Brutzeit II und Wegzug 2010 – vogelkundliche Neuigkeiten aus Niedersachsens Boomregion mit Herz!

Weil dieser Bericht ziemlich umfangreich ausfällt, verzichten wir auf ergötzliche Präliminarien und kommen gleich zur Sache.

Die Höckerschwan-Brutpaare am Rückhaltebecken Grone und an der alten Rosdorfer Tongrube brachten sechs bzw. fünf Junge zum Ausfliegen. Die Rosdorfer Jungschwäne waren alle von Geburt an weiß gefärbt (sog. immutabilis-Variation). Die anderen drei Göttinger Schwanenpaare (Kiessee, Pfingstanger und Levin-Park) blieben ohne Nachwuchs.

Eine für das tiefe Binnenland verdächtig frühe Ringelgans schwamm am 17.10. an der Geschiebesperre Hollenstedt. Herkunft und Unterarten-Status dieses Vogels müssen offen bleiben.

Im Leinetal zwischen dem Wendebachstau bei Reinhausen und der Geschiebesperre Hollenstedt flog ab Mitte September eine Kanadagans umher. Diese Gänseart ist, anders als in West- und Süddeutschland, wo sie von den flintenbewehrten Beschützern einer kerndeutschen Avifauna als „invasiver“ Fremdling bekämpft wird, in unserer Region immer noch ein spärlicher Gastvogel. Dies trifft auch auf die Weißwangengans zu, die mit einem Einzelvogel ab dem 28.10. an der Geschiebesperre Hollenstedt Präsenz zeigte.

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Abb. 1: Weißwangengans. Foto: M. Siebner.

Anfang Oktober trafen im letztgenannten Gebiet die ersten Blässgänse ein. Einige Paare zeigten mit drei, manchmal vier und einmal sogar mit außergewöhnlichen fünf Nachkommen einen guten Bruterfolg an, dessen genauere Bewertung aber erst in den Folgemonaten vorgenommen werden kann, wenn die Zahl der Überwinterer weiter ansteigt. Ein frühes Ind., das bereits am 6.9. dort gesehen wurde, könnte identisch mit einem der beiden Vögel gewesen sein, die sich bis in den Juni in der Region aufhielten.

Tundra-Saatgänse ließen sich ebenfalls ab der ersten Oktoberdekade mit bis dato maximal ca. 100 Ind. blicken, aber auch bei dieser Art steht der große Ansturm wohl noch aus.

Unter den bis zu 2000 Graugänsen, die sich im Herbst an der Geschiebesperre Hollenstedt einfanden, konnte sich am 5.9. ein Vogel mit farbiger Halsmanschette (EAD blau) nicht verstecken. Diese war ihm am 21.6.2006 am Hornborgasee (ein bei Kranichtouristen bekanntes Gewässer) in Schweden verpasst worden. Seitdem überwintert die Gans in den Niederlanden, die sie über Zwischenstops u.a. in Polen, am Gülper See in Brandenburg und nun auch bei uns ansteuerte.

Am 26.6. tauchte am Siekgraben (vgl. die ausgiebige Würdigung dieses Gebiets im vorangegangenen Heimzug- und Brutzeitbericht vom 24.6. auf dieser Homepage) ein Nilganspaar mit einem ca. eine Woche alten Jungvogel auf, der trotz permanenter Verfüllungsarbeiten flügge wurde. Wo genau er erbrütet wurde muss offen bleiben. Mit knapp 200 Ind. wurde an der Geschiebesperre Hollenstedt Ende Oktober wieder ein typisches Wegzug-Maximum erreicht.

Am 14.8. erschien am Kiessee eine Rostgans, die, man mag es kaum glauben, erst den zweiten Nachweis für das Göttinger Stadtgebiet seit 1989 verkörperte. Sie bewegte sich ebenfalls in einem großen Aktionsradius im Leinetal. Der Vogel von 1989 war ein zweifelsfreier Gefangenschaftsflüchtling mit Züchterring. Mittlerweile gilt die Rostgans in Deutschland als dauerhaft eingebürgerte Brutvogelart. An der Geschiebesperre Hollenstedt halten sich seit Monaten zwei Ind. auf.

Seit dem 4.10. schmückt eine weibchenfarbene Mandarinente den Göttinger Levin-Park. Demnächst wird der Vogel von einem glühenden Verehrer auf den auch unter anderen östlichen Grazien verbreiteten Namen „Mandy“ getauft.

