2018 überlegten sich Hans H. Dörrie und Unterzeichner, unter den Vogelbeobachtern im Arbeitskreis Göttinger Ornithologen für artbezogene Beobachtungsprojekte zu werben, um systematische Daten zum Bestand und zur Ökologie besonders interessanter Vogelarten zu gewinnen, die im heimischen Raum charakteristisch sind. Es sollten auch mal Waldarten dabei sein, da in der Regel die Wälder gegenüber den Offenland-Lebensräumen von den Ornithologen gerne vernachlässigt werden. Wir wollten auch dem durch ornitho.de geförderten Trend zum Rückgang systematischer, artenbezogener Beobachtung entgegenwirken. Der Vorstoß fiel auf Resonanz. Neben Waldlaubsänger und Gelbspötter wurde der Grauspecht ausgewählt.
Der Grauspecht (Picus canus) wurde im Kreis Göttingen und in Niedersachsen in den 2000er Jahren mehr oder weniger flächendeckend erfasst (vgl. Brunken et al. 2006, Dörrie div. Jahre; Kartierung und Umfrage Laske im Auftr. der VSW Niedersachsen 2005/06, Südbeck et al. 2008). Diese Daten stellen eine Vergleichsgrundlage für neuere Erfassungen dar. Das südniedersächische Bergland galt in den 2000er Jahren als ein Verbreitungsschwerpunkt des Grauspechtes in Niedersachsen. Dieser Raum kann mit seinen ausgedehnten Laubwäldern und dem Mosaik aus Wald- und Offenlandschaften aus niedersächsischer Perspektive als „Kerngebiet“ der Grauspechtverbreitung angesehen werden (Südbeck et al. 2008).
Der Grauspecht ist ein spannendes und sinnvolles Beobachtungsobjekt. Seine aktuelle Bestandsentwicklung ergibt kein klares Bild und ist regional unterschiedlich. Diese Spechtart unterliegt einem deutlichen Gefährdungspotenzial, einmal durch seine Abhängigkeit von aktuellen Waldbewirtschaftungsformen (vor allem der flächenweit praktizierte „modifizierte“ Großschirmschlag scheint ein ernstes Problem darzustellen) und andererseits von mageren Waldblößen und waldnahen Grünlandflächen (Eutrophierung). Zum anderen spielen eventuell Kräfteverschiebungen in der zwischenartlichen Konkurrenz bezüglich Grünspecht und vielleicht auch Schwarzspecht (Kämpfer-Lauenstein 2017) eine Rolle. Wir wollen versuchen, zu diesen Themen Daten, weitere Fragen und Hinweise zu liefern.
Im Vordergrund des Vorhabens steht zur Zeit nicht die flächendeckende Bestandserfassung des Grauspechtes – dazu fehlt es momentan an personeller Kapazität. Wir streben erst einmal an, eine Reihe von Revier-Fallstudien zu erhalten und gehen zu Beginn unseres Grauspecht-Projektes gezielt und exemplarisch vor. D.h., wir suchen uns Gebiete als Untersuchungsflächen aus, von denen wir Vorinformationen über Grauspecht-Vorkommen aus den 2000er Jahren haben (Quellen s.o.) bzw. die diesen benachbart liegen. Das ist ein geeigneter Weg, zu aktuellen Daten über Vorkommen von Grauspechten einerseits und Bestandsveränderungen andererseits zu gelangen.
Methode
Die Erfassung der Grauspechtreviere erfolgt über die Revierkartierungsmethode lt. Methoden-Handbuch (Südbeck et al. 2005) in leicht modifizierter Form. Möglichst drei, mindestens aber zwei Begehungen sollen stattfinden. Der Zeitaufwand hält sich also in Grenzen. Die Lockpunkte und die Beobachtungsdaten werden in eine Feldkarte eingetragen, für jede der drei Begehungen in einer anderen Farbe. Somit ist das Ergebnis kartografisch anschaulich und schnell zu erfassen. Es macht Spaß, selbst zu sehen, wie sich das Gesamtergebnis Schritt für Schritt entwickelt. Die Feldkarten werden anschließend einheitlich digitalisiert, so dass die gesamte Erfassung für den AGO archiviert werden kann und für spätere Nachforschungen als Basis zur Verfügung steht. Die Kartierungsergebnisse sollen auch durch die Beobachtungsmeldungen in ornitho.de ergänzt werden.
