Das Birdrace 2016 in Süd-Niedersachsen

Himmel
Abb. 1: Blauer Himmel ohne Vögel… Foto: M. Siebner

In diesem Jahr gingen am 7. Mai in unserer Region vier Teams an den Start, um in einem Landkreis während 24 Stunden so viele Vogelarten wie möglich zu notieren. Das Wetter war suboptimal: Sonne satt und bis zu 26°C warm, ein gnadenlos blauer Himmel und zu allem Überfluss ein böig auffrischender Ostwind bis Stärke 4. Gleichwohl können sich die Ergebnisse, die auf der Homepage des Dachverbands Deutscher Avifaunisten unter www.dda-web.de im Einzelnen studiert werden können, sehen lassen.

Mit dem Titel des Süd-Niedersachsenmeisters dürfen sich die „Leineuferläufer“ (Silvio Paul, Ole Henning und Severin Racky) schmücken. Sie beackerten den Landkreis Northeim und waren mit 126 Arten sehr erfolgreich (zweitbestes Ergebnis für eine im Northeimer Raum angetretene Formation). Für unsere Datenbank ornitho.de konnten sie 138,60 € einwerben.
Wie vor drei Jahren die „Leinehänflinge“ mietete sich das Team am Vorabend in der Jugendherberge Silberborn ein. Als man um 3:30 Uhr starten wollte, erwies sich die Unterkunft als verschlossen. Zum Glück war sie aber weit weniger gegen einen Ausbruch gesichert als, sagen wir mal, die JVA Rosdorf – an die sie, was Einrichtung und Personal betrifft, durchaus erinnert. Nach einem beherzten Sprung aus dem Fenster konnte sich das Team auf den Weg machen.

Leineuferläufer
Abb. 2: Die „Leineuferläufer“

In den angrenzenden Hochlagen des Sollings balzten Waldschnepfen und Raufußkäuze ungewohnt intensiv. Vom Nachweis eines Sperlingskauzes wurde wohlweislich Abstand genommen, weil nahezu jede Singdrossel die kleine Eule perfekt zu imitieren wusste. Interessanterweise ließ sich kein Erlenzeisig blicken und auch der Fichtenkreuzschnabel trat nur als Einzelvogel in Erscheinung – für diese Nadelwald-Charakterarten scheint 2016 ein schlechtes Jahr zu sein. Die Eichenhudewälder bei Lauenberg wirkten nachgerade spechtleer, doch kam hier immerhin der Waldlaubsänger auf die Liste. Mit Schwarzstorch und, zum ersten Mal bei einem regionalen Birdrace, Tannenhäher konnten zwei charismatische Bonusarten verbucht werden.
Die Leineniederung zwischen Einbeck und Northeim erwies sich als gewohnt artenreich. Zwar glänzte der Einbecker Wanderfalke durch Abwesenheit, doch sorgten Grauschnäpper und Wasseramsel in der Maibockmetropole für eine gewisse Kompensation. Im Leinepolder dümpelte, mit Ausnahme der Spießente, eine artenreiche Entenpalette. Auch bei den Limikolen war die Ausbeute zufrieden stellend. Mit drei Temminckstrandläufern an der Geschiebesperre Hollenstedt kam sogar eine der begehrten Calidris-Arten hinzu. Bei den Rallen herrschte jedoch bedenkliche Ebbe. Sie waren mit Bläss- und Teichhuhn nur mager vertreten. Am Böllestau bei Hollenstedt geriet ein nestbauendes Paar des Zwergtauchers, der in der Region ein seltener Brutvogel ist, ins Visier Als kleine Besonderheiten komplettierten am Freizeitsee Schilfrohrsänger und Fischadler sowie an der Geschiebesperre eine junge Mittelmeermöwe die Liste.

Unter den drei Mannschaften, die im Landkreis Göttingen auf Tour gingen, hatten „Dynamo avigoe“ (Mischa Drüner, Maarten Mooij und Felix Kleemann) mit 116 Arten knapp die Nase vorn. Dies trifft auch auf das Spendenaufkommen von 184,40 € zu.

Schwarzhalstaucher-S.Hillmer
Abb. 3: Schwarzhalstaucher auf dem Göttinger Kiessee. Foto: S. Hillmer

Das Team startete um 3:20 Uhr an den Schillerwiesen im Göttinger Ostviertel. Dort ließ sich jedoch kein Vogel vernehmen. Ein über das Kerstlingeröder Feld fliegender Erlenzeisig war der einzige seiner Art und ein echter Bonus gegenüber den Mitbewerbern. An Spechten waren dort nur Grauspecht und Wendehals auszumachen, beide Male sehr kurz. Der Wanderfalke konnte erst beim dritten Anlauf (im Reinhäuser Wald) verbucht werden. Glanzlicht des Tages waren gleich drei Brachpieper in der Feldmark nahe dem Großen Leinebusch. In der Göttinger Nordstadt konnte, nach zehn Minuten Wartezeit am Nest, endlich eine Schwanzmeise gesehen werden. Am Seeanger und Seeburger See gerieten im Wesentlichen die Arten ins Blickfeld (Ausnahme: Rotschenkel), derer auch die anderen Mitstreiter ansichtig wurden. Am Lutteranger kamen mit Rohrweihe und Kormoran zwei Arten hinzu, die gegenüber dem folgenden Team, das zum Aufsuchen dieses Supergebiets zu faul war, den Ausschlag gaben.