Am 9.11. bedeckten lokal bedeutsame 77 Pfeifenten den Seeanger und zogen mit dem Rastbestand der Krickente zahlenmäßig gleich.

Vier männliche Kolbenenten am 26.7. am Seeburger See wurden am 7.11. von zehn Ind. (sieben M., drei W.) ebenda übertroffen. Da an diesem Datum zur gleichen Tageszeit an der Kiesgrube Reinshof weitere 13 Ind. (acht M., fünf W.) gesehen wurden, liegt mit 23 Ind. eine neue Rekordzahl für unsere Region vor. Der deutschlandweit positive, z.T. auf frei brütenden Nachkommen von Gefangenschaftsflüchtlingen basierende Trend dieser attraktiven Entenart macht sich seit einigen Jahren durch steigende Rastvogelzahlen auch in unserer Region bemerkbar.

Während am Seeanger immerhin zwei erfolgreiche Bruten der Reiherente mit sechs bzw. vier selbständig gewordenen Jungen stattfanden, sah es im Göttinger Stadtgebiet wieder sehr düster aus: Am 12.8. geriet am Flüthewehr ein ca. drei Tage altes Küken mit Mutter ins Blickfeld; beide waren jedoch schon einen Tag später nicht mehr aufzufinden.

Ein vergleichsweise reges Kommen und Gehen demonstrierten binnenländische Eiderenten: Das übersommernde M. an den Northeimer Kiesteichen wurde am 12.8. letztmalig gesehen. Ihm folgte ein Jungvogel am 23.8. ebenda. Vermutlich derselbe Vogel trat vom 31.8. bis 1.9. an der Kiesgrube Reinshof in Erscheinung. Schließlich tauchte am 9.11. wiederum ein M. im zweiten Kalenderjahr auf, bei dem es sich (theoretisch) auch um den, von wo auch immer, zurückgekehrten Übersommerer gehandelt haben könnte.

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590Abb. 2: Eiderente im ersten Kalenderjahr an der Kiesgrube Reinshof. Foto: H.-J. Thorns.

Vom 7. bis 10.11. hielt sich am Seeburger See eine diesjährige Trauerente auf.

Recht früh traf am 18.9. an der Geschiebesperre Hollenstedt und der Kiesgrube Reinshof der erste Gänsesäger der Saison ein, vermutlich handelte es sich um denselben Vogel. Am 7.11. sorgten außergewöhnliche acht Mittelsäger am Seeburger See (einer vormittags, der wieder abzog und sieben nachmittags, die auch nicht lange blieben) für die Egalisierung einer seit dem 6.4.1976 eingemeißelten Tageshöchstsumme.

Der Bruterfolg der drei Göttinger Haubentaucher-Brutpaare am Kiessee ließ wiederum sehr zu wünschen übrig. Ein Paar brachte zwei Jungvögel zur Selbständigkeit, die beiden anderen scheiterten trotz zwei bis drei Nachgelegen. Auch am Seeburger See sah es zunächst nicht gut aus, denn bis Mitte Juli wurden nur zwei bis drei Bruten mit Schlupferfolg registriert. Dann jedoch legten die Vögel mit arttypischen Spätbruten los, von denen elf mit insgesamt 25 Jungvögeln erfolgreich waren. Die letzten Jungen schlüpften erst Anfang September. Derzeit, d.h. Mitte November, schwimmen auf dem See noch lautstark bettelnde Jungvögel hinter ihren Eltern her, während die größeren sich bereits im Balztanz üben. Am 22.10. zeigten 117 Ind. einen für Brutzeit und einsetzenden Wegzug typischen Lokalbestand an.

Ab Oktober füllte sich der Rastbestand des Silberreihers langsam wieder auf. Die Vögel, zumindest die erfahrenen unter ihnen, zeigten sich von den vergangenen beiden Kältewintern offenbar wenig beeindruckt und traten am Seeanger (bis zu 20 Ind.), am Denkershäuser Teich (bis zu 30 Ind.) und im Leinepolder Salzderhelden (bis zu 50 Ind.) in mittlerweile gewohnten Zahlen auf, wobei zu berücksichtigen ist, das sie recht mobil sind und die lokalen Höchstzahlen daher nicht ohne weiteres addiert werden können, um den Gesamtbestand zu beziffern.

