„Die richtige Sache zur richtigen Zeit“ – der erste AGO-Grundkurs Feldornithologie

2022 fand der erste „Grundkurs Feldornithologie“ des Arbeitskreises Göttinger Ornithologen (AGO) statt. Die Organisatorinnen und Organisatoren wollten so den vielen ornithologisch Interessierten ihr Wissen vermitteln und sie bestärken, nicht nur Freude an der Vogelbeobachtung zu erleben, sondern auch ganz praktisch in ornithologischen Bestimmungs-, Erfassungs- oder Naturschutzprojekten mitarbeiten zu können.

Menschen gehen einen Schotterweg bergauf.
Abb. 1: Die allererste Exkursion führte in die Feldmark Geismar. Foto: Mathias Siebner

In knapp 20 Terminen und Feldexkursionen zwischen Februar und Oktober 2022 führten acht Vogel-Expertinnen und Experten die 13 Teilnehmenden durch Themen wie Bestimmung, Verhalten, Brutbiologie und Vogelzug. Hier berichten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von ihren Erlebnissen:

„Als die Ankündigung des AGO kam, konnte ich nicht anders, als mich schnellstmöglich anzumelden. Es war die richtige Sache zur richtigen Zeit, da mein ornithologisches Selbststudium langsam an Grenzen stieß.“ (Christian Dienemann, Teilnehmer)

Vögel besser kennenlernen: Sehen und Hören

Auf diesen Feldornithologie-Kurs haben viele lange gewartet: Vögel besser kennenlernen, indem Profis ihr Wissen und ihre Begeisterung mit gleichgesinnten Einsteiger:innen und Fortgeschrittenen teilen: Auf Augenhöhe, ohne Druck und Frontalvorträge und so, dass sich alle mit ihren Perspektiven und auf ihre Art einbringen. Die Zahl der Anmeldungen von Interessierten überstieg die mögliche Teilnahmezahl bei weitem.

Ein Rebhuhn auf einem Feldweg.
Abb. 2: Der Göttinger Süden ist Rebhuhnland. Foto: Mathias Siebner (Archiv)

Als es im Februar nach einer theoretischen Einführung zur Morphologie und Topologie der Vögel mit Fernglas und Bestimmungsbuch ins Feld ging, war die Freude bei allen Beteiligten groß. Im Fokus der ersten Exkursion standen unter anderem das Rebhuhn und verschiedene Finkenvögel, die beide in den Projektflächen des Göttinger Rebhuhnschutzprojekts im Göttinger Süden überdurchschnittlich gute Bedingungen vorfinden. Eine erste Lektion lehrten die scheuen Rebhühner: Auch auf Stimmen und Lautäußerungen sollten die Teilnehmenden achten, denn nicht jeder Vogel zeigt sich. Schon zum zweiten Exkursions-Termin Mitte März 2022 verwandelten dann Durchzügler und erste heimgekehrte Brutvögel den Göttinger Stadtfriedhof in eine Konzertbühne. Die Gesänge von Si-Si-Si-Si-ng-ng-ng-ng-dro-dro-dro-dro-ssel und Zilp-zalp-zilp-zalp-zilp-zalp-zalp waren ein guter Einstieg und bereiteten alle auf die omnipräsenten „Hintergrundgeräusche“ des Frühlings vor.

„Die Vielfalt an Tipps und Merksätzen half mir besonders bei der Bestimmung anhand von Gesängen und Rufen, auch bei Zugvögeln.“ (Joy Opitz, Teilnehmerin)

Eine Singdrossel mit geöffnetem Schnabel.
Abb. 3: Die Si-Si-Si-Si-ng-ng-ng-ng-dro-dro-dro-dro-ssel wiederholt sich gern und häufig. Foto: Arne Bischoff (Archiv)

Bekannte und unbekannte Vogelhotspots in Stadt und Landkreis

Der Kurs führte zu nahen und bekannten Gebieten (mehr über ornithologisch interessante Orte im Landkreis in den Revier-Porträts des AGO) wie Kiessee, Seeburger See oder Kerstlingeröder Feld, genauso wie an weniger typische oder idyllische Orte, wie die Deponie Dransfeld oder auf die Windwurfflächen des Bramwaldes. Die vielfältigen Exkursionsziele waren nicht nur beispielhaft für die regional vorkommenden Habitate, Artengruppen und deren Verhaltensweisen, sondern boten auch Potenzial, über die Veränderungen und Anpassungsleistungen der Vogelwelt zu sprechen: bedingt etwa durch Lebensraumverlust, menschliche Nutzung oder Klimakrise.

