dann allerdings
zäher. An der alten Rosdorfer Tongrube berichtete ein aus dem Wasser steigender Student, dass der Eisvogel erst weggeflogen ist, als er baden ging – besten Dank dafür… Nur ein Team konnte übrigens 2018 den Flugsaphir beobachten – die Sozialbrachvögel waren es nicht. Letzte Haken auf die Liste kamen dann – wie bei etlichen anderen Göttinger Teams – auf dem Steg vom Seeburger See hinzu.
Nicht nur mit logistischen Problemen hatte das erstmals im Landkreis Göttingen angetretene Team der „Lüneburger Grünschnäbel“ (Svenja Roosch, Christiane Weber) zu kämpfen. Der Teamname entstammt dem gemeinsamen Studienort der Mitglieder. Dem ursprünglichen Dreiergespann kam kurzfristig eine Mitstreiterin abhanden (Zahnchirurgie…). Der eigentliche Plan, nach einem möglichst
erfolgreichen Start auf Fahrrädern in der Göttinger Umgebung mit dem Bus in Richtung Seeburg aufzubrechen, ging wegen Überfüllung nicht auf, so dass per Muskelkraft in Richtung Osten aufgebrochen werden musste. Und auch auf dem Rückweg entpuppte sich der öffentliche Nahverkehr als unzuverlässig, die Räder mussten in Seeburg zurückgelassen werden. Dass die Grünschnäbel den
Rennverlauf als Debakel verbuchen werden, ist trotzdem unwahrscheinlich. „Wir treten an, um gemeinsam was zu unternehmen und dabei zu sein, nicht um ein Top-Artenergebnis zu erzielen“, sagt Svenja Roosch. Eine sehr sympathische und eigentlich auch gesunde Haltung.
Mit den „Schweißstörchen“ (Leo Bolte, Malou Czibeck, Melanie Klock, Sandra Neißkenwirth, David Singer) trat 2018 ein Team an, das bereits zweimal auf Fahrrädern am Wettbewerb teilnahm und damit über einen beträchtlichen logistischen Erfahrungsschatz verfügt. Ausgestattet mit fünf Rädern und einem Anhänger (für Verpflegung und Spektiv) starteten die Schweißstörche um 3.11Uhr in Göttingen, um nach diversen Zwischenstopps über den Göttinger Stadtforst und das Kerstlingeröder Feld in Richtung Osten bzw. Seeburger See aufzubrechen. Als das Rennen gegen halb elf dort für beendet erklärt wurde, steckten 81 Fahrkilometer in den Knochen der Schweißstörche, und das Team verbuchte mit 107 sein bestes Birdrace-Ergebnis (und den dritten Platz in der Regionalwertung). Ganz praktisch, dass man am Seeburger See seine Zelte aufgeschlagen hatte und direkt vor Ort den verdienten Erholungsschlaf antreten konnte.
Die Idee mit der Übernachtung direkt an den Hotpots des Artenreichtums hatten auch andere, nur irgendwie andersherum: Den „Leineuferläufern“ (Severin Racky, Ole Henning, Malte Georg und Silvio Paul) steckte bereits eine Nacht in der Schutzhütte auf 800m Höhe und bei Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt in den Knochen, als der Wecker das Birdrace einläutete. Geplant war, das Rennen 2018 dazu zu nutzen, den zwei Jahre zuvor im Rahmen der Gebietsreform durch den Landkreis Göttingen erbeuteten Altkreis Osterode genauer unter die vogelkundliche Lupe zu nehmen. Vorwissen dazu gab es kaum, und auch ornitho.de gibt nicht viel her, denn für den Altkreis sind kaum, für manche Gebiete gar keine Beobachtungsmeldungen vermerkt. Dass die Leineuferläufer trotzdem nur knapp am Gesamtsieg vorbeischrammten, spricht nicht zuletzt für die attraktive und abwechslungsreiche Landschaft auf den einverleibten Flächen – mit spektakulären Hochlagen auf Nationalparkterrain, einer Vielzahl kleinerer Naturschutzgebiete und einer vergleichsweise abwechslungsreichen Feldmark.
Auch im benachbarten Landkreis Northeim ging wieder ein Team an den Start. Wohnhaft im mit Birdrace-Teams gut ausgestatteten Oldenburg entschloss sich „Uriah Piep“ (Joanne Sander, Felix Oßwald) zu einem Start in der alten Heimat. Das Duo wurde zwar nicht von einer „Lady in black“ in aller Frühe um viertel vor fünf aus sanftem Schlummer gerissen, aber immerhin war der „Blackbird“ die
erste Art auf der Liste. Das Leinetal wurde mittels Fahrrad von Norden in Richtung Süden aufgerollt, mit mehr oder weniger ergiebigen Zwischenstopps an den Northeimer Topgebieten Leinepolder, Geschiebesperre Hollenstedt und Northeimer Kiesteiche. Den unbestreitbaren Vorteilen des Sattelritts stellte das Schicksal eines der Risiken ganz praktisch gegenüber: Reifenpanne und kurze Zwangspause. Als es am Abend wieder Richtung Norden ging, hatte Uriah Piep immerhin fünf Arten auf der Liste, die den Göttinger Teams vollständig fehlten.
Es ließe sich noch viel berichten. Zum Beispiel vom Team der „Zwergpieper“, einer echten Youngster-Truppe mit väterlicher Unterstützung, das bis zum Einbruch der Dunkelheit tapfer der Erschöpfung trotzte.
Oder von den Routiniers von „Dynamo avigoe“, die zwar satte vier exklusive Arten verbuchen konnte, darunter mit der Wiesenweihe auch ein echtes Highlight, aber an die eigenen Vorjahresergebnisse nicht heranreichten.
Am Ende des Tages hatten die Titelverteidiger aus dem Vorjahr, die Sozialbrachvögel, die Nase erneut knapp vorn. Die Gesamtartenzahl fiel vor dem Hintergrund der grandiosen Beteiligung und der Ausweitung des „Spielfeldes“ mit 140 Arten (2017: 143) eher schmal aus.
Die genauen Ergebnisse können beim DDA nachgelesen werden. Aus regionaler Sicht spiegelt sich in der großen Zahl an Teilnehmern ein in den vergangenen zwei Jahren erfreulich steigendes Interesse an der Feldornithologie – in erster Linie von jungen Beobachterinnen und Beobachtern – wider. Möge diese Entwicklung anhalten, und sich – nicht nur, aber auch – niederschlagen, wenn das Birdrace im Jahr 2019 angepfiffen wird.
S. Paul
P.S.: Danke an M. Siebner, S. Roosch, D. Singer und F. Oßwald für die mitgerteilten Eindrücke von diesjährigen Rennen!