Die Stadtbrut der Graureiher (vgl. den vorangegangenen Bericht vom 24.6.) im Göttinger Levin-Park verlief mit fünf ausgeflogenen Sprösslingen sehr erfolgreich. Die Fluchtdistanz der Jungreiher fiel noch geringer aus als die ihrer Eltern… Richtig selbständig waren sie erst Ende August, was für diese Art ungewöhnlich ist, sich aber mit dem späten Beginn der (Ersatz-)Brut Anfang Juni erklären lässt.

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Abb. 3: Fünf junge Graureiher im Levin-Park. Foto: M. Siebner.

Der Wegzug des Weißstorchs, dessen Bruterfolg im Eichsfeld in diesem Jahr mit elf ausgeflogenen Jungen aus drei Bruten gut ausfiel, erfolgte schnell und früh. Mitte August waren die meisten verschwunden. Dies lag vor allem an der witterungsbedingt verzögerten Getreideernte mit einem entsprechend geringen Angebot verfügbarer Feldmäuse. Im Leinepolder Salzderhelden bereiten sich zwei Ind. auf eine erneute Überwinterung vor. Ob es seit Jahren immer dieselben Vögel sind, muss genauso offen bleiben wie die Frage, ob es sich um Nachfahren sogenannter „Projektstörche“ handelt, denen der Zugtrieb in Volieren ausgetrieben wurde.

Mit knapp 160 Ind. konnte der Wegzug von Wespenbussarden in unserer Region wetterbedingt (bedeckt, SW-Wind, einsetzender Regen) vergleichsweise spektakulär wahrgenommen werden. Hauptzugtag war der 29.8., als 150 Ind. über das Göttinger Ostviertel und das Flüthewehr am südl. Göttinger Stadtrand zogen. Leicht verbummelt war ein Vogel, der am 22.9. in der Feldmark zwischen Weißenborn und Kerstlingerode rastete und regelrecht spät ein am 15.10. über das gleiche Gebiet fliegender Nachzügler.

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Abb.4: Einer von vielen. Ziehender Wespenbussard am Flüthewehr. Foto: M. Siebner

Zehn Kornweihen zeigten vom 4. bis 31.10. in der Feldmark Weißenborn – Kerstlingerode ein für den Wegzug typisches Auftreten an. Am 22.8. zog eine männliche Wiesenweihe über den Seeanger.

Das gute Mäusejahr bescherte dem Rotmilan endlich mal wieder ausreichend Nachwuchs. Dies drückte sich auch in vergleichsweise hohen Wegzugzahlen aus. So bezogen beispielsweise im September bis zu 22 Ind. einen Schlafplatz in der Feldmark Weißenborn – Kerstlingerode, 30 Ind. rasteten am 15.9. im Seeanger und 41 Ind. zogen am 31.10.nahe Dransfeld, nicht weit von einem der vielen geplanten Windkraftstandorte…

Am 3.9. hielt sich am Seeburger See und am nahen Lutteranger ein fast adulter Seeadler auf. Am 20.10. zog ein Rauhfußbussard im ersten Kalenderjahr über die Geschiebesperre Hollenstedt.

Am 8.11. wurde auf dem St. Johannis-Kirchhof, also unter dem derzeitigen Brutplatz der von St. Jacobi umgezogenen Wanderfalken, ein Waldschnepfenkopf gefunden. Bereits im März 2009 konnte fotografisch belegt werden (s.u.), dass Waldschnepfen zum Nahrungsspektrum der Falken zählen. Das Weibchen soll sich sogar auf Waldschnepfen (und Lachmöwen) „spezialisiert“ haben.

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Abb. 5: Überreste von (mindestens) zwei Waldschnepfen am Brutplatz der Göttinger Wanderfalken. Foto: E. Heiseke