Natur aus Menschenhand am Leinepolder, Waldwandel im Bramwald

Die weiteren Frühjahrsexkursionen hatten den Göttinger Stadtwald und Kiessee zum Ziel. Der Stadtwald hielt, sehr bemerkenswert, alle sieben in Mitteldeutschland vorkommenden Spechtarten bereit. Ein Besuch des Leinepolders – ein Natur- und Hochwasserschutzgebiet zwischen Northeim und Salzderhelden – wurde durch dessen Artenreichtum (66 bestimmte Arten) zu einem regelrechten Mini-Birdrace.

Ein Stelzenläufer
Abb. 4: Hochbeiniges Highlight im Leinepolder: Ein Stelzenläufer. Foto: Arne Bischoff (Archiv)

Gerade abseits von Besonderheiten wie Stelzenläufer oder Seeadler, lohnte es sich zu schauen, welche häufigen Arten flogen und sangen und so neue Facetten, wie bisher unbekannte Lautäußerungen, zu entdecken.

„Die Klappergrasmücke war mein persönliches Highlight. Ihren zugegeben sehr charakteristischen Gesang hatte ich zwar schon oft vernommen, aber erst hier mit Hilfe der Exkursionsleiterin zuordnen können.“ (Christian Dienemann, Teilnehmer)

Zwei Wochen später verbrachte die Gruppe einen großartigen Morgen im Gartetal und am Wendebachstausee. Mit Kaffee auf der Staumauer sitzend, schaute das bunt gemischte Team den Dorngrasmücken bei ihren Singflügen zu und vertiefte sich in Gespräche aller Art. Ein früh-morgendlicher Ausflug in den Bramwald war dann buchstäblich und übertragen ein Termin für Heidelerchen, deren besondere Habitat-Ansprüche und wunderschöne Gesänge auf den beräumten Windwurf-, Trocken- und Borkenkäferschadflächen live erlebt werden konnten. Auch die immer seltener werdende Turteltaube lud auf den Offenflächen zum Stelldichein. Ein Anlass für alle, lebhaft über die dynamische Ökologie dieser Flächen zu diskutieren.

Sommer und Herbst im Zeichen von Brutgeschäft und Zug

Während des (Früh-)Sommers und Herbsts hatten die Brut- und die Zug-Ornis (eine schöne Typologie der Vogelfreunde, die bei Dr. Eckhard Gottschalk vom Rebhuhn-Projekt entliehen ist) gleichermaßen Gelegenheit, auf ihre jeweiligen Kosten zu kommen. Bei brennender Sommersonne stand die Feldornithologie-Gruppe gleich zweimal in der abgestoppelten Agrarsteppe nahe der Deponie Dransfeld. Das Beobachten von Greifvögeln war wie die Landratten-Version von Sea-Watching: kein Wind, extrem heiß, alles weit weg, starkes Luftflimmern.

Vier Menschen sitzen auf einem Feld in der Sonne.
Abb. 5: Sengende Sommerhitze und improvisierter Kopfschutz an der Dransfelder Deponie. Foto: Filibert Heim

Die Teilnehmenden versuchten, alles im Dreieck Ossenberg-Hoher Hagen-Bramwald zu erspähen und lernten dabei viel über Gefieder, Statur und Bewegungsmuster von Milanen, Bussarden und Falken. Ist das nicht schrecklich langweilig in der Agrarsteppe? Nein, denn irgendwas sieht man immer!

„Irgendwas siehst du immer.“ (Béla Bartsch, Exkursionsleiter)

Der Kurs-Herbst begann kurz danach auf dem Diemardener Berg mit einer frühen Zugvogelbeobachtung. Stelze, Stelze, Pieper, Stelze, Heckenbraunelle, Stelze und Pieper erlaubten, die Feinheiten von „psit“, „spihz“ und „hihihi“ zu besprechen und viel über ziehende Vögel zu erfahren: Etwa wer, wann und wie von wo wohin fliegt. Spätsommer-Exkursionen an Seeburger See und Seeanger standen im Zeichen eines abwesenden Blaukehlchens und deutlich gewachsenen akustischen und visuellen Bestimmungsfähigkeiten in der Gruppe. Von Exkursion zu Exkursion stieg die Motivation, aus jeder Beobachtung das Beste zu machen. So etwa aus einem sehr unspezifischen Ruf am Rande des großen Northeimer Freizeitsees: Ein Habicht, für dessen Bestimmung das Team zehn Minuten intensiver Diskussion und drei verschiedene Bestimmungs-Apps benötigte.