Das seit 2005 existierende Traditionsteam der „Göttinger Sozialbrachvögel“ (Mathias Siebner, Hans H. Dörrie, Karl Jünemann, Shauna Grasmann und Phil Keuschen) ging durch den Ausfall von zwei exzellenten Beobachtern (wegen einer Familienfeier bzw. ruchloser Fahnenflucht in den Landkreis Rotenburg/Wümme) geschwächt an den Start. Spektakulärer Höhepunkt der Tour, die 114 Arten erbrachte, war kein Vogel, sondern – eine Privataudienz beim Dalai Lama, dem wohl bedeutendsten Denker unserer Zeit. Er weilte für einen Tag inkognito im Eichsfeld, um sich an dessen einzigartiger Atmosphäre zu erfreuen, die von religiöser Inbrunst und einem tiefen Respekt vor der Natur geprägt ist. Die schwer beeindruckten „Sozialbrachvögel“ wurden mit dem Sinnspruch „Jeder Tag in der Natur ist ein guter Tag“ verabschiedet.

Sozialbrachvögel
Abb. 4: Die „Göttinger Sozialbrachvögel“ nach der Erleuchtung

Auch vor dieser denkwürdigen Begegnung lief es (zunächst) prima. Im Bramwald, der gegen 4:30 Uhr erreicht wurde, fehlten von den erwartbaren Arten (u.a. Sperlingskauz, Waldschnepfe und Turteltaube) nur Baumpieper und Erlenzeisig. Doch je wärmer es wurde desto zäher gestaltete sich die Artensuche. Ab 11:00 Uhr stellten die meisten Vögel den Gesang ein; die Rummelkulisse an der Kiesgrube Reinshof und am Kiessee tat ein Übriges. Auch in der Stadt lief es alles andere als rund (kein Wanderfalke, keine Schwanzmeise, die Wasseramsel konnte immerhin auf den letzen Drücker in Bilshausen nachgearbeitet werden). In der Rhumeaue sang für ein paar Sekunden ein Feldschwirl gegen den strammen Wind. An den artenreichen Gebieten Seeanger und Seeburger See traf das Team leicht verspätet ein, konnte aber mit Kleinspecht, Rohrschwirl und einer durchziehenden Weißwangengans als Bonusarten Boden wettmachen. Den versöhnlichen Abschluss setzte eine Schleiereule, die hinter Bodensee auf einem Pfahl an der Straße saß.

Das ambitionierte Nachwuchsteam der „Schweißstörche“ (Mike Kuschereitz, Judith Walz, Sonja Henke, Frauke Helms, David Singer und ein paar mitfahrende Gäste vom Deutschen Jugendbund für Naturbeobachtung) war im zweiten Jahr mit dem Fahrrad unterwegs.

Schwei�störche
Abb. 5: Die „Schweißstörche“

Das Ergebnis von 102 Arten ist sehr beachtlich, zumal das „schöne Wetter“ die Teambezeichnung zusätzlich befeuerte. Für den Landkreis Göttingen konnten Zwergtaucher, Silberreiher, Gelbspötter (im Gartetal) und Trauerschnäpper (neben dem Göttinger Spaßbad) als Bonusarten verbucht werden, die den beiden anderen Teams fehlten. Besonders ärgerlich war das Fehlen der Wasseramsel. Dies (und die Schwierigkeiten der anderen Teams bei der Suche nach ihr) lässt sich aber damit erklären, dass die meisten Jungvögel wohl schon flügge waren und sich mit ihren Eltern weiträumig verteilt hatten. Auf die Suche nach Erlenzeisigen am Rand der Schweckhäuser Wiesen, wo sie bei der Vorerkundung noch gesehen wurden, musste aus Zeitgründen verzichtet werden- schade, aber dieser Nachweis ist aus avifaunistischer Sicht auch ohne Birdrace sehr interessant. In Rosdorf geriet ein Rätselvogel mit rosafarbenen Unterflügeln ins Blickfeld. Nach Literaturrecherche entpuppte er sich als angemalte Zuchttaube, deren absonderliche Färbung angeblich fliegende Beutegreifer abschrecken soll. Der Tourverlauf (70 Kilometer auf und ab) ist wiederum gut dokumentiert und verdeutlicht die Strapazen, die ein unmotorisiertes Rennen im niedersächsischen Bergland mit sich bringt.

Abb. 6: Tourverlauf der „Schweißstörche”.

Sehr positiv war in diesem Jahr der hohe Anteil junger Nachwuchsbeobachter/innen, die sich auf alle Teams verteilten. Und im nächsten Jahr? Gibt es womöglich noch mehr Teams und alles geht wieder von vorne los…

Hans H. Dörrie, unter Mitarbeit von Silvio Paul, Maarten Mooij und David Singer