Nun ziehen aber Waldschnepfen überwiegend nachts und in der Dämmerung. Dass ein tagaktiver Hund oder Spaziergänger eine rastende Schnepfe am Waldrand aufscheucht, die dann, welch’ ein Zufall, von einem darauf lauernden Falken im Flug erbeutet wird, erscheint äußerst unwahrscheinlich. Dies lässt den Schluss zu, dass (auch) die Göttinger Stadtfalken bisweilen nachts jagen. Mebs (2009) hat etliche Beispiele zusammengestellt, u.a. aus Berlin, Köln (dort allein 26 erbeutete Waldschnepfen!), Oberhausen und anderen europäischen Städten, die belegen, dass sich die Vögel das Scheinwerferlicht angestrahlter Bauwerke zunutze machen. Auch die Türme der beiden Göttinger Hauptkirchen werden nachts angestrahlt, hinzu kommt die diffuse Lichtglocke über der Innenstadt. Weil ein konkreter Jagdvorgang bislang noch nicht beobachtet werden konnte, ergeht an alle Flaneure die Bitte, bei nächtlichen Streifzügen durch unsere quirlige Innenstadt den Blick auch mal nach oben zu richten – natürlich nur, wenn Alkoholpegel und/oder das Anlehnungsbedürfnis des Begleiters bzw. der Begleiterin dies zulassen. Vielen Dank im voraus!

Auch in diesem Herbst konnte mit maximal ca. 1700 Ind. wiederum ein sehr schwacher Durchzug des Kranichs verzeichnet werden. Man gewinnt allmählich den Eindruck, dass unsere Region in Sachen Grus grus zu einer Art „Empty Quarter“ mutiert ist. Grund dafür könnte, wie bereits im Vorjahr angemerkt, der neue, von bis zu 40.000 Kranichen besuchte Rastplatz in der Diepholzer Moorniederung sein, den die Vögel nicht nur von Ost nach West, sondern leider auch nördlich des Harzes anfliegen.

Am Seeanger fanden zwei Bruten der Wasserralle statt. Die Ausführungen zum Brutbestand des Teichhuhns im Göttinger Stadtgebiet (vgl. den Bericht vom 24.6. auf dieser Homepage) können durch einen weiteren Brutplatz ergänzt werden. Er befindet sich auf dem Gelände der Gothaer Versicherung an der Geismar Landstraße. Dort wurde ein kleiner Teich mit Ufervegetation angelegt, der seit einiger Zeit von einem Paar zur Brut genutzt wird. Die Rallen sind gegenüber dem regen Publikumsverkehr resistent und laufen sogar unter den Tischen der Kantinengäste umher. Das Gelände konnte der avifaunistischen Aufmerksamkeit entgehen, weil es für die Allgemeinheit nicht zugänglich ist. 2010 schlüpften zwei Jungvögel, die jedoch nicht flügge wurden.

Wegen des hohen Wasserstands an der Geschiebesperre Hollenstedt und am Seeanger fielen die Rastzahlen von Limikolen durchweg sehr niedrig aus. Gleichwohl liegen aus dieser Artenfamilie einige interessante Beobachtungen vor.

Am 4.9. standen drei Säbelschnäbler an der Geschiebesperre Hollenstedt. Dort wurden aus einer Brut drei Flussregenpfeifer flügge. Weitere erfolgreiche Bruten sind aus der Region nicht bekannt.

Für das tiefe Binnenland wahrhaft spektakulär und ohne regionale Präzedenz ist die Beobachtung von 80 (!) Pfuhlschnepfen am Seeburger See. Die Vögel suchten am Abend des 9.9. bei schlechtem Wetter im geschlossenen Verband einen Rastplatz, mussten aber unverrichteter Dinge weiterziehen. Zuvor war die Art als spärlicher Gastvogel mit maximal drei Nachweisen pro Jahr und einer maximalen Tagessumme von drei Ind. bekannt. Anhand von Fotos konnte ihre Zahl exakt dokumentiert werden. Wieder einmal bewies das „Auge des Eichsfelds“ sein hohes Potential für außergewöhnliche Beobachtungen, besonders bei widrigen Wetterverhältnissen, die den zumeist unsichtbaren Vogelzug in tiefere Luftschichten drücken und ins Stocken bringen.

Vom 11. bis 20.9. absolvierte ein wassertretendes Odinshühnchen im ersten Kalenderjahr am Seeanger eine ausgedehnte Kneippkur. Anfänglich hielt sich der kleine Kerl am Seeburger See auf. Dort wurde er jedoch von Haubentauchern und Lachmöwen gemobbt und wich schnell in ein angenehmeres Ambiente aus.

Am 25.7. demonstrierten 22 Flussuferläufer am Seeburger See ein für Ort und Jahreszeit typisches Maximum. Spät dran war ein Grünschenkel am 9.11. an der Kiesgrube Reinshof.