Vier Menschen schauen durch Spektive.
Abb. 6: Am Northeimer Freizeitsee sind Spektive hilfreich. Foto: Meike Corsmann

Die vielleicht anspruchsvollste Exkursion wartete in Herberhausen. Am Waldrand über dem Luttertal erfolgte die Einführung in die Grundlagen der Zugplanbeobachtung. Bei schlechtem Licht, wenigen Sekunden Sichtkontakt, großen Beobachtungsdistanzen und kurz rufenden Vögeln war hohe Aufmerksamkeit gefragt. Die wuscheligen Zuschauer auf der Kuhweide wunderten sich wohl sehr über die Unterhaltungen: „Buchfink dreiunddreißig, Erlenzeisig eins, Wiesenpieper vier, hast du den Bergfink schon?“. Die schiere Anzahl ziehender Vögel an diesem Herbstmorgen hinterließ großen Eindruck. Eine entspannte Kiesseerunde Ende Oktober markierte dann den Abschluss des ersten Grundkurses Feldornithologie. Das Jahr war im Flug vergangen.

„Für mich war der Kurs die perfekte Möglichkeit, die Umgebung Göttingens und ihre Vogelwelt besser kennenzulernen. Ich habe viel gelernt, zum einen über die Vögel an sich, und zum anderen über alles, was damit zusammenhängt: Naturschutz, Landnutzung, Gefährdungen.“ (Okke Reuer, Teilnehmer)

Ein Waldkauz auf einer Absperrung.
Auch spontane Mini-Exkursionen wie zu diesem jungen Waldkauz waren Teil des Feldornithologie-Grundkurses. Foto: Mathias Siebner

Ein Netzwerk für zukünftige Orni-Generationen?

Der Lernerfolg in der Gruppe war bemerkenswert. Es war begeisternd zu sehen, dass gerade zu den späteren Terminen die allermeisten Arten ohne große Probleme optisch und akustisch bestimmt werden konnten. Der Kurs war also in Sachen Wissensvermittlung ein voller Erfolg. Doch das ist nicht alles. Viele haben nicht nur schöne Momente erlebt, sondern auch Unterstützung und Bestätigung, unter anderem bei Arten, deren sichere Bestimmung sie sich allein nicht zugetraut hätten. Manche Vogel-Interessierte scheuen sich immer wieder, tiefer in die Vogelkunde einzutauchen, weil die Menge an Wissen erdrückend scheint, die Gemeinschaften eingeschworen, die Ansprüche der Profis und Altvorderen einschüchternd, gute Optik teuer und die Kommunikationskultur manchmal von Hierarchie und „mansplaining“ geprägt. Dieser Kurs hat vor allem durch seine respektvolle Kommunikation mit solchen Ängsten und Zugangshürden gebrochen, Wissenshierarchien abgebaut und Teilhabe ermöglicht. Aus den gemeinsamen Exkursionen ist viel entstanden: freundschaftlich und fachlich; zwischen und innerhalb der Orni-Generationen. Auch in dieser – vielleicht wichtigeren – Hinsicht, war der Kurs ein absoluter Erfolg und eine Fortsetzung wäre sehr wünschenswert. Vielleicht haben die Absolventinnen und Absolventen von 2022 Interesse, ihr neu erworbenes Wissen und frische Motivation weiterzugeben? So oder so: Wir sehen uns draußen!

„Ich habe mich erst durch den Kurs ermutigt gefühlt, dieses Hobby auch zum Beruf zu machen. Ein Sprung, den ich mir ohne die unterstützende lokale Gemeinschaft nicht zugetraut hätte.“ (Joy Opitz, Teilnehmerin)

Drei Menschen schauen durch Ferngläser.
Abschlussexkursion bei bestem Morgenlicht am Göttinger Kiessee. Foto: Michael Corsmann

Zahlen, Daten, Fakten und ein Dankeschön!

Sind nicht alle Ornis ein kleines bisschen Twitcher? Also Menschen auf der Suche nach möglichst vielen und besonders seltenen Arten? Auch sie sind im Kurs auf Ihre Kosten gekommen.

Die Zahlen zum ersten AGO-Grundkurs Feldornithologie:

  • Eindeutig bestimmte Arten: 139
  • Besuchte Gebiete: 13
  • Exkursionen: 16
  • Online-Termine: 3

Der außerordentliche Dank der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für Planung, Organisation und Durchführung des Kurses, Bereitstellung der Materialien, zugewandte Kommunikation, das ganze Wissen, aber vor allem für die Begeisterung und Leidenschaft, die sie investiert haben, gilt:

Béla Bartsch, Meike Corsmann, Michael Corsmann, Mischa Drüner, Silvio Paul, Maximilian Rössner, Mathias Siebner und Andreas Stumpner (in alphabetischer Reihenfolge).

Ganz besonders jedoch an Béla, Mathias und Silvio, ohne deren Initiative dieser Kurs nicht stattgefunden hätte.

Vielen Dank auch an Christian Dienemann als Chronist und Protokollant aller 16 Exkursionen.

Arne Bischoff, Christian Dienemann und Joy Opitz

Ein Graureiher
Abb.: Am Kiessee konnten Graureiher aus nächster Nähe beobachtet werden. Foto: Mathias Siebner (Archiv)