Für die Grauspechtreviere und ebenso für die verlassenen Reviere werden anschließend Habitatparameter erhoben, um Aussagen für Lebensraumbedingungen machen zu können.
Die drei Begehungen sollen im Zeitfenster zwischen letzter Februardekade bis Ende April/Anfang Mai erfolgen. Bei der Begehung wird im Abstand von ca. 100-150 m mit der Klangattrappe oder durch eigenes Pfeifen gelockt. Meldet sich ein Grauspecht, wird das Locken eingestellt und erst wieder im Abstand von mind. 500m erneut präsentiert. Die Prüfgebiete sollten in größeren Wäldern mindestens ca. 200 ha groß sein, da sich z.B. durch waldbauliche Maßnahmen Verschiebungen der Revierzentren ergeben können. Oder es werden separat liegende Wälder, die von Offenland umgeben sind, ausgewählt. Die Erfassungsmethode ist in einem Methodenpapier zusammengestellt, es kann von Interessierten gerne beim Unterzeichner angefordert werden.
Im ersten Durchgang 2019 sagten erfreulicherweise 12 Kolleginnen/en des AGO ihre Mitarbeit im Grauspechtprojekt zu. Die bisher vorliegenden Ergebnisse signalisieren leider einen deutlichen Rückgang der Grauspechtvorkommen seit den 2000er Jahren.
Zwischenergebnis
Folgendes können wir festhalten:
1.) 20 „Altreviere“ des Grauspechtes aus den 2000er Jahren konnten zur Kartierung vergeben werden plus 4 weitere Bereiche, aus denen in den letzten beiden Jahren Hinweise auf Grauspecht-Vorkommen vorlagen.
2.) Von den 20 Altreviergebieten liegen mir 17 als bearbeitet vor.
3.) Von diesen 17 Alt-Vorkommen konnten nur (7-) 8 Vorkommen in 2019 bestätigt werden, das entspricht 41-47%.
4.) In den 4 weiteren Gebieten wurden 3 Reviere bestätigt.
Diese ersten Hinweise zeigen, wie wichtig und dringend es ist, sich mit dem Grauspecht zu befassen. 2020 gehen die Untersuchungen weiter. Einige Gebiete aus 2019 werden noch einmal geprüft, andere Gebiete kommen hinzu. Wir würden uns über weitere Mitstreiter/innen sehr freuen. Wer gerne mit einer spannenden Aufgabe dreimal durch den Frühlingswald marschieren möchte, melde sich bitte beim Autor.
Jo Weiss, Hann. Münden (jo.weiss.lh(at)web.de)
Literatur:
Brunken, G., M. Corsmann & U. Heitkamp (2006): Brutvogelmonitoring im EU-Vogelschutzgebiet V 19 (Unteres Eichsfeld). Ergebnisse des Monitorings 2003 und 2005. Naturkundliche Berichte zur Fauna und Flora in Süd-Niedersachsen, Bd. 11, 81-114)
Dörrie, H. H. (& Heitkamp) (2001-2010): Diverse Avifaunistische Jahresberichte für den Raum Göttingen und Northeim, in: Naturkundliche Berichte zur Fauna und Flora in Süd-Niedersachsen, Bände 6-14
Kämpfer-Lauenstein, A. (2017): Bestandsentwicklung des Grauspechts Picus canus im Arnsberger Wald 1985-2015. Charadrius 53: 28-32
Schneider, M. (2018): Untersuchungen der Lebensraumansprüche des Grauspechts Picus canus und seiner Verbreitungsgrenze in Niedersachsen. Diss. Göttingen
Südbeck, P. et al. (2005/2012): Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands
Südbeck, P., C. Peerenboom & V. Laske (2008): Zur aktuellen Bestandsgröße des Grauspechts Picus canus in Niedersachsen – Versuch einer Abschätzung. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 40: 223-232