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Abb. 6: Später Grünschenkel an der Kiesgrube Reinshof. Foto: H.-J. Thorns

Am 2.9. rastete ein Knutt im ersten Kalenderjahr auf einer kleinen Sandbank am Großen Freizeitsee/Northeimer Kiesteiche. Ein den Seeburger See am 11.9. überfliegender Sanderling ist für dieses Gebiet eine große Rarität und vermutlich erst der zweite Lokalnachweis überhaupt.

Noch erstaunlicher hingegen ist, dass am Abend des 15.10. am Seeburger See die zweite Schwalbenmöwe gesehen wurde. Der Vogel war im zweiten Kalenderjahr. Sein Vorgänger, ein bereits von der Deutschen Seltenheitenkommission anerkanntes Ind. im ersten Kalenderjahr, datiert vom 9.9.2008 und wurde damals vom gleichen Beobachter entdeckt (T. Meineke in DSK 2009).

Vom 26.7. bis zum 19.9. hielten sich am Seeburger See täglich bis zu zwei Schwarzkopfmöwen im ersten Kalenderjahr auf. Einer dieser Vögel war nicht nur ca. sechs Wochen anwesend, sondern auch ziemlich klein, mit einem zierlichen Schnabel, heller Schnabelwurzel und einem rund wirkenden Kopf. Aus größerer Distanz sah er fast wie eine Lachmöwe aus. Gleichwohl zeigte er keine eindeutigen Merkmale, die ihn als Hybriden mit einer anderen Möwenart auswiesen, sondern demonstrierte letztlich nur die Variationsbreite innerhalb der eigenen Art. Am 15.10. wurde der einzige Altvogel des Wegzugs gesehen.

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Abb. 7: Junge Schwarzkopfmöwen am Seeburger See. Der rechte Vogel gab zu einigen Vermutungen Anlass. Foto: S. Paul

Die treue Mittelmeermöwe „Michaela“ vom Seeburger See wurde am 6.9. letztmalig gesehen. Jungspunde im ersten Kalenderjahr traten dort und am nahen Seeanger ab der dritten Julidekade mit bis zu sechs Ind. (6.9.) auf. Ein Vogel wurde am Seeanger am 9.8. tot gefunden. Von der Heringsmöwe liegt nur der Nachweis eines Altvogels vom 27.7. am Seeburger See vor.

Am 27.6. traten, an einem typischen Datum, am Seeburger See drei Flussseeschwalben in Erscheinung.

Vom 10. bis 12.10. hielt sich dort auch eine leicht verspätete junge Küstenseeschwalbe auf. Küstenseeschwalben treten bei uns auf dem Wegzug erheblich seltener auf als auf dem Heimzug; daher ist die Beobachtung an sich bereits ungewöhnlich. Dieser ganz spezielle Vogel verhielt sich aber zu allem Überfluss sehr „zutraulich“ und ließ eine Annäherung auf weniger als einen Meter zu. Er war jedoch weder krank noch verhaltensgestört, sondern zeigte z.B. angesichts eines überfliegenden Habichts eine arttypische Fluchtreaktion mit entsprechenden Alarmrufen. Möglicherweise hatte er seit seiner Geburt schon einige Greifvögel, aber noch keinen Menschen gesehen. Das sollte sich schnell ändern: Binnen kurzem wurde die Seeschwalbe zu einer der meistfotografierten Regionalbesonderheiten überhaupt. Sie nahm die aufdringlichen Paparazzi und das Klicken ihrer Kameras mit der souverän-gelangweilten Attitüde eines Supermodels zur Kenntnis und hatte letztlich für die bizarren Aktivitäten der sonderbaren Zweibeiner nur ein müdes Gähnen übrig…

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Abb. 8. „Bitte recht freundlich“. Foto: S. Böhner
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Abb. 9. Und nochmal die junge Küstenseeschwalbe am Seeburger Steg. Foto: W. Kühn

Größere Ansammlungen von Hohltauben, die sich in den letzten Jahren häufen, wurden aus der Umgebung des Seeangers (bis zu 55 Ind. ab dem 27.7. und in den Folgewochen) und aus der Feldmark Weißenborn – Kerstlingerode (70 Ind. am 5.10.) bekannt. Dagegen lagen nur vier Beobachtungen der immer seltener werdenden Turteltaube vor (31.7. Seeanger, 18.8. Diemardener Berg, 4.9. Klingsberg bei Ebergötzen und 23.9. Deponie Blankenhagen).

Auch im östlichen Landkreis Göttingen zementiert die Türkentaube ihren Verliererstatus. Im Dreieck Weißenborn – Bischhausen – Kerstlingerode wurde keine gesehen, nur im bereits in Thüringen liegenden Siemerode ein Einzelvogel.

In Göttingen verzögerte sich der Wegzug der Mauersegler nicht in dem Maße, wie manche es wegen der außergewöhnlich kühlen Witterung im Mai erwartet hatten. Zwar wurden am 7.8. noch 52 Ind. der Kolonien in der Münchhausenstraße und am Steinsgraben notiert und bis zum 25.8. noch einzelne in bzw. über Göttingen jagende Vögel. Ob die letzteren zu diesem Zeitpunkt aber noch ihre Jungen fütterten, muss offen bleiben.

Das aus dem vorangegangenen Bericht bekannte Eisvogel-Brutpaar an der Hahle bei Mingerode, dem ein wohlgesinnter Bewunderer mit regelmäßigen Fütterungen an einem eisfrei gehaltenen Kleingewässer über den extrem harten Winter geholfen hatte, gab buchstäblich alles, um die Verluste wieder auszugleichen. Mit drei erfolgreichen Bruten (die dritte war mit der zweiten „verschachtelt“) war es ausgesprochen produktiv und es bleibt zu hoffen, dass diese Anstrengungen nicht durch einen dritten Kältewinter in Folge zunichte gemacht werden. Ansonsten tauchten ab Mitte Juli in einigen Gebieten die üblichen Zuzügler auf, die nach einem milden Winter für einen Aufschwung im Brutbestand sorgen könnten.

Mittelspechte sind im Göttinger Siedlungsbereich recht selten, selbst wenn dieser sich in Waldnähe befindet. Deshalb ist ein Ind., das sich im Oktober für mehrere Tage in der Münchhausenstraße (Ostviertel) aufhielt, bemerkenswert. Sein makelloses Fotoporträt tut ein übriges, um diesem Wappenvogel unseres Arbeitskreises den gebührenden Glanz zu verleihen.

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Abb. 10: Mittelspecht in der Münchhausenstr. Foto: V. Hesse.

Zu den skurril anmutenden Begebenheiten, mit denen dieser Bericht gespickt ist, zählt auch eine Gebäudebrut der Elster in Diemarden, die erste jemals in unserer Region dokumentierte. Der Nestbau nahm zwei Monate in Anspruch, weil das Nistmaterial immer wieder vom schmalen Balken fiel. Die angeschleppte Menge hätte ohne weiteres für ein Seeadlernest gereicht. Erst Anfang Mai war die Nistunterlage, na ja, „komplett“ und das Weibchen (?) begann mit der Brut. Bald war es an seinen abgeknickten Steuerfedern auch im Flug individuell gut auszumachen… Erstaunlicherweise wurden zwei Jungelstern flügge.

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Abb. 11: Gebäudebrut der Elster in Diemarden. Foto: V. Lipka.

Obwohl ab Anfang September mit lokalen Tagessummen von 30 bis 50 Ind. erheblich mehr Eichelhäher unterwegs waren als üblich, kann von einer regelrechten Invasion wie zuletzt im Jahr 2004 nicht die Rede sein. Dazu waren, zumindest in unserer Region, die für einen Masseneinflug typischen kopfstarken Trupps von mehr als 30 Ind., die im unbeholfenen Girlandenflug nacheinander in recht großer Höhe nach Westen oder Südwesten ziehen, einfach zu spärlich. Vielmehr deutet einiges darauf hin, dass es sich um Nahrungsflüge heimischer Vögel gehandelt haben könnte, die vor dem Hintergrund einer ausgebliebenen Eichelmast etwas ausgedehnter ausfielen als sonst. Zudem gingen die Zahlen nach ca. zehn Tagen schon wieder drastisch zurück.

Dagegen fiel das Auftreten von Tannenhähern aus dem bekannten Rahmen. Während ein Ind. am 22.8. nahe dem Nephrologischen Zentrum in Hann. Münden die Nutzung eines traditionellen Hotspots in der Nachbrutzeit angezeigte, lieferte ein Artgenosse, der am 31.8. auf einem Hausdach in der Düsteren Straße saß und schnarrte, den ersten Innenstadt-Nachweis seit 1994. Vom 1. bis 3.9. hielt sich ein Nussknacker in einem Eddigehäuser Garten auf und ließ sich, aus regionaler Sicht eine echte Premiere, fotografieren. Am 12.9. zog einer über den Siekgraben. Der (vorerst) letzte dieses Jahres ließ sich am 15.9. im Göttinger Blümchenviertel blicken.

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Abb. 12: Tannenhäher in Eddigehausen. Foto: W. Kühn.

Zu den im vorangegangenen Bericht genannten Brutplätzen der Dohle kommen noch Seulingen (Brutpaar mit flüggen Jungvögeln) und Obernfeld (starker Brutverdacht) hinzu. Damit kann der aktuelle Brutbestand im niedersächsischen Eichsfeld auf ca. sieben bis acht Brutpaare beziffert werden. Es handelt sich zumeist um Einzelpaare an den Kirchen, nur in Rüdershausen brüten mindestens drei Paare. Über die Ursachen dieser unerwarteten Wiederbesiedlung kann man nur mutmaßen. Unstrittig ist, dass die Art auch im angrenzenden Thüringer Eichsfeld keineswegs häufig ist. Neben einem langjährigen Vorkommen in Heiligenstadt mit ca. zehn Paaren (Stabilisierung auf niedrigem Niveau nach starkem Rückgang) und am Zementwerk Deuna (weniger als zehn Paare) gibt es noch eine Baumbrüter-Population, deren Größe wegen schwieriger Erfassung der zur Brutzeit sehr heimlichen Vögel unbekannt ist. Dies alles spricht nicht dafür, dass Populationsdruck aus Thüringen eine maßgebliche Ursache für die neuerliche Besiedlung des niedersächsischen Eichsfelds sein könnte. Was ist es aber dann? Der Lebensraum für diesen Corviden, der bevorzugt auf extensiv bewirtschaftetem Grünland auf die Nahrungssuche geht, hat sich bei uns jedenfalls nicht verbessert…


Am 30.10. wurden im Seeanger 50 rastende Saatkrähen gezählt. Damit liegt für diesen immer seltener werdenden Gastvogel die bisherige regionale Höchstzahl vom Wegzug 2010 vor!


Interessantes gibt es von den in Göttingen überwinternden Schwärmen der Rabenkrähe zu berichten. Die bis zu 3000 Vögel haben ihren Schlafplatz von der Nordstadt in die Bäume vor dem Bahnhof an der Berliner Straße verlegt. Vielleicht noch bemerkenswerter ist, dass sie von einer Anruferin aus der Nordstadt v e r m i s s t werden. Die Krähenfreundin fragt sich, ob die Vögel von Mobilfunkstrahlen vertrieben worden sind.

In Göttingen wurden die ersten Seidenschwänze bereits am 23.10. (zwei Ind. in der Annastraße) bemerkt, so früh wie noch nie. Im außergewöhnlichen Invasionswinter 2004/2005 erfolgte die regionale Erstbeobachtung am 6.11. Ob es zu einem Masseneinflug wie damals kommt, bleibt abzuwarten. Zur Vorbereitung einer umfassenden Dokumentation konnte wiederum das „Göttinger Tageblatt“ gewonnen werden, das am 2.11. einen entsprechenden Aufruf zum Melden der gefräßigen Nordlichter veröffentlichte.

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Abb. 13: Seidenschwanz. Foto: M. Siebner.

Die Zugaktivitäten kleiner Sperlingsvögel bzw. deren Wahrnehmung fielen in diesem Herbst ungewöhnlich mager aus. Dies lag zum Teil auch daran, dass am traditionell von Beobachtern gerne aufgesuchten Diemardener Berg wegen der verzögerten Getreideernte kaum geeignete Rasthabitate bestanden und der Weg dorthin eine ziemliche Matschpampe war. Zum Siekgraben zu gelangen war einfacher… Dennoch gibt es auch aus dieser Artenfamilie einige interessante Beobachtungen.

Während nur zwei Brachpieper gesehen wurden (am 1.9. in der Feldmark Stöckheim und an der Kiesgrube Reinshof), ließen sich gleich zehn Rotkehlpieper blicken. Diese Zahl ist als regional außergewöhnlich einzustufen. Sie kam u.a. deshalb zustande, weil zum einen anhaltende Ostwindphasen die Vögel nach Westen drückten und zum anderen im östlichen Landkreis großflächig Habitate in Gestalt feuchter Stoppelfelder abgegangen wurden, die normalerweise von Vogelkundlern gemieden werden. Den Anfang machte am 5.9. ein über Ebergötzen ziehender Vogel, dem einen Tag später vier Ind. in der Feldmark Weißenborn – Bischhausen folgten. Am 10.9. rastete ebendort ein Einzelvogel, zwei waren es am 5.10. Weitere Einzelvögel flogen am 21.9. über Gö.-Nikolausberg und am 3.10. über den Siekgraben. Am Klingsberg bei Ebergötzen zogen am Morgen des 4.9. bemerkenswerte 186 Schafstelzen.

Ab Mitte Oktober erfolgte ein neuerlicher Einflug seltsam „trötender“ Gimpel. Die Vögel traten in Verbänden von bis zu 25 Ind. auf. Darunter befanden sich aber auch normal rufende Exemplare und es scheint Belege dafür zu geben, dass einzelne Ind. zwischen beiden Rufen variieren können. Da sie außerhalb der Brutzeit auftreten und der merkwürdige Ruf vor dem Invasionsjahr 2004 auch unter skandinavischen Beobachtern unbekannt war, ist die Herkunft dieser gefiederten Kindertrompeten weit im Nordosten Europas (oder gar Asiens?) vermutet worden. Aber gesichert ist dies keineswegs.

Ein echtes Highlight der Saison waren acht Berghänflinge am 31.10. im Leinepolder Salzderhelden. Wie selten dieser nordische Finkenvogel in unserer Region geworden ist, lässt sich daran ablesen, dass acht Vögel der größte Trupp sind, der seit ca. 20 Jahren hier beobachtet wurde.

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Abb. 14: Berghänfling im Leinepolder Salzderhelden. Foto: M. Siebner.

Ab August vollzog sich auf Island und bald darauf in Großbritannien ein außergewöhnlich früher und mit Tausenden Vögeln geradezu massenhafter Einflug von Spornammern mit (hypothetischem) grönländischem Migrationshintergrund. Einige dieser Evasoren erreichten auch das tiefe deutsche Binnenland. In unserer Region wurden Einzelvögel am 10.9. am Siekgraben sowie am 24.9. und 4.10. in der Feldmark Weißenborn – Kerstlingerode entdeckt. Zuvor lag aus dem Landkreis Göttingen nur ein anerkannter Nachweis aus dem Jahr 1996 vor.


Ähnlich wie der Berghänfling ist die Grauammer, ein ehemaliger Brutvogel, zur äußerst spärlichen Erscheinung geworden, die nicht alljährlich wahrgenommen wird. Daher bietet sich ein am 31.10. über die Feldmark Weißenborn – Kerstlingerode ziehender Vogel als fulminanter Schlusspunkt dieses Berichts geradezu an.

Und jetzt schauen wir mal, was der Winter so bringt!

Hans-Heinrich Dörrie (hd) & Silvio Paul (sp)

Dieser Bericht basiert auf Daten und Angaben von: R. Aramayo, Frau Bäumer, P.H. Barthel, B. Bierwisch, S. Boehner, G. Brunken, J. Bryant, Y. Clough, M. Corsmann, H. Dörrie, K. Dornieden, M. Drüner, M. Göpfert, C. Grüneberg, E. Gottschalk, E. Heiseke, V. Hesse, U. Hinz, W. Kassebeer, H.-A. Kerl, G. Köhler, W. Kühn, V. Lipka, T. Matthies, T. Meineke, K. Menge, S. Paul, D. Radde, M. Schuck, M. Siebner, A. Stumpner, H.-J. Thorns & D. Wodner. An alle Beobachter/innen geht ein herzlicher Dank für ihren manchmal unermüdlichen Einsatz!

Literatur

  • Deutsche Seltenheitenkommission (DSK) (2009): Seltene Vogelarten in Deutschland von 2006 bis 2008. Limicola 23: 257-334.
  • Mebs, T. (2009): Die nächtliche Jagd des Wanderfalken (Falco peregrinus) auf Vögel im Scheinwerferlicht von angestrahlten Bauwerken – ein Überblick über dokumentierte Fälle in Europa. Vogelwelt 130: 